Plötzlich liege ich auf dem Boden.
»Du bist gestürzt«, höre ich die Stimme, und dann erst spüre ich den Schmerz.
Ich bin auf den Rücken gefallen. Mein Stützschwanz ist in einem unmöglichen Winkel geknickt, die Spitze ragt unter dem Arm heraus. Ich will atmen. Es ist schwer.
Der Versuch aufzustehen scheitert kläglich. Ich muss mich in die Höhe stemmen, aber die Arme tragen mein Gewicht nicht. Die Muskeln zittern. Ich sehe, wie eine Schuppe in Schulterhöhe bricht.
»Ich kann dir nicht helfen, ich hole einen Roboter«, sagt die Besucherin. Sie geht davon, zwei Schritte, drei, dann bleibt es leise.
Höre ich endgültig nichts mehr? Versagen meine Ohren? Als ich mich umdrehe, vernehme ich das Schleifen auf dem Boden. Ich bin nicht taub.
Die andere hat sich auf einen Stuhl gesetzt. Ihr Oberkörper hängt seitlich über die Lehne und liegt auf dem Tisch, nahe der Eingabekonsole. Die Augen stehen offen. Sie sind rot, aber zugleich ... matt. Gebrochen. Ich habe es in letzter Zeit zu oft gesehen, um nicht zu wissen, dass sie tot ist.
Sie ist heimlich, leise und still gestorben. Zu früh, doch das würde man nicht glauben, wenn man sie ansieht. Sie sieht alt aus, ihres Lebens satt.
Das war sie nicht.
Und das bin ich ebenfalls nicht.
Ich ziehe mich über den Boden, Stück für Stück. Warum reagieren die automatischen Rettungssysteme nicht? Ich müsste sie aktivieren, das Codewort lautet ... es ... ich – weiß es nicht.
Wieso denke ich überhaupt noch nach? Wo will ich hin?
Ich bin so müde, also lege ich mich. Es ist unbequem auf dem Boden, aber das wird mich nicht mehr lange stören.
Die Toten liegen gut.
Wie hieß der Dichter, der das gesagt hat?
Wieso weiß ich das nicht?
Und welche Rolle spielt es?
Ein leises Rasseln in meinem Atem. Die Luft rauscht über meine lange Zunge, aus dem Mund, vorbei an den Zähnen und Hornlippen. Es hört sich friedlich an.
Gleichmäßig.
Beruhigend.
Ich genieße es und denke an meine Nachkommen. Ich weiß noch, wie sie aus dem Gelege geschlüpft sind. Ich trage ein Stück der Eierschale unter eine Schuppe implantiert. Es ist tröstlich zu wissen, dass sie fortbestehen.
Die Wand vor mir ist blau, aber ein grauer Schatten schiebt sich darüber. Blenden meine Augen alles aus oder mein Verstand?
Es ist so belastend, sich Fragen zu stellen. Und dumm. Wieso nicht einfach nur den Atem hören? Die Stille sehen. Die Farben verblassen lassen im Geschmack der Erinnerung.
Und dort draußen ...
... dort draußen ...
... die fahlen Sterne.
1.
Die Wega
Perry Rhodan genoss es. Der Flug in einem Raumschiff, mit einer eingespielten Mannschaft, war ein Stück Normalität.
Er war nur Gast in der ORATIO ANDOLFI, aber das fühlte sich gut an. Seit seiner Ankunft im anderen Teil des Dyoversums hatte er Unterstützung gefunden – womöglich sogar Freunde. Er sah Ghizlane Madouni an, die Kommandantin des Flaggschiffs der hiesigen Liga.
Sie hatte ihren Platz auf dem Kommandantensessel eingenommen und wirkte ruhig und gelassen. Gerade lag die erste Linearetappe auf dem Weg ins Wegasystem hinter ihnen. Die LOOKOUT-Sonden der ANDOLFI schwärmten aus, um den umgebenden Linearraum zu kartografieren.
Das gehörte zu den markanten Unterschieden, was Reisen durch den Weltraum in den beiden Zweigen des Dyoversums anging: In jenem Zweig, in den es die Erde verschlagen hatte, wucherte ein Netz aus Hindernissen im Linearraum, das lapidar als Eisberge bezeichnet wurde, die zu allem Überfluss beweglich blieben und darum vor jeder Etappe neu aufgenommen werden mussten. Ganz zu schweigen davon, dass wegen der extrem erhöhten Hyperimpedanz eine Linearetappe mit dem neuesten Stand der terranischen Technologie höchstens über gerade einmal 25 Lichtjahre führte.
Die Reise zum Wegasystem erforderte deshalb einen Zwischenstopp, während dessen die Techniker und Piloten in fieberhafte Arbeit verfielen.
Als Kommandantin verließ sich Ghizlane voll auf ihre Offiziere; kein Wunder also, dass sie gelassen bleiben konnte. Rhodan kannte das gut – man musste seiner Mannschaft vertrauen, sonst ging man als Kommandant kaputt. Er hatte in den vergangenen Jahrtausenden auf zahllosen Schiffen Madounis Rolle ausgefüllt und genoss es, zurzeit keine Verantwortung zu tragen.
Zumindest nicht offiziell.
Hinter den Kulissen sah das völlig anders aus.
Eine Menge hing von ihm ab, und das nicht nur, weil es viele Menschen schlicht von ihm erwarteten – einfach aufgrund der Tatsache, dass er Perry Rhodan war. Die Topsider hatten außerdem seine Auslieferung gefordert, was Residentin Flaccu im Namen der Liga verweigert hatte. Das wiederum hatte einen Krieg im Solsystem entzündet, den Rhodan mit einem gigantischen Bluff beenden konnte.
Nun standen diplomatische Gespräche mit den Topsidern an – aber die Residentin wollte einen Zwischenstopp auf Ferrol einlegen, dem Planeten, dessen Ebenbild im heimischen Universum die Hauptwelt des Wegasystems bildete, die Heimat der Ferronen. In dieser Hälfte des Dyoversums jedoch war Ferrol bei der Entdeckung eine Welt ohne einheimische höher entwickelte Lebensform gewesen.
Die Zwillingsuniversen des Dyoversums glichen sich teilweise auf erstaunliche, geradezu unerklärliche Art, die nahelegte, dass es ein Geheimnis dahinter geben musste ... dann wieder unterschieden sie sich stark. Vor allem schien auf dieser Seite weit weniger intelligentes Leben zu existieren.
Den Sinn dieses geplanten Zwischenstopps kannte Perry Rhodan nicht, vertraute jedoch darauf, dass sich das bald änderte. Die Residentin hatte angekündigt, während der zweiten kurzen Linearetappe ein Gespräch führen zu wollen.
Rhodan saß auf dem ihm zugewiesenen, vor Abflug extra rasch montierten Gästeplatz am Rand der Zentrale. Sein Sitz stand nah beim Ausgang, direkt an einer schmucklos-metallischen Wand, am Ende der Reihe der verschiedenen Offiziersplätze, neben dem Kommunikationspult.
Dort hockte ein junger Mann, etwa 40 Jahre alt, mit schulterlangen hellbraunen Haaren, der sich als Franko Tueran vorgestellt hatte. Daraufhin hatte Rhodan ebenfalls seinen Namen genannt – die Reaktion darauf war ein stummes, schmallippiges Lächeln gewesen, gefolgt von einem »Ach ja?«
Seitdem warf Tueran ihm hin und wieder einen verstohlenen Blick zu, wenn er nicht gerade fieberhaft die diversen Holos im Auge behielt und Schaltflächen bearbeitete. Was immer er glaubte tun zu müssen in dieser Phase, in der es keinerlei Kontaktgespräche auf den offiziellen Schiffskanälen gab, weder intern noch nach außen.
Über seinen eigenen Armbandkommunikator erhielt Rhodan eine Funkanfrage. Er prüfte sie, sah, wer ihn zu erreichen versuchte, und nahm das Gespräch an.
»Kommandantin?«, sagte er und sah zugleich in ihre Richtung.
Sie nickte ihm zu. »Meine Leute haben alles im Griff. Die Techniker geben voraussichtlich in wenigen Minuten grünes Licht für die zweite Etappe. Die LOOKOUT-Sonden benötigen noch etwa eine Stunde, um die Vorgaben für eine sichere Passage durch den Linearraum zu gewährleisten, dann können die Piloten den besten Kurs berechnen.«
»Mit anderen Worten«, sagte Rhodan, »wir beide sind entbehrlich.«
»So hätte ich es nicht formuliert, aber ich verstehe deinen Gedankengang.« Man hörte das Schmunzeln in ihrer Stimme. »Allerdings würde ich uns bei aller gebotenen Bescheidenheit nicht als entbehrlich bezeichnen. Zumindest dich nicht. So eine unsterbliche Legende mag durchaus in der einen oder anderen Situation nützlich sein.«
Er mochte sie immer mehr und war froh, eine