Von den Einrichtungen der Klöster. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659936
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sondern den Vätern durch einen Engel vom Himmel mitgetheilt worden sei.

      5. Die Zwölfzahl der Psalmen rührt von einem Engel her.

      

      Die wenigen, aber sehr erprobten Männer, welche im Anfange des Christenthums unter dem Namen „Mönche“ begriffen wurden, und welche unter Andern vom Evangelisten Markus seligen Andenkens, dem ersten Bischofe von Alexandrien, eine Regel erhielten, haben nicht bloß jene großmüthigen Dinge beibehalten, welche, wie in der Apostelgeschichte zu lesen, Anfangs die Kirche, d. h. die Menge der Gläubigen, zu thun gewohnt war,20 sondern sie gingen darüber noch hinaus und übten noch Höheres. Sie zogen sich nämlich in die entlegeneren Vorstädte zurück und führten ein Leben voll so großer Strenge und Abtödtung, daß sogar Diejenigen, welche nicht der christlichen Religion angehörten, über eine so rauhe Lebensweise mit Staunen erfüllt wurden. Denn mit einem so glühenden Eifer widmeten sie sich Tag und Nacht der Lesung der heiligen Schriften, dem Gebete und der Handarbeit, daß sie nicht zu essen begehrten, ja nicht einmal daran dachten, ausser um den zweiten oder dritten Tag; alsdann aber nahmen sie Speise und Trank nicht als etwas Ersehntes, sondern als etwas zum Leben Nothwendiges, und Dieß thaten sie nicht eher, als kurz vor Sonnenuntergang, um so den Tag ganz der Betrachtung und Uebung geistiger Dinge zu widmen und die Sorge für den Leib nur der Nacht vorzubehalten. Ausserdem aber übten sie noch weit größere Vollkommenheiten, als wie hier erzählt wird; darüber kann sich Jeder, der nicht weiter in persönlichen Beziehungen zu den Mönchen gestanden, durch die Kirchengeschichte belehren lassen.

      Zu jener Zeit nun, als die Vollkommenheit der ersten Kirche bei den Nachfolgern jener heiligen Männer noch in frischem Andenken stand und unversehrt fortdauerte, und als der lebendige, feurige Glaube sich noch nicht im ganzen Volke verbreitet hatte und darum noch nicht lau geworden war, da kamen einst die ehrwürdigen Väter, beseelt von lebhafter Sorge für die Nachfolgenden, zusammen, um sich zu verständigen, welche Regel für die tägliche Lebensweise in der klösterlichen Gemeinschaft festzustellen sei, um so ihren Nachfolgern ein Erbe der Liebe und des Friedens zu hinterlassen, aus dem jede Erörterung gegentheiliger Meinungen ausgeschlossen wäre. Sie befürchteten nämlich, es möchten verschiedene Ansichten, welche über die täglichen Gottesdienstfeierlichkeiten unter Männern derselben Lebensweise entstünden, einst die Veranlassung zu Irrthümern, Eifersucht oder gar Spaltungen werden. Während nun ein Jeder nach Maßgabe seines Eifers und fremder Schwäche uneingedenk Vorschläge machte, welche er in Anbetracht seines Glaubens und seiner Stärke für sehr leicht ausführbar hielt, erwog man nicht hinlänglich, was für die große Masse der Brüder, in der sich nothwendig immer auch eine große Anzahl von Schwachen befindet, möglich ist. So überboten sie sich denn gegenseitig im Gefühle ihrer Seelenstärke, eine sehr große Anzahl von Psalmen aufzustellen; die Einen stimmten für fünfzig, die Anderen für sechzig, wieder Andere, mit dieser Zahl nicht einmal zufrieden, glaubten noch weiter gehen zu müssen, und es entstand bei der Aufstellung der Ordensregel gewissermaßen ein heiliger Wettstreit, welcher sich bis zur Zeit der gemeinschaftlichen Abendandacht hinzog. Sie schickten sich nun an, die gewöhnlichen Gebete zu verrichten. Einer von ihnen erhob sich und trat in die Mitte, um dem Herrn Psalmen zu singen; alle Übrigen saßen (wie es jetzt noch in Aegypten Sitte ist) und hielten ihre Herzen mit der größten Andacht auf die Worte des Vorsängers gerichtet. Als dieser nun eilf durch eingeschobene Gebete von einander getrennte Psalmen, und zwar einen Vers nach dem andern in gleichmäßigem Vortrage, abgesungen und den zwölften durch Hinzufügung von „Alleluja“ beendigt hatte, wurde er plötzlich vor Aller Augen entrückt, und damit war sowohl der Gottesdienst beendigt als auch die streitige Frage erledigt.

