Naturalisten behaupten die Supervenienz des Mentalen über dem Physischen. Aber Supervenienz lässt sich unterschiedlich stark behaupten. Die entsprechenden Korrelationsbehauptungen könnten begrifflich wahr sein, so wie die Sätze »Junggesellen sind unverheiratet« oder »Die Sonne geht im Westen unter« aufgrund von Bedeutungsfestlegungen der Ausdrücke »Junggeselle« oder »Sonne« und »Westen« wahr, mithin begrifflich wahr sind. Man spricht dann von logischer oder begrifflicher Supervenienz. Jedoch hat niemand überzeugende begrifflich wahre Korrelationsbehauptungen präsentieren können. Darauf beruht auch das eben skizzierte zweite Argument.
Etwas schwächer, aber immer noch stark, wäre die sogenannte naturgesetzliche Supervenienz, wonach sich die Korrelationsaussagen aus den grundlegenden Naturgesetzen für das Physische (und möglicherweise gewissen physischen Rand- und Anfangsbedingungen) ableiten lassen. Doch auch hier meldet die Wissenschaft »Fehlanzeige«. Wie sollten psychophysische Korrelationsbehauptungen aus den Naturgesetzen überhaupt logisch-begrifflich folgen? Nehmen wir an, aus den Naturgesetzen N folgten tatsächlich logisch-begrifflich Korrelationsbehauptungen der Form »Der mentale Zustand M ist dann und nur dann realisiert, wenn einer der physischen Zustände P1,…,Pn realisiert ist«. Die Naturgesetze sind jedoch ganz im Vokabular der Naturwissenschaften formuliert. Das aber würde bedeuten, dass aus den Naturgesetzen und einer Aussage der Form »Einer der physischen Zustände P1,…,Pn ist realisiert«, mithin aus rein physikalischen Aussagen, die Aussage »Der mentale Zustand M ist realisiert«, also eine Aussage über Mentales logisch-begrifflich folgt. Und diese Möglichkeit hatten wir oben schon verworfen.
Deshalb muss sich der Naturalismus mit schwacher Supervenienz zufriedengeben. Sind die physischen Zustände der Welt und die grundlegenden Naturgesetze gegeben, so sind damit trotzdem die mentalen Zustände in der Welt noch nicht zwingend determiniert. Das beinhaltet die These von der schwachen Supervenienz. Ihr zufolge lässt das Mentale sich nicht erwarten. Vielmehr tritt es überraschend als etwas Neuartiges gegenüber dem Physischen und seinen Gesetzen in Erscheinung. Bei schwacher Supervenienz spricht man auch von starker Emergenz.24
Doch damit verflüchtigt sich die naturalistische Kernthese, das Mentale sei letztlich etwas Physisches, ins Nebulöse. Die These der starken Emergenz ist zwar mit dem Naturalismus verträglich, kaschiert gleichwohl jedoch gemessen an seinen Erklärungsansprüchen eine Erklärungslücke, die der Naturalismus bisher nicht zu schließen vermag. Starke Emergenz ist bereits Dualismus, aber noch im Gewande des Naturalismus. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum der Naturalismus stagniert.
In Wahrheit ist die Sachlage noch prekärer. Die wissenschaftliche Forschung kennt bisher jedenfalls nur mehr oder weniger grobschlächtig formulierte notwendige physische Bedingungen für das Mentale. Von hinreichenden physischen Bedingungen für psychische Zustände ist weit und breit nichts zu sehen.
Prämisse: Für keine der zwei Behauptungen, dass das Mentale über dem Physischen entweder logisch-begrifflich oder naturgesetzlich superveniert, liegen bisher auch nur im Ansatz plausible Begründungen, geschweige denn solide empirische Hinweise vor.
Prämisse: Wenn keine der zwei Behauptungen ausreichend begründet ist, muss sich der Naturalismus auf die im Kern bereits dualistische These zurückziehen, dass das Mentale aus dem Physischen stark emergiert.
Prämisse: Die dualistische These der starken Emergenz des Mentalen gegenüber dem Physischen ist für den Naturalisten das Eingeständnis einer gravierenden Erklärungslücke.
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Konklusion: Also muss sich der Naturalismus auf die bereits dualistische These der starken Emergenz des Mentalen gegenüber dem Physischen zurückziehen und damit faktisch eine gravierende Erklärungslücke eingestehen.
Schließlich leidet der Naturalismus noch unter einem weiteren Defekt. Selbstverständlich glauben Naturalisten, die materielle Realität zumindest in ihren Grundzügen zureichend erkennen zu können. Zugleich hat sich der Naturalist darauf verpflichtet, alles naturgesetzlich zu erklären. Es ist freilich ausgeschlossen, vollständig naturgesetzlich und zirkelfrei zu erklären, warum wir Menschen die materielle Realität zureichend erkennen. Eine solche Erklärung müsste nämlich die folgende Form annehmen:
Prämisse: Es gelten in Bezug auf uns Menschen als körperliche Wesen die Bedingungen B.
Prämisse: Es gelten in Bezug auf die materielle Welt die Bedingungen U.
Prämisse: Es gilt naturgesetzlich: Insofern wir als körperliche Wesen die Bedingungen B erfüllen und die materielle Welt die Bedingungen U, können wir die materielle Welt hinsichtlich ihrer Aspekte A zureichend erkennen.
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Konklusion: Also können wir die materielle Welt hinsichtlich der Aspekte A erkennen.
Wenn wir die ersten beiden Prämissen für wahr halten, so glauben wir, die materielle Welt wenigstens hinsichtlich der Aspekte B und U bereits zutreffend erkannt zu haben. Natürlich ist vorstellbar, dass wir unser Wissen der Aspekte B und U seinerseits naturgesetzlich erklären können. Gleichwohl kündigt sich damit ein unendlicher Regress an. Ihm entrinnen wir nur, wenn wir schließlich doch auf einen erklärenden Sachverhalt stoßen, den wir nicht mehr naturgesetzlich, sondern auf andere Weise erklären können.
Welche Konsequenz sollten wir aus den erheblichen Erklärungsdefiziten des Naturalismus ziehen? Verkehrt wäre es, den Naturalismus für widerlegt zu halten. Vielleicht versorgt uns die empirische Forschung ja doch eines Tages mit hinreichenden empirischen Evidenzen für echte Korrelationen zwischen mentalen und physischen Eigenschaften. Wer will definitiv ausschließen, dass sich unser Verständnis der fundamentalen Naturgesetze noch so ändern könnte, dass möglicherweise sogar naturgesetzliche Supervenienz des Mentalen über dem Physischen gut begründet erscheint.25 Zudem kann der Naturalist, wenn alle Stricke reißen, immer noch den erkenntnistheoretischen Joker ziehen.26
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