„Ein Serientäter, der seine Leichen in Giftfässern entsorgt hat?“, fragte Kilian zweifelnd.
Tom Haase nickte.
„Daran, dass die vermisste Norma Jeremies in dem Säurefass an Bord der PRIDE OF EMDEN war, gibt es keinen Zweifel. Der Körper war in Anbetracht der Säurekonzentration wahrscheinlich nach wenigen Wochen vollkommen zersetzt. Das Skelett ist dann nach spätestens drei Monaten völlig aufgelöst gewesen. Eine chemische Feinanalyse wird da kaum noch genauere Erkenntnisse bringen. Der menschliche Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser, das später von dem Wasser, in dem die Säue gelöst war, nicht mehr zu unterscheiden war. Knochen und Zähne brauchen etwas länger bis sie aufgelöst werden, aber letztlich blieb nur das Brustimplantat.“
„Besteht irgendein Anlass, darüber nachzudenken, ob der Mord an Norma Jeremies vielleicht im Zusammenhang mit einer Verwicklung in Machenschaften der Müll-Mafia geschah?“, fragte Herr Menninga.
„Ich habe bereits eine Schnellabfrage ans BKA gestartet“, mischte sich unser Kollege Kommissar Tadaeus Ulfert ein. „Es gibt kein Indiz, das darauf hindeutet. Norma Jeremies arbeitete für eine Lokalzeitung, den Bremer Anzeiger. Ihr Alltag dürften Berichte über den örtlichen Kaninchenzüchterverein, und die Unfälle der Umgebung gewesen sein.“
„Das ist noch nicht alles“, fuhr Haase fort. „Wir haben natürlich auch die anderen Fässer untersucht. Dabei sind wir auf weitere menschliche Überreste gestoßen, die möglicherweise von Opfern des Serientäters stammen. Es handelt sich um einen Goldzahn und ein halb zersetztes Knochenfragment. Da beides in unterschiedlichen Fässern sichergestellt wurde, nehmen wir an, dass es sich um zwei verschiedene Opfer handelte, die wir bislang allerdings noch nicht die identifizieren konnten.“
„Wir werden alle vermissten Personen, die ins Raster passen mit den Spuren abgleichen“, erklärte Tadaeus Ulfert „In Frage kommt bisher Nancy Kratzenberg, seit vier Jahren vermisst, rothaarig, zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 24 Jahre alt und von Beruf Bedienung in einem Schnellimbiss in Bremen.“
Herr Menninga wandte sich an Jan und mich. „Ich möchte, dass Sie und Jan sich nach Bremen begeben und der Sache auf den Grund gehen“, erklärte er. „Ich habe vorhin mit den zuständigen Kollegen dort gesprochen. Die Bremer Polizei wird Sie in jeder Hinsicht unterstützen. Kann sein, dass dies nur ein Zufallsfund ist, der mit den Ermittlungen gegen Hinnerk Martensteen und die Müll-Mafia nicht das Geringste zu tun hat. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hier möglicherweise ein gefährlicher Serientäter am Werk war, der noch immer aktiv sein könnte!“
„Es wäre gut, wenn wir wüssten, von wo genau die Giftfässer stammten“, sagte ich.
„Daran arbeiten wir“, erklärte Tom Haase.
„Insofern haben beide Fälle schon etwas miteinander zu tun, denn Martensteen hat uns bisher nicht verraten, wessen Müll er mit Hilfe der PRIDE OF EMDEN entsorgen wollte“, ergänzte Tadaeus Ulfert. „Aber das Auffinden des Brustimplantats gibt uns natürlich einen Hinweis in Richtung Bremen.“
„Fand nicht auch Henning Martinis letzter Auftragsmord in der Nähe von Bremen statt?“, fragte ich an Tadaeus gerichtet.
Unser Kollege nickte. „Das stimmt.“
9
Der Mann mit dem Goldkreuz auf der Brust nahm sein Glas und machte zwei Schritte nach vorn. Er fixierte mit seinem Blick die Frau Mitte zwanzig, deren rot gelockte Mähne bis weit auf den Rücken hinabreichte. Sie rührte lustlos mit dem Trinkhalm in ihrem Drink herum. Giftgrün war der Drink, eine Spezialität von Anselm dem Barkeeper. Es gab sicher nicht wenige, die Anselms Drinks wegen in Mäckis Bar kamen. Aber die Rothaarige machte den Eindruck, als wüsste sie die Qualität ihres Drinks heute nicht zu schätzen.
Der Mann mit dem Kreuz auf der Brust setzte sich auf den Hocker neben ihr und stellte sein eigenes Glas auf den Tresen.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte der Mann mit dem Kreuz. Sie ignorierte ihn zunächst.
Aber das ließ der Mann mit dem Kreuz nicht gelten. Er wiederholte seine Frage einfach – diesmal etwas lauter, sodass sich einige der anderen Gäste schon umdrehten.
Die Rothaarige drehte sich nun zu ihm herum und blickte auf. „Das haben Sie doch schon getan“, sagte sie. Sie musterte ihn. Ihr Urteil stand nach ein paar Sekundenbruchteilen fest. Das war niemand, mit dem sie sich länger beschäftigen wollte. Aber er ließ sich nicht so schnell einschüchtern.
„Mein Name ist Benny“, sagte er.
„Ach!“
„Und wenn Sie nicht schon einen Drink hätten, würde ich Ihnen einen ausgeben.“
„Danke, aber das möchte ich nun wirklich nicht.“
„Wieso? Was ist schon dabei? Nur ein Drink.“
Ihre Stimme bekam jetzt einen ziemlich genervten Tonfall. „Hören Sie, Herr, ich...“
„Sie heißen Rabea, nicht wahr?“, unterbrach er sie. Er lächelte dabei auf eine Weise, die ihr nicht gefiel. Es war ein Lächeln, das mehr vom Triumph eines Raubtiers hatte, als dass es als Zeichen einfacher Freundlichkeit hätte durchgehen können. Sein Blick fixierte sie. Er schien ihre Verwirrung zu genießen.
Die Rothaarige sah ihn erstaunt an. „Woher wissen Sie das?“, fragte sie kühl.
„Ich bin öfter hier. Und Sie auch. Das erklärt doch einiges.“
„Das erklärt gar nichts.“
„Offenbar haben Sie mich noch nie bemerkt, aber ich konnte nicht umhin einige der Gespräche mit anzuhören, die Sie an dieser Bar geführt haben.“
„Sie belauschen also gerne andere Leute. Na großartig!“
„Rabea Frerich. Das stimmt doch oder? So heißen Sie doch!“
Sie schluckte. Eine tiefe Furche