»Und unser ›Spürhund‹ begibt sich nach Kerkrade, um das Umfeld der zweiten Toten zu ergründen«, warf Le Maire in den Raum.
»Wer, ich?«, fühlte sich Devaux angesprochen.
»Ja, du hast ja bereits die Identität der ersten Toten herausbekommen. Also betraue ich dich jetzt auch mit dieser Aufgabe«, kam es lobend aus dem Mund des knorrigen Einsatzleiters. »Und du, mein Freund Pierre, machst mit deiner Suche nach Neuigkeiten über das erste Mordopfer dort weiter, wo du deine Arbeit wegen der zweiten Toten unterbrochen hast. Herbert, du begibst dich wieder nach Burg-Reuland und schnüffelst dort herum, während ich nach Aachen zur Rechtsmedizin fahre.«
»Und was ist mit mir?« Locki machte auf Le Maire erneut einen beleidigten Eindruck, weswegen er nichts erwiderte. »Nehmen Sie sich wenigstens ein Croissant mit!«
»Also gut, du bleibst an unserem Cowboystiefel tragenden Mordverdächtigen dran, okay?«
*
Eine gute halbe Stunde später traf Le Maire in Aachen ein, wo bereits die Rechtsmedizinerin … und Peter Dohmen auf ihn warteten.
»Was ist mit dir, Peter?« Weil sein deutscher Kollege einen betrübten Eindruck auf ihn machte, klopfte Frederic ihm aufmunternd auf die Schulter.
»Ach!«, winkte Peter ab und zeigte zu den beiden Tischen, auf dem weibliche Leichen lagen. »Als wenn dies hier nicht reichen würde, hatten wir heute Nacht einen Einbruch in Aachen.«
»Bei wem?«
»Bei einem Juwelier am Büchel.«
»Wurde dort nicht schon mehrmals eingebrochen?«, wusste Le Maire, weil dies längst hinter der belgischen Grenze amtsbekannt geworden war.
»Ja«, bestätigte der Aachener Kriminalbeamte. »Unsere Mordkommission hat damit zwar nichts zu tun, musste aber für die Fahndung nach dem oder den Schuldigen ein paar Leute abstellen.«
»Schon komisch, oder?«
»Was meinst du, Frederic?«
»Na ja, dass bei ein und demselben Juwelier gleich mehrmals nacheinander eingebrochen wird.«
Bevor Peter Dohmen seine persönliche Einschätzung zu den Einbrüchen abgeben konnte, unterbrach die Rechtsmedizinerin die Unterhaltung der beiden. »Hallo? Hier spielt die Musik!« Angelika verzichtete auf ein Begrüßungsküsschen und führte den belgischen Mordermittler gleich zu einem von zwei Tischen, auf denen je eine weibliche Leiche lag. »Um es gleich vorab zu sagen: Wie schon bei der ersten Toten glaube ich nicht, dass der Mörder geschlechtliche Nähe zu ihr gesucht hat. Denn der letzte Verkehr liegt bei diesem Opfer mindestens zwölf Stunden zurück.«
»Aber das hat doch nichts zu sagen«, hielt Frederic dagegen, in der Hoffnung, hier möglicherweise DNA des Mörders zu bekommen.
Angelika musste seinen Enthusiasmus bremsen: »In diesem Fall schon. Sie hat sich danach gebadet oder geduscht. Dennoch habe ich Abstriche genommen.«
»Und?«, drängte Frederic.
Angelika schaute ihren Partner mit einem bedauernswerten Blick an, bevor sie ihm mitteilte, dass es sich leider in beiden Fällen um ältere Erbinformationen handelte. »Jedenfalls hatten beide Frauen bei ihren letzten Geschlechtsakten Kondome benutzt.«
»Merde!«
»Bevor du dich aufregst, kann ich dir sagen, dass die Frau nicht durch einen Stich in die Lunge, sondern durch einen tiefer angesetzten Stoß an inneren Blutungen gestorben ist.«
»Und was sagt mir das jetzt? Dass es ein- und derselbe Mann gewesen ist, der beide Frauen mit der gleichen ›Stichtechnik‹ ermordet hat?«
»Ja«, gab die Ärztin ihrem Partner recht und konkretisierte das Ganze: »Das zweite Opfer war größer als das erste. Deswegen hat der Mann in diesem Fall nicht die Lunge, sondern von schräg unten durch die rechte Niere hindurch die Leber durchstoßen. Dass dieser Stich ebenfalls von unten kam, zeigt der Stichkanal. Siehst du?«
»Das heißt, dass der Mörder bei Nursanti Ohaman genau so zugestochen hat, wie bei Sushila Perumal; nämlich mit dem Daumen der messerführenden Hand nach vorn.«
Wie schon beim ersten Mal setzte Dr. Laefers’ Assistent die Leiche auf, damit der Ermittler einen Blick auf deren Rückseite werfen konnte. Als dies erledigt war und der Leichnam wieder auf dem Rücken lag, zog Jussuf Abdalleyah das Laken von der anderen Leiche bis zum Unterleib zurück. Die Ärztin zeigte zuerst auf die Brust der Toten, dann zum Armstumpf, sagte aber nichts. Dies wiederholte sie bei der anderen Leiche.
Frederic betrachtete die schuhförmigen Hämatome und die Armstümpfe beider Leichen ganz genau, bevor er feststellte, dass es sich auf dem Brustkorb der neuen Leiche um einen linken Schuhabdruck handelte, besser ausgeprägt als beim ersten Opfer. »Außerdem sieht es so aus, als wenn der Arm hier nicht ganz so sauber abgetrennt wurde, wie bei der Toten nebenan«, bemerkte er knapp. »Hier musste der Mörder ein wenig über Kreuz arbeiten, weswegen sein Schnitt nicht so gut gelungen ist wie bei Sushila Perumal.« Dann klatschte er sich an die Stirn und verkündete triumphierend, dass der Mörder der beiden Frauen ein Linkshänder war.
Angelika nickte. »Höchstwahrscheinlich, ja.«
Dohmen klopfte ihm auf die Schulter. Le Maire wollte sich gleich mit dem nächsten Punkt befassen und die Psychologie des Mörders ergründen. »Gut ist, dass wir jetzt einen ganzen Schritt weiter sind. Schlecht ist allerdings, dass wir es mit einem gefährlichen Serienkiller zu tun haben«, stellte er abschließend fest, während Jussuf die beiden toten Körper bedeckte und damit begann, die Leiche mit der Zehennummer 2021-15/11 a in Richtung der Kühlfächer zu schieben.
*
»Weißt du was?«, meinte Frederic Angelika gegenüber, nachdem sein Aachener Kollege gegangen war.
Die Rechtsmedizinerin war gerade dabei, sich die Hände zu waschen. »Ich höre.«
»Herbert, mein Streifenpolizist, hat sich in Burg-Reuland mit Einheimischen unterhalten. Dabei hat er von einer Frau etwas Interessantes erfahren. Und das möchte ich mir gerne selber anhören.«
»Ja, und?«, wunderte sich Angelika wegen des euphorisch klingenden Tones.
»Was hältst du davon, mich zu begleiten? Ich lade dich dort ins Restaurant ›Rosen‹ ein, da soll es eine kleine, aber feine Karte geben …«
»… auf der auch Fritten stehen, stimmt’s?«
Ertappt blieb Frederic nichts anderes übrig, als zuzugeben, Locki »rein sicherheitshalber« darum gebeten zu haben, sich übers Internet in diesem Restaurant danach zu erkundigen, ob es dort auch Fritten zu den Speisen geben würde. »Was ist jetzt? Hast du Lust oder soll ich allein fahren?«
Dass Angelika zögerte, wunderte Frederic. Normalerweise war sie es, die ihn in feine Lokale schleppte, und nicht umgekehrt. Deswegen traute sie ihm nicht ganz über den Weg. Aber letztlich ließ sie sich auf das Abenteuer ein. Selbstverständlich nicht