Dieses intuitive, vorbewusste Wissen repräsentiert sich dort aber auf andere Art, quasi mit einer anderen Sprache als das so genannte bewusste Wissen. Es drückt sich in einer anderen Form von Logik aus (mehr im Sinne von Sowohl-als-auch, also im Gegensatz zur aristotelischen Logik), in Bildern, Empfindungen, mehr oder weniger diffusen Gefühlen, eben in vorsprachlicher, sinnlicher Weise („Der Alligator und die Kuh in uns haben eben noch keine Sprache“). Für unsere rationale, bewusste Denkwelt wirkt dies oft fremd und unverständlich, meist werden die aus der irrationalen Welt kommenden Botschaften in unserer Kultur nicht so ernst genommen oder sogar als Grundlage von Entscheidungsprozessen verpönt. Die moderne ericksonsche Sicht plädiert nun keineswegs dafür, dass dieser intuitive Bereich allein dominieren sollte und die Kompetenzen des bewussten, rationalen Denkens übergehen sollte. Vielmehr stellt sich die Aufgabe, eine wertschätzende Kooperationsbeziehung zwischen diesen verschiedenen Seiten menschlicher Kompetenz aktiv herzustellen und zu nutzen. Dies erfordert den Aufbau und die systematische Beachtung einer Art innerer Moderatorenfunktion im Menschen für diese unterschiedlichen Kulturprozesse in uns, die immer gleichzeitig ablaufen. Nur dann können wertschätzende Verhandlungen und Übersetzungsleistungen zwischen diesen Teilbereichen unserer Kompetenz entstehen und eine ganzheitliche Integration unserer Kompetenzbereiche gewährleistet werden.
Erleben als Ausdruck und Ergebnis von Aufmerksamkeitsfokussierung
Wenn unwillkürliche Prozesse so zentral für menschliches Erleben sind, erscheint es wichtig für Therapie und Beratung, sie systematisch zu nutzen für die gewünschten Ergebnisse, für welche Aufträge erteilt werden. Dies ist das Ziel aller Hypnotherapie. Sie kann beschrieben werden als das systematische und gezielte Arbeiten mit Prozessen der Aufmerksamkeitsfokussierung, insbesondere zur Aktivierung von unwillkürlichen Prozessen (gewünschter Art).
Als Aufmerksamkeitsfokussierung kann die selbst organisierte Form des assoziativen Zusammenfügens von sinnlichen Erlebniselementen bezeichnet werden. Synchron verbunden werden z. B. visuelle Elemente (innere und äußere Bilder, Filme), auditive Elemente, innere und äußere Dialoge, kinästhetische, gustatorische und olfaktorische Eindrücke, Alters- und Größenerleben, Atemmuster, Körperkoordination mit Verhalten, Bewertungen und Bedeutungsgebung. Auch diese Verkopplungen werden als „Muster“ bezeichnet. Erleben ist Ergebnis solcher selbst (auf willkürlicher und unwillkürlicher Ebene) zusammengefügter Muster (für ausführlichere Beschreibungen siehe die Kapitel über