Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas Fels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin und Andreas Fels
Издательство: Bookwire
Серия: Fettnäpfchenführer
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783958892279
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dazu gereichtem Essen, badewassertaugliche 45–50 °C warm (atsukan) oder kalt (hiyazake) getrunken werden. Ansonsten handelt es sich bei diesem neben dem grünen Tee traditionellsten japanischen Getränk entgegen seiner deutschen Bezeichnung nicht um einen Wein, sondern um das Produkt aus vergorenem Reis und Wasser. Wie Wein ist auch Sake lieblich (amakuchi) bis trocken (karakuchi) und in den dazwischen liegenden Abstufungen erhältlich.

      Falls Sie Sake verschenken oder sich als Kenner aufspielen möchten: Ein objektives Bewertungsmerkmal bieten Siegel auf den Flaschen. Ein goldener Rand kennzeichnet einen 100-prozentigen Reisgehalt, ein silberner den Zusatz von Alkohol. Falls Sie wirklich tief einsteigen und sich zum wahren Sake-Kenner mausern möchten, haben Sie einiges vor. Es gibt rund 10.000 verschiedene Sake-Sorten in Japan.

      Aber genug Theorie – wenden wir uns wieder dem Trinken zu. Natürlich dürfen und sollen Sie nachschenken. Nur eben nicht sich selbst. Schenken Sie stattdessen Ihren Kollegen oder Geschäftspartnern nach, wenn diese ihr Glas ausgetrunken haben. Nehmen Sie dazu die Flasche mit beiden Händen und halten dabei das Etikett nach oben. Und natürlich lächeln Sie dabei. Besonders von Frauen wird in Japan häufig erwartet, dass sie den anderen nachschenken. Möglicherweise ist dies noch ein Relikt aus alten Zeiten, in denen die Geisha den Gast mit der Vorführung von Tänzen oder Musikstücken und geistreicher Konversation unterhielt – und dabei natürlich auch zuvorkommend nachschenkte. Sie selbst aß und trank den ganzen Abend nichts. Geisha-Häuser gibt es zwar noch immer, für ein normales Treffen nach der Arbeit sind sie aber zu teuer. Ein Abend kostet dort immerhin mehrere hundert Dollar pro Person. Da kann es schon eher passieren, dass die Gruppe zu fortgeschrittener Stunde in einem sogenannten »Gentlemen’s Club« landet. Falls Frauen mit von der Partie waren, haben diese sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich ohnehin schon verabschiedet.

      Apropos Frauen: Auch wenn Herr Hoffmann seiner Frau Hannah gerne die japanische Kneipe gezeigt hätte, wäre es doch unangebracht gewesen, wenn er sie mitgebracht hätte. Selbst wenn Sie gemeinsam mit Ihrer Ehefrau geschäftlich eingeladen werden, gehen Sie auf Nummer sicher, wenn sich Ihre Frau unter dem Vorwand, sie habe etwas anderes vor, entschuldigt.

      Aber warum war eigentlich Herr Uchida, der Übersetzer, so betrunken? Er hatte keine andere Wahl. Wann immer Herr Hashimoto, sein Chef, ihm eingeschenkt hatte, musste er aus Höflichkeit das Glas in einem Zug leeren. Da hat es Herr Morita klüger gemacht. Er hat sein Glas einfach halb voll gelassen – das Zeichen, dass man genug getrunken hat und nichts mehr nachgeschenkt bekommen möchte.

      6

       HERR HOFFMANN GIBT TRINKGELD

       VIER ERDBEBEN PRO TAG

      »So ein Tag, so wunderschön wie heute ...« Leise vor sich hin pfeifend lässt sich Herr Hoffmann behaglich in die Badewanne gleiten. Sie ist viel kürzer als er es aus Deutschland gewohnt ist, dafür um einiges tiefer. Als Herr Hoffmann drin sitzt, schaut nur noch sein Kopf aus dem warmen Wasser hervor. Die Beine kann er dafür nicht einmal annähernd ausstrecken – na gut, dann wird halt im Sitzen gebadet. Viel ärgerlicher ist dagegen, dass er in seinem Hotelbadezimmer weit und breit keinen Badezusatz gefunden hat. (Warum das so ist, erfahren Sie im nachfolgenden Kapitel ›Herr Hoffmann geht baden‹.) Stattdessen musste er mühsam die Flüssigseife aus dem Seifenspender in seiner Handfläche in das einlaufende Badewasser transportieren. Herr Hoffmann lässt sich ein wenig weiter in das Wasser hineinrutschen und macht blubbernde Geräusche mit dem Mund. Aaaah ... entspannend ...

      Auf einmal taucht Godzilla auf, reißt das gesamte Hotel aus seiner Verankerung, hebt es hoch und lässt es wieder fallen. Zumindest fühlt es sich so an. Badewasser schwappt aus der Wanne, aus dem Nebenraum ertönt ein dumpfer Knall. Ein Erdbeben! Ist das nun etwa die Fortsetzung des schlimmen Bebens aus dem März 2011? Erst gestern hatte er beim Rumzappen nach einer Gameshow, in der die Kandidaten versuchten, eine rutschige Treppe hinaufzulaufen, einen Bericht darüber gesehen. Er hatte zwar kein Wort verstanden, aber anscheinend leben in Fukushima auch heute noch immer jede Menge Menschen in Notunterkünften.

      Aber jetzt – das gesamte Hotel scheint sich auf die Seite zu legen. Stürzt es etwa ein? Schnell springt Herr Hoffmann aus der Wanne, rutscht dabei beinahe auf dem nassen Boden aus und sucht Schutz unter dem Rahmen der Badezimmertür. Irgendjemand hatte ihm mal erzählt, dass das der sicherste Platz sei – oder hat er das falsch in Erinnerung? Immerhin ist er im 23. Stock, und wenn das ganze Gebäude einstürzt, wie sicher kann dann der Türrahmen sein? Außerdem handelt es sich nur um eine Schiebetür, ist die wirklich stabil? Vielleicht doch lieber unters Bett?

      In dem Moment ist wieder alles still. Viel ist gar nicht passiert. Ein paar Fläschchen am Waschbecken sind umgefallen und sein Koffer ist vom Schrank gerutscht. Das war wohl das Geräusch, das er eben gehört hatte. Der Schrank selber ist dank magnetischer Türschließer nicht aufgegangen, auch die wenigen Möbel sind anscheinend weitgehend an ihrem Platz geblieben. Trotzdem – jetzt ist erst mal ein Drink fällig.

      Kurz darauf sitzt Herr Hoffmann – die noch immer leicht zittrigen Finger um einen Gin Tonic geschlossen – an der Hotelbar. Hat hier niemand etwas von dem Beben mitbekommen? Alle sind ganz ruhig und tun so, als wäre alles ganz normal. Da geht es schon wieder los. Die Gläser klirren leise und der Barkeeper hält mit erstaunlich gelassener Miene ein paar Flaschen fest. Während Herr Hoffmann sich noch panisch nach einem Notausgang umschaut, ist auch schon wieder alles ruhig. Nur ein schwaches Nachbeben. Er kippt seinen Drink in einem Zug herunter, legt das Geld zusammen mit einem großzügigen Trinkgeld auf den Tresen und geht zurück auf sein Zimmer.

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Als am 11. März 2011 um 14:46 Uhr die Erde bebt, ist Frau Watanabe gerade in ihrem Büro im Gespräch mit einem Kollegen. Eigentlich keine große Sache, denn bereits die ganze letzte Woche gab es immer mal wieder kleinere Erdbeben. Aber diesmal ist es anders. Das Beben hört nicht auf. Instinktiv halten Frau Watanabe und ihr Kollege sich am Türrahmen fest, während Aktenordner und Bücher polternd aus den Regalen fallen. Im Nachbarbüro fliehen ein paar Kollegen unter die Tische. Das gesamte Gebäude schwankt wie ein Schiff auf hoher See. Aus den Fenstern kann Frau Watanabe sehen, dass auch die Nachbargebäude wild hin und her schwingen. Aus dem Nachbarbüro ist ein halb unterdrückter Schrei zu hören, dann regnen Teile der Styroporverkleidung von der Decke.

      Eine unendlich lange Zeit später – Frau Watanabe wird später kaum glauben, dass es nur etwa drei Minuten waren – sind die gröbsten Schübe vorbei. Stille. Aus Richtung des Hafens steigt eine riesige schwarze Rauchwolke auf. Ein Kollege – sein Haar ist zerzaust und sein Arm ist aufgeschrammt – schaut zur Tür rein und fragt, ob alles in Ordnung sei. Frau Watanabe nickt benommen, sie hat im Moment ganz andere Sorgen. Hektisch wählt sie Kenjis Nummer auf ihrem Handy, kann ihren Sohn aber nicht erreichen. Auch ihren Mann erreicht sie nicht – anscheinend ist das gesamte Telefonnetz zusammengebrochen.

      »Schnell raus hier!« Der Kollege zieht sie am Arm in Richtung Treppenhaus. Auf dem Weg nach unten folgen die Nachbeben. Ganze Wandteile sind herausgebrochen. Frau Watanabe läuft immer weiter hinunter. Ihr Büro ist im 19. Stock.

      Unten angekommen versammeln sich alle vor dem Gebäude. »Wow, 8,8 – Twitter spielt total verrückt!«, hört sie im Vorbeigehen einen jungen Mann sagen. Dann folgt ein sehr starkes Nachbeben. Die Kräne auf einem der benachbarten Gebäude scheinen jeden Moment umzukippen. Frau Watanabe will nach Hause.

      Gemeinsam mit vielen anderen Menschen macht sie sich auf den Weg – zu Fuß, denn die Züge und U-Bahnen fahren nicht, Taxis sind Mangelware. Auf den Straßen sieht es verheerend aus, zum Teil ist der Asphalt aufgeworfen, Brückenteile sind eingesackt. Vor öffentlichen Telefonen haben sich meterlange Schlangen gebildet.

      Nach etwa zwei Stunden – Fußwege in Tôkyô können lang werden – macht Frau Watanabe an einem konbini halt und kauft sich eine Limonade. Eigentlich hätte sie mehr Lust auf Wasser, aber das ist bereits ausverkauft.

      Etwas mehr als vier Stunden braucht Frau Watanabe schließlich