Nr. 2169
Das Lichtvolk
Sie sind die Guyaam – sie leben im Para-Staub
von Leo Lukas
Im April 1312 Neuer Galaktischer Zeitrechnung hat sich die Lage am Sternenfenster vorerst beruhigt: Der mit technischen Hilfsmitteln gigantischer Natur geöffnete Durchgang in die fremde Galaxis Tradom ist nach wie vor in der Hand der Terraner und ihrer Verbündeten. Alle Angriffe der Inquisition der Vernunft konnten bislang abgewehrt werden.
Über die nächsten Schritte sind sich Perry Rhodan und seine Mitstreiter noch nicht im Klaren. Um dauerhaften Frieden für die Bewohner der Milchstraße zu sichern, müssen sie den Kampf gegen die Herrscher des Reiches Tradom intensivieren. Wie die Menschen das angesichts ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit anstellen sollen, weiß bislang niemand.
Beim Versuch, das letzte Raumschiff der Eltanen zu retten, werden die Terraner von der LEIF ERIKSSON und die Arkoniden von der KARRIBO in eine Raumschlacht mit einer Flotte des Reiches Tradom verwickelt. Gemeinsam mit dem Schiff der Eltanen, an dessen Bord gerade Zeitexperimente abliefen, werden sie in die Vergangenheit geschleudert.
Perry Rhodan und seine Begleiter erkennen, dass sie 160.000 Jahre von der Gegenwart entfernt sind, in einer Zeit vor dem Reich Tradom. Der vorliegende Roman zeigt das Leben in dieser Zeit – in Tradom lebt DAS LICHTVOLK ...
Die Hauptpersonen des Romans
Der Lichtlose – Ein besonderer Angehöriger des Lichtvolkes erzählt seine Geschichte.
Panige Kulalin – Ihr viertes Kind bereitet ihr nicht nur Freude.
Enguarti Kulalin – Der Eheling hat nur noch einen Wunsch.
Erünie Zowel – Die Baszmarin tut, was sie verhindern kann.
Zargele, Neraliu und Gigiper Zowel – Eine unheimlich nette Familie.
An einem seltsamen, furchtbaren und faszinierenden Ort, auf unerklärliche Weise jenseits von Zeit und Raum, werden sich zwei mächtige Wesen treffen.
Sie werden einander sehr fremd sein, aber gewissermaßen auch wieder verwandt.
Unvorstellbar große Distanzen trennen ihre Herkunftsorte und – je nach der Zeitrechnung – Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren. Dennoch verbindet sie so viel, dass sie einander besser verstehen können als die meisten ihrer jeweiligen Artgenossen.
Eines dieser Wesen wird von großem Kummer erfüllt sein und auch das andere voller Sorge.
Hier, an diesem seltsamen, furchtbaren und ungemein faszinierenden Ort, abseits aller bekannten Kriterien von Zeit und Raum, offenbaren sie sich einander.
»Du, mein Freund, weißt besser als ich, was geschehen sein wird«, sagt der eine. »Ich aber weiß, was geschah und weshalb. Lass mich dir also erzählen, wie alles begann.«
1.
Das lichtlose Kind
840. Burd 5510 Tha
Als mich der Hebamm in ihre Arme legte, brach meine Mutter in lautes Schluchzen aus.
»Das Elend!«, stieß sie unter bitteren Tränen hervor, wieder und wieder: »Das Elend! Das Elend!«
Du musst wissen: Meine Eltern hatten bereits drei Kinder; allesamt Söhne. Diese waren wohlgeraten, gesund und kräftig, auch geistig keineswegs minderbemittelt, ja für Angehörige des männlichen Geschlechtes sogar recht vielversprechend – aber eben doch nur Jungen.
Ach, wie sehr hatten sich Panige Kulalin, meine Mutter, und ihr Eheling Enguarti ein Mädchen gewünscht! Eine Tochter, eine Stammhalterin, die vielleicht einmal in die Fußstapfen ihrer ruhmreichen Vorfahrinnen treten würde. Denn der Name Kulalin besaß seit vielen Generationen einen guten Klang unter den Vaia'Kataan.
Meine Mutter bekleidete einen der verantwortungsvollsten Posten in den Goldenen Kuppeln. Sie liebte ihre anstrengende, doch sehr befriedigende Arbeit.
Auch mit ihrem Eheling, meinem Vater, führte sie eine äußerst harmonische Beziehung. Niemand von den Guyaam aus den Goldenen Kuppeln konnte sich erinnern, die beiden jemals streiten gehört zu haben. Ihre Zufriedenheit war geradezu sprichwörtlich.
»Einträchtig wie Panige und Enguarti«, sagten die Leute.
Ja, ihr Glück war fast vollkommen. Nur eine Tochter fehlte noch.
Versteh mich bitte nicht falsch: Meine Brüder bereiteten ihnen durchaus Freude. Sie wuchsen zu drei hübschen kleinen Kerlchen heran, und es war klar abzusehen, dass Enguarti sie zu braven, vernünftigen, umsichtigen und dabei pflegeleichten Ehelingen erziehen würde.
Doch zugleich wuchs Paniges Sehnsucht nach einer Tochter – umso mehr, je älter Enguarti wurde, je näher der Zeitpunkt rückte, an dem seine Zeugungsfähigkeit nachlassen und schließlich ganz dahinschwinden würde.
Man kann sich daher die Seligkeit der beiden vorstellen, als Panige bemerkte, dass sie noch ein viertes Mal schwanger geworden war.
»Diesmal bekommen wir ein Mädchen!«, rief sie, in allen Farben strahlend vor Zuversicht. »Diesmal gelingt es, ich bin mir ganz sicher. Und ich weiß auch schon einen Namen für sie: die Lichtgeborene.«
Enguarti hatte dagegen nichts einzuwenden. Er widersprach seiner Gemahlin ohnehin fast nie. Wie gesagt, sie waren ein Herz, eine Seele und ein Tymcal-Geflecht.
Aber leider: Paniges Gefühl hatte sie getrogen.
Ihr Wunsch sollte sich nicht erfüllen. Schon die erste vom Hebamm vorgenommene Durchleuchtung ergab, dass auch dieses Kind ein Junge werden würde.
In ihrer Verzweiflung konsultierte Panige heimlich die Genetiker von Kaaf, welche in der Stadt Sivquox eine Vertretung unterhielten.
Die vierarmigen, zweibeinigen, von Insekten abstammenden Wissenschaftler schlugen ihr nach eingehenden, aufwändigen Untersuchungen eine riskante genetische Manipulation vor, die das Geschlecht des Kindes nachträglich verändern sollte.
Dafür verlangten die Kaafyaam einen immens hohen Preis, wegen der zu erwartenden Komplikationen. Immerhin verfügen wir Guyar über eine sehr spezielle Konstitution.
Nun, die Gefährlichkeit des Eingriffs für ihre eigene Gesundheit hätte Panige ebenso wenig abgehalten wie die exorbitante Summe. Gleichwohl schreckte sie letztlich davor zurück.
Nicht, dass sie die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der Repräsentanten des Genetischen Kaafix angezweifelt hätte. Deren Leistungen auf ihrem Fachgebiet waren im ganzen Thoregon legendär.
Nein, im Endeffekt gab, denke ich, Paniges Abscheu vor der patriarchalischen Gesellschaft der Insektoiden den Ausschlag: Einer in ihren Augen derart pervers organisierten Lebensform wollte sie das Schicksal ihres Kindes nicht anvertrauen.
Wie auch immer, sie kehrte niedergeschlagen und unverrichteter Dinge heim in die Goldenen Kuppeln.
Enguarti erzählte sie nichts von ihrem Besuch bei den Genetikern von Kaaf.
Zwar hätte Paniges Eheling ihr deswegen sicher keine Vorwürfe gemacht. Das war nicht seine Art. Aber sie wusste, er hätte nächtelang nicht geschlafen vor Sorge, ob nicht bereits die Untersuchungen irgendwelche Schäden verursacht haben könnten.
In solchen Dingen reagierte der Gute manchmal ein wenig hysterisch.
Freilich war auch Panige erleichtert darüber, dass die weitere Schwangerschaft problemlos verlief. Sie begann das Kind in ihrem Bauch lieb zu gewinnen. Als der Geburtstermin kam, hatte sie sich mehr oder minder damit abgefunden, dass sich ihre Hoffnungen auf eine Nachfolgerin nun wohl nie mehr erfüllen würden.
Was soll's, dachte sie bei sich, während der Hebamm in der Medostation die letzten Vorkehrungen traf.