Escape oder schreib um dein Leben. Maria Hademer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maria Hademer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783898018272
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schlug sie den Deckel wieder zu und ließ sich aufs Bett fallen. Wenn das so weiterging, würde dieser Tag in der Kategorie »Besser nie gewesen« enden – außer einem Mittagsschlaf war ihm nichts abzugewinnen. Und den wollte sie sich jetzt gönnen.

      Als sie wieder aufwachte, war es schon kurz vor vier Uhr. Timo hätte sich längst gemeldet haben müssen. Mist! Jetzt auch noch hetzen. Obwohl sie nicht weit vom Jugendheim entfernt wohnte, würde sie zu spät kommen.

      Sie hastete los, um den Schlüssel für die Gruppenstunde bei der Gemeindereferentin abzuholen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Linda, die gerade in eine Seitenstraße einbog. Es hatte den Anschein, als habe sie geweint, aber sogar mit verwischter Mascara sah sie immer noch hübsch aus. Da kam auch Timo angehechelt.

      »Mann, da verlässt man sich einmal auf dich!«, fauchte sie ihm entgegen.

      »’Tschuldigung, ich weiß auch nicht …«

      »Ja, ja, schon gut«, schnitt Sophia ihm das Wort ab, »ich den Schlüssel, du die Kids!«

      Timo nickte und spurtete los, um so schnell wie möglich die wartenden Jugendlichen einzusammeln, bevor sie auf die Idee kamen zu verschwinden.

      Das Angebot an Jugendarbeit im Dorf war spärlich. Insofern wurde das Engagement der älteren Jugendlichen von den Jüngeren gerne angenommen. So ging es letzten Endes nicht nur um die Messdiener-Ausbildung. Alle Themen, die die Mitglieder der Jugendgruppe bewegten, kamen zur Sprache. Und dabei fühlte sich Sophia dann doch wieder in ihrem Element.

      Aber heute fehlte Julie. Sophia vermisste ihre Freundin sehr. Julie sorgte stets für gute Laune. Sie konnte mit einem flotten Spruch jede noch so ernste Situation in ein humorvolles Licht rücken. Julie war einfach cool, während Timo perfekt organisierte, Listen führte, die Getränkekasse abrechnete. Und Sophia, sie …? Ja, was war eigentlich ihre Rolle? Sie verwaltete die Finanzen der Jugendgruppe, sammelte die Mitgliederbeiträge ein und führte ein Konto. Aber ansonsten?

      Sophia wollte sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen. Nicht heute, an dem Tag, der bisher nur miese Stimmung in ihr verursacht hatte. Also schlug sie die klassischen beliebten Spiele vor und verdrückte sich nach der Gruppenstunde schnell wieder, ohne auch nur ein weiteres persönliches Wort mit Timo gewechselt zu haben.

      Julie hatte es gut. Paris! Weg sein. Über die Champs-Elysées flanieren, den Eiffelturm bei Nacht sehen, Espresso im Bistro … Seit einem Jahr dachte Sophia immer wieder über ein Jahr im Ausland nach. Da lockte Australien. Oder Kanada? England wäre auch in Ordnung. Einfach nur raus aus dieser Enge des Dorfes, der Ansammlung von Nicht-Möglichkeiten, der Begrenztheit. Das, was sie als Kind als so beschützend und sicher empfunden hatte, schränkte sie immer stärker ein, je älter sie wurde.

      Wenn da nicht Johnny wäre! Ach ja, was war wohl mit der verheulten Linda los gewesen? Das hatte sie ja total verdrängt. Egal. Der Tag war gelaufen. Noch ein bisschen Musik hören und surfen im Internet, vielleicht Saxofon üben, dann war es Zeit fürs Bett.

      Sie fuhr den Laptop hoch und ging online.

      @ Hi, Phia!

       Wie soll es weitergehen?

      Diese Frage erschien anstelle der üblichen Startseite. Verwundert schaute Sophia genauer auf den Bildschirm.

      Sie war sich sicher, dass sie weder ihren Namen noch ihre Adresse in eine Startseite eingegeben hatte. Als ob etwas in ihrem Inneren sie warnte, zog sie die Hände von der Tastatur zurück.

      Was war das?

      Steckte jemand hinter dieser Meldung? Und wenn ja, wer? Und wie?

      Wer in ihrem Bekanntenkreis besaß die Fähigkeit, in andrer Leute PCs einzudringen und ihre Startseite zu ändern?

      Ein Verdacht stieg in ihr auf: Timo? Der heillos schüchterne Timo – nein, unmöglich! – Oder doch?

      Wie alles in seinem Leben beherrschte Timo auch die Informatik in genial hohem Maße.

      Sie versuchte, sich an ihren Blog-Eintrag zu erinnern, suchte nach einer Datei. Mist! Warum war sie nur so naiv gewesen, darauf zu verzichten, den Text abzuspeichern?

      »Anfängerin!«, schimpfte sie mit sich selbst. Sophia wusste nur noch, dass sie Timo eine Verspätung für den heutigen Freitag angedichtet hatte, und er war tatsächlich zu spät aufgetaucht … Hallo Phia … erinnerte sie sich an die Anrede auf dem Zettel im Saxofonkoffer.

      So etwas hätte sie Timo niemals zugetraut!

      Aber wer sonst hatte Interesse an ihr, an ihren Gedanken?

      Sophia schaute sich verunsichert in ihrem Zimmer um. Gab es noch andere Versuche, in ihre Privatsphäre einzudringen? Die Webcam am Laptop? Entsetzt prüfte sie die Kamera. Ausgeschaltet!, stellte sie erleichtert fest.

      Regentropfen klopften leise und unregelmäßig an das Fenster. Ihr Klang erschien Sophia plötzlich fremd. Sie nahm das ununterbrochene Rauschen des Kühlsystems am Laptop wahr, das sich merkwürdig mit der Spannung verband, die in der Luft lag.

      Dann schüttelte sie die unangenehme Vorstellung, beobachtet zu werden, ab.

      Nein, eine Sophia Rosenhaag ist nicht so leicht zu verunsichern. Wer immer du bist, da musst du dir schon mehr einfallen lassen als ein paar technische Tricks.

      Sie schlüpfte in den Pullover, den Oma ihr gestrickt hatte, machte es sich auf dem Bett so bequem wie möglich und begann, die Tasten ihres Laptops zu bearbeiten.

      @ Hey biografuturo,

       du musst ja ein ziemlicher Feigling sein, wenn du es nötig hast, dich hinter einem Pseudonym zu verstecken. Aber bilde dir nicht ein, dass du mich mit so was beeindrucken kannst!

       Und übrigens: Am Mittwoch werde ich dir beweisen, dass du keine Chance gegen mich hast!

       Für dich immer noch:

       Sophia

      Sehr mit sich zufrieden packte sie das Saxofon und die Noten aus und nahm sich die schwierige Passage aus Sir Duke vor.

      Dir werd’ ich’s zeigen, dachte sie verbissen. Sie wiederholte mehrmals einzelne Griffkombinationen, dann begann sie das Tempo Schritt für Schritt zu erhöhen, bis der Lauf wie von selbst abspulte.

      Sophia schrak regelrecht zusammen, als ihre Mutter die Zimmertür öffnete, um sie zum Abendessen zu rufen. So sehr hatte sie sich ins Üben vertieft. Ihre Mutter lächelte: »Timo scheint ja einen ziemlichen Einfluss auf dich zu haben.«

      »Kann man so sagen«, murmelte Sophia, hing das Instrument in den dafür vorgesehenen Ständer und ging zum Abendessen in die Küche.

      Im Flur fielen ihr die ordentlich abgestellten Schuhe ihres Vaters ins Auge. Er hatte es heute also zum Abendessen geschafft – was selten vorkam.

      Es war eine Angewohnheit ihres Vaters, seine Schuhe gleich nach seiner Ankunft zuhause gegen seine bequemen Opa-Pantoffeln auszutauschen. Rot-grün kariert. Das hatte nicht einmal ihre Mutter verhindern können.

      Sie begrüßte ihn mit einem fröhlichen »’n Abend, Paps!« und ließ sich einen Teller Spaghetti vorsetzen.

      »Hmm!«, rief sie freudig aus. Ihr Lieblingsessen. Sie begann sofort, die Spaghetti mit der Gabel aufzurollen. Mit einem Mal registrierte sie das abgespannte Gesicht ihres Vaters. Offensichtlich arbeitete er wieder an einem besonders problematischen Fall.

      »Spaghetti machen glücklich, Papa! So wie du guckst, kannst du zwei Portionen vertragen!«

      Peter Rosenhaag schnaubte kurz durch die Nase, wie zur Bestätigung, blieb aber während der Mahlzeit schweigsam. Sophia berichtete munter von ihrem Tag. Sie versuchte ihren Vater durch ihre unterhaltsame Plauderei von seinen beruflichen Sorgen abzulenken. Da er sich stets auf seine Schweigepflicht berief, hatte sie aufgehört, neugierige Fragen zu stellen. Also tat sie ihr Bestes, um ihn aufzuheitern. Dabei geriet auch das Timo-Computer-Problem in Vergessenheit.

      Peter Rosenhaag schmunzelte über ihren Eifer.

      »Gut, dass ich dich habe, Phia. Wenn Spaghetti die Lösung für