Der Untertan. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849660123
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nicht. Ich muss Genugtuung fordern. Sie haben sich –“

      „Ich kenne Sie ja gar nicht“, stammelte der Leutnant. Aber sein Kamerad flüsterte ihm etwas zu: „So geht das nicht“ – er ließ sich von dem anderen die Karte geben, legte seine eigene dazu und überreichte sie Diederich. Diederich gab die seine her; dann las er: „Albrecht Graf Tauern-Bärenheim“. Da nahm er sich nicht mehr die Zeit, auch die andere zu lesen, sondern begann kleine, eifrige Verbeugungen zu vollführen. Der zweite Offizier wandte sich inzwischen an Gottlieb Hornung.

      „Mein Freund hat den Scherz natürlich ganz harmlos gemeint. Er wäre selbstverständlich zu jeder Genugtuung bereit; ich will nur feststellen, dass eine beleidigende Absicht nicht vorliegt.“

      Der andere, den er dabei ansah, hob die Schultern. Diederich stammelte: „O danke sehr.“

      „Damit ist die Sache wohl erledigt“, sagte der Freund; und die beiden Herren entfernten sich.

      Diederich stand noch da, die Stirn feucht und mit befangenen Sinnen. Plötzlich seufzte er tief auf und lächelte langsam.

      Nachher auf der Kneipe war die Rede nur von diesem Vorfall. Diederich rühmte den Kommilitonen das wahrhaft ritterliche Verhalten des Grafen.

      „Ein wirklicher Edelmann verleugnet sich doch nie.“

      Er machte den Mund klein wie ein Mausloch und stieß in langsamer Schwellung die Worte hervor:

      „F – formen sind doch kein leerer Wahn.“

      Immer wieder rief er Gottlieb Hornung als Zeugen seines großen Augenblickes auf.

      „So gar nichts Steifes, wie? Oh! Auf einen doch immerhin gewagten Scherz kommt es solchem Herrn nicht an. Eine Haltung dabei: t–hadellos, kann ich euch sagen. Die Erklärungen Seiner Erlaucht waren so durchaus befriedigend, dass ich meinerseits unmöglich –: Ihr begreift, man ist kein Raubein.“

      Alle begriffen es und bestätigten Diederich, dass die Neuteutonia in dieser Sache durchaus anständig abgeschnitten habe. Die Karten der beiden Edelleute wurden bei den Füchsen umhergereicht und zwischen den gekreuzten Schlägern am Kaiserbild befestigt. Kein Neuteutone, der sich heute nicht betrank.

      Damit endete das Semester; aber Diederich und Hornung hatten für die Heimreise kein Geld. Das Geld fehlte ihnen schon längst für fast alles. Mit Rücksicht auf die Pflichten des Verbindungslebens war Diederichs Wechsel auf zweihundertfünfzig Mark erhöht worden; und doch übermannten ihn die Schulden. Alle Quellen schienen ausgepumpt, nur dürres Land sah man, verschmachtend, sich dahindehnen – und endlich musste man wohl, so wenig dies Rittern angestanden hätte, über die Zurückforderung dessen beraten, was sie selbst im Lauf der Zeiten an Kommilitonen verliehen hatten. Gewiss war mancher alte Herr inzwischen zu großen Geldern gelangt. Hornung fand keinen; Diederich verfiel auf Mahlmann.

      „Bei dem geht es“, erklärte er. „Der war bei gar keiner Verbindung: ein ganz gemeiner Ruppsack. Dem werd’ ich mal auf die Bude steigen.“

      Aber als Mahlmann ihn erblickte, brach er ohne weiteres in sein riesenhaftes Lachen aus, dass Diederich fast vergessen hatte und das ihn sofort unwiderstehlich herabstimmte. Mahlmann war taktlos! Er hätte doch fühlen sollen, dass hier in seinem Patentbüro mit Diederich die ganze Neuteutonia moralisch zugegen war, und hätte Diederich um ihretwillen Achtung erweisen sollen. Diederich hatte den Eindruck, als sei er aus der kraftspendenden Gesamtheit jäh herausgerissen und stehe hier als einzelner Mensch vor einem anderen. Eine nicht vorhergesehene, unliebsame Lage! Umso unbefangener trug er seine Sache vor. Oh! Er wolle kein Geld zurück, das würde er einem Kameraden niemals zugemutet haben! Mahlmann möge nur so gefällig sein, ihm für einen Wechsel zu bürgen. Mahlmann lehnte sich in seinen Schreibsessel zurück und sagte breit und selbstverständlich:

      „Nein.“

      Diederich, betroffen:

      „Wieso, nein?“

      „Bürgen ist gegen meine Prinzipien“, erklärte Mahlmann.

      Diederich errötete vor Entrüstung. „Aber ich habe doch auch für Sie gebürgt, und dann ist der Wechsel an mich gekommen, und ich musste für Sie hundert Mark blechen. Sie haben sich gehütet!“

      „Sehen Sie wohl? Und wenn ich jetzt für Sie bürgen wollte, würden Sie auch nicht bezahlen.“

      Diederich riss nur noch die Augen auf.

      „Nein, Freundchen,“ schloss Mahlmann; „wenn ich Selbstmord begehen will, brauch’ ich Sie nicht dazu.“

      Diederich fasste sich, er sagte herausfordernd:

      „Sie haben wohl keinen Komment, mein Herr.“

      „Nein“, wiederholte Mahlmann und lachte ungeheuerlich.

      Mit äußerstem Nachdruck stellte Diederich fest: „Dann scheinen Sie überhaupt ein Schwindler zu sein. Es soll ja gewisse Patentschwindler geben.“

      Mahlmann lachte nicht mehr; die Augen in seinem kleinen Kopf waren tückisch geworden, und er stand auf. „Nun müssen Sie ’rausgehen“, sagte er, ohne Erregung. „Unter uns wäre es wohl Wurst, aber nebenan sitzen meine Angestellten, die dürfen so was nicht hören.“

      Er packte Diederich an den Schultern, drehte ihn herum und schob ihn vor sich her. Für jeden Versuch, sich loszumachen, bekam Diederich einen mächtigen Knuff.

      „Ich fordere Genugtuung“, schrie er, „Sie müssen sich mit mir schlagen!“

      „Ich bin schon dabei. Merken Sie es nicht? Dann will ich noch einen rufen.“ Er öffnete die Tür. „Friedrich!“ Und Diederich ward einem Packer überliefert, der ihn die Treppe hinabbeförderte. Mahlmann rief ihm nach:

      „Nichts für ungut, Freundchen. Wenn Sie ein andermal was auf dem Herzen haben, kommen Sie ruhig wieder!“

      Diederich brachte sich in Ordnung und verließ das Haus in guter Haltung. Umso schlimmer für Mahlmann, wenn er sich so aufführte! Diederich hatte sich nichts vorzuwerfen; vor einem Ehrengericht wäre er glänzend dagestanden. Etwas höchst Anstößiges blieb es, dass ein einzelner sich so viel erlauben konnte; Diederich war gekränkt im Namen sämtlicher Korporationen. Andererseits war es nicht zu leugnen, dass Mahlmann Diederichs alte Hochachtung wieder beträchtlich aufgefrischt hatte. „Ein ganz gemeiner Hund“, dachte Diederich. „Aber so muss man sein ...“

      Zu Hause lag ein eingeschriebener Brief.

      „Nun können wir fortmachen“, sagte Hornung.

      „Wieso wir? Ich brauch’ mein Geld selbst.“

      „Du machst wohl Spaß. Ich kann hier doch nicht allein sitzenbleiben.“

      „Dann such’ dir Gesellschaft!“

      Diederich schlug ein solches Gelächter auf, dass Hornung ihn für verrückt hielt. Darauf reiste er wirklich.

      Unterwegs sah er erst, dass der Brief von seiner Mutter adressiert war. Das war ungewöhnlich ... Seit ihrer letzten Karte, sagte sie, sei es mit seinem Vater noch viel schlimmer geworden. Warum Diederich nicht gekommen sei.

      „Wir müssen uns auf das Entsetzlichste gefasst machen. Wenn Du unseren innigst geliebten Papa noch einmal sehen willst, o dann säume nicht länger, mein Sohn!“

      Bei dieser Ausdrucksweise ward es Diederich ungemütlich. Er entschloss sich, seiner Mutter einfach nicht zu glauben. „Weibern glaub’ ich überhaupt nichts, und mit Mama ist es nun mal nicht richtig.“

      Trotzdem tat Herr Heßling bei Diederichs Ankunft gerade die letzten Atemzüge.

      Von dem Anblick überwältigt, brach Diederich gleich auf der Schwelle in ein ganz formloses Geheul aus. Er stolperte zum Bett, sein Gesicht war im Augenblick nass wie beim Waschen; und mit den Armen tat er lauter kurze Flügelschläge und ließ sie machtlos gegen die Hüften klappen. Plötzlich erkannte er auf der Decke des Vaters rechte Hand, kniete hin und küsste sie. Frau Heßling, ganz still und klein selbst noch bei den letzten Atemzügen ihres Herrn, tat drüben