»Du hast es gut, dass du keinen Namen tragen musst«, sagte Kaloyd. »Es ist ... unangenehm.«
Sein Gegenüber fand diese Bezeichnung offenbar nicht ausdrucksstark genug. »Ekelhaft!«, verschärfte er.
»Ein Name ist wie ... wie ein achter Tentakel!« Kaloyd hob seinen siebenarmigen Kopffüßerkörper ein wenig an und pendelte leicht. Es fühlte sich gut an, dabei den Wind zu fühlen, der vom Ozean her wehte.
Die Luft war herrlich feucht. Er vermisste den direkten Kontakt mit dem Wasser – schon viel zu lange arbeitete er in der Ebene, um alles für die Besucher vorzubereiten. Der Humidoranzug spendete zwar Feuchtigkeit, doch war das nur ein schaler Ersatz. Kein Yura blieb gerne vom Meer oder wenigstens von Flüssen getrennt, und in dieser Gegend gab es nur ein erbärmliches Rinnsal von Bachlauf.
»Ein achter Tentakel!« Der andere schüttelte sich bei dieser Vorstellung. Es war wirklich abstoßend. »Aber nun zum eigentlichen Thema, einverstanden? Ich bin zu dir gekommen, weil meine Leute die Unterkünfte fertiggestellt haben. Willst du sie kontrollieren, Kaloyd?«
»Du brauchst mich nicht so zu nennen.«
»Gewöhn dich besser daran!«
»Sobald die Fremden hier auftauchen, werde ich das – nicht vorher! Terraner, Topsider ... ja! Sie brauchen Namen, aber nicht wir untereinander!«
»Warum hast du ihn gewählt?«
»Du weißt, dass es nötig ist. Sie kommen sonst im Umgang mit uns nicht zurecht, weil sie ihre Individualität an ihre Eigennamen binden.«
»Das meine ich nicht. Wieso gerade – Kaloyd?«
»Verstehst du das nicht? Ich trage ihn wie einen Kaloyd ... einen Mantel. Sobald die Fremden abreisen, werde ich ihn wieder ablegen. Ich freue mich jetzt schon darauf. Aber zu deiner anderen Frage – ja, ich sehe es mir gerne an. Doch lass uns vorher eine Pause einlegen. Wir haben ein wenig Ruhe verdient.«
Die beiden Yura stolzierten auf vier ihrer sieben Tentakel auf den Rand des kleinen Wäldchens zu – in den Schatten, der sich dort bot. Die Sonne brannte an diesem Tag von einem wolkenlosen Himmel, und die Hitze trocknete die Körper mörderisch aus. Die Luft schmeckte trocken, staubig und rau. Immerhin waren keine Bachu unterwegs. In allen Dingen verbargen sich eben Vorteile, sobald man nur genau genug hinsah.
Entsetzlicher Durst quälte Kaloyd, und die Haut spannte. Es galt, Vorsicht walten zu lassen, sonst würden bald die Tentakelspitzen aufreißen, und das nicht zum ersten Mal während dieser Arbeitsphase. Wenn das geschah, müsste er sich wieder tagelang mit den winzigen Wunden herumquälen und aufpassen, dass sie sich nicht entzündeten.
Im Schatten reckten sein Begleiter und er wohlig alle Tentakel wie einen Kreis um sich. Als sie den Bachlauf erreichten – ja, klein, aber besser als nichts – und sich fallen ließen, um umspült zu werden, sah die Welt sofort viel schöner aus.
Mochten sie kommen, die Terraner und Topsider! Sollten sie ihre Gespräche führen!
Es kam eine anstrengende Zeit auf sie zu, mühsam und entbehrungsreich, doch das ging vorüber, und danach warteten herrliche Regentage, Feuchtigkeit und Glück.
*
Die Kontrolle der kleinen Siedlung lief problemlos ab – sämtliche Yura hatten gute Arbeit geleistet. Sehr gute sogar.
Kaloyd fand kaum etwas auszusetzen, rechnete allerdings damit, dass die Fremden das anders sehen würden. Wahrscheinlich brachten sie tausend Vorschläge und Modifikationen ins Spiel.
Er schätzte den Terraner Odai Krimmer und die Topsiderin Wrachsha als extrem kritisch ein. Sie hielten sich bereits seit einigen Tagen auf Vurayur auf, um die Vorbereitungen im Auge zu behalten. So nannte Krimmer es. Wrachsha sprach davon, dass sie den Vorgang benesten wollte. Was sie beide meinten, übersetzte Kaloyd für sich so: Sie legten Wert darauf, die Strömung zu kennen.
Kommunikation mit fremden Völkern gestaltete sich nicht einfach, erst recht nicht, wenn man solchem Misstrauen begegnete, wie es vor allem von der Topsiderin ausging. Wobei der Terraner in dieser Hinsicht ebenfalls nicht ohne war.
Kaloyd bedankte sich bei seinem Begleiter und schickte ihn zurück ans Meer. »Du hast gute Arbeit geleistet, nun genieß die Ruhe. Nimm deine Hilfskräfte mit.«
»Aber falls etwas nachzubessern ist ...«
»... werden es die Roboter unserer Gäste erledigen.« Diese fremden Maschinen hatten ohnehin die meisten körperlich schweren Aufgaben erledigt – selbstverständlich unter Anleitung der Yura. »Sorg dich nicht um Dinge, um die du dich nicht kümmern musst. Ab sofort liegt das Gesamtprojekt ausschließlich in meiner Verantwortung. Nun geh!«
Der andere hob zwei Tentakel und verschlang sie ineinander. Mit einem dritten tippte er Kaloyd zur Verabschiedung an. »Sehr gerne.«
Damit zog er sich zurück.
Kaloyd stakste eine letzte Runde zwischen den Gebäuden, bis er schließlich akzeptierte, dass es sich nicht länger herauszögern ließ.
Er ging in den größten Neubau, ein seltsam kantiges, viel zu geschlossenes Ding. Es gab nur wenige Sichtlöcher, die zu allem Überfluss durch Glasscheiben abgedichtet waren – einem Material, das kein Yura zu einem so verrückten Zweck benutzen würde. Man formte schöne Skulpturen daraus, die im Wasser nahezu unsichtbar wurden. Ein herrliches Spielzeug für Kinder, die solche Spielereien stundenlang suchen konnten. Er selbst hatte vor Jahren für seinen Sohn einen Karpahund mit eigenen Tentakeln hergestellt, eine tentakelspitzengroße Figur mit beweglichen Lefzen.
Aber andere Völker pflegten eben seltsame Sitten, wie das Wohnen in geschlossenen Gebäuden. Musste man da nachts nicht unter dem Gefühl leiden, im Schlaf zu ersticken?
Doch welchen Ratschlag hatte er gerade vorhin selbst erteilt? Sorg dich nicht um Dinge, um die du dich nicht kümmern musst.
Nun, das galt für ihn selbst ebenso.
Was ging es ihn an, wie die Terraner und Topsider ihre Zeit verbrachten? Ob sie sich selbst einsperrten oder nicht? Sie blieben für einen begrenzten Zeitraum Gäste auf Vurayur, um ihre Streitigkeiten beizulegen. Kaloyd diente als Kontakter und kümmerte sich um das Wohl der Fremdlinge. Eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe, die er so gut zu erfüllen gedachte, wie es ihm möglich war.
Deshalb betrat er das Gebäude, wandte sich nach rechts und aktivierte den dort wartenden Roboter per Zuruf.
Die Maschine ähnelte einem Terraner, zumindest grob: der bizarr lang gezogene Leib auf zwei Beinen, die beiden Extremitäten, die seitlich vom Körper abzweigten – und dann dieser runde Kopf! Wenigstens hatte der Roboter keine Haare. Dafür bestand das ganze Ding aus Metall und war damit sogar hässlicher als das Original. Und dazu gehörte einiges.
»Welche Aufgabe kann ich erfüllen?«, fragte der Arbeitsroboter.
»Nimm Kontakt mit Odai Krimmer auf. Er soll schnellstmöglich in die Siedlung kommen.«
»Gibt es Schwierigkeiten?«
»Ich hoffe nicht.«
Die Maschine drehte den Kugelkopf. »Gibt es Schwierigkeiten?«, wiederholte sie. Offensichtlich war ihr die erste Antwort nicht präzise genug gewesen.
Kaloyd dachte kurz nach. »Nein.«
»Ich melde es weiter.« Einen Augenblick herrschte Schweigen, ehe der Roboter ergänzte: »Er hat die Nachricht erhalten. Er steht für eine direkte Sprachverbindung zur Verfügung.«
»Eine gute Idee«, sagte der Yura.
Ein leises Klacken, dann ertönte die Stimme des Terraners: »Krimmer hier. Was gibt es?«
»Die Arbeiten sind fertiggestellt. Ich bitte dich, die Gebäude auf die Strömung zu überprüfen.« Kaum waren die Worte draußen, verbesserte er sich: »Sie zu begutachten, ob sie deinen Ansprüchen entsprechen.«
»Danke. Hast du Wrachsha ebenfalls kontaktiert?«
»Bisher