      6. Der Gebrauch der zwölf Orationen.

      

      Weil diese ehrwürdige Versammlung von Vätern demnach durch einen Engel belehrt worden war, daß hiedurch nicht ohne besondere Fügung Gottes eine allgemeine Regel für alle klösterlichen Genossenschaften aufgestellt worden sei, so verordnete sie, daß die Zwölfzahl sowohl bei der abendlichen als auch bei den nächtlichen Gebetsversammlungen beibehalten werde. Hiezu fügten sie noch zwei Lesungen, die eine aus dem alten, die andere aus dem neuen Testamente, aber nur als etwas von ihnen Angeordnetes und Aussergewöhnliches und nur für die, welche es freiwillig thun wollten, und deren besonderes Streben darauf ging, die heiligen Schriften ihrem Gedächtnisse einzuprägen. Am Sabbathe (d. h. am Sonntage) lesen sie beide aus dem neuen Testamente, nämlich die eine aus den apostolischen Briefen oder der Apostelgeschichte, die andere aus den Evangelien. Das Gleiche thun auch an allen Tagen der Quinquagesima21 Diejenigen, welche dem Lesen oder Auswendiglernen der heiligen Schrift besonders obliegen.

      7. Die Haltung beim Gebet.

      

      Die oben erwähnten Gebete beginnen und schließen sie derart, daß sie nach Beendigung eines Psalmes nicht sogleich zur Kniebeugung gleichsam hinstürzen, wie wir es vielfach in dieser Gegend thun, die wir nach kaum beendigtem Psalm eiligst zum Gebete niederfallen, um so schnell als möglich zum Ende zu gelangen. Während wir auf der einen Seite das von den Vätern ursprünglich festgesetzte Maß des Gebetes überschreiten, eilen wir auf der andern Seite, auf die Zahl der noch übrigen Psalmen schauend, mit Hast zum Schlusse, indem wir mehr auf die Erholung unseres müden Leibes als auf den Nutzen und die Vortheile des Gebetes bedacht sind. Bei Jenen ist Dieß nicht so, sondern bevor sie die Kniee beugen, beten sie ein wenig für sich und bringen dann längere Zeit stehend in lautem Gebete zu; hierauf machen sie eine kurze Kniebeugung, wie um die göttliche Barmherzigkeit anzubeten, stehen dann sofort wieder auf und verharren sodann wiederum stehend und mit ausgebreiteten Armen, wie auch vorher, in noch inständigerem (leisen) Gebete. Sie behaupten nämlich, wer längere Zeit am Boden kniee, der werde nicht bloß durch zerstreuende Gedanken, sondern auch durch Schlaf angefochten. Auch wir wissen, daß Dieß wahr ist; wüßten wir es nur nicht aus eigener Erfahrung und täglicher Gewohnheit, wir, die wir, zu Boden gestreckt, diese gebeugte Lage des Körpers häufig nicht so sehr des Gebetes als der Bequemlichkeit wegen allzu lange einzunehmen wünschen! — Wenn aber Derjenige, welcher das Gebet laut vorbetet, von der Erde aufsteht, so erheben sich sofort Alle; Keiner kniet nieder, bevor Jener das Knie beugt, und Keiner wagt einen Augenblick zu zögern, wenn Jener sich vom Boden erhebt, und es hat den Anschein, nicht als ob sie sich im Gebete nach dem, der vorbetet, richteten, sondern als ob Jeder nur sein eigenes Gebet verrichtete.

      8. Die auf den Psalm folgende Oration.

      

      Jenen Gebrauch, den wir in dieser Gegend22 gefunden haben, daß, während Einer den Psalm bis zu Ende singt, die Andern sich sodann alle erheben und laut im Chore singen: Ehre fei dem Vater u. s. w., den haben wir im ganzen Morgenlande nirgends angetroffen; dort wird vielmehr von dem Vorsänger am Ende eines jeden Psalmes, während alle Übrigen schweigen, eine Oration gesprochen. Mit dem erwähnten Lobspruch auf die heiligste Dreifaltigkeit pflegen nur die Antiphonen geschlossen zu werden.

      9. Die Beschaffenheit des Gebetes.

      

      Indem wir die Einrichtungen der Klöster der Reihe nach beschreiben, kommen wir folgerichtig auch an die Art und Weise, wie die kanonischen Tageszeiten verrichtet werden sollen, eine Sache, deren ausführlichere Erörterung wir uns für die „Besprechungen mit den Vätern“ vorbehalten wollen; denn alsdann werden wir Dieß erschöpfender auseinandersetzen, indem wir mit ihren eigenen Worten die Beschaffenheit und beständige Übung des Gebetes des Näheren besprechen werden. Da sich indessen hier eine passende Gelegenheit bietet, so halte ich es für geboten, an dieser Stelle Einiges davon zu berühren; denn wenn wir jetzt bei der Beschreibung der Zustände des äusseren Menschen gewissermaßen auch zugleich die Fundamente für das Gebet legen, so werden wir später, wenn wir uns anschicken, den Zustand des inneren Menschen zu besprechen, den Ausbau des Gebetes leichter vollenden können. Vor Allem aber wollen wir dafür Sorge tragen, daß, wenn uns ein vorzeitiges Ende an der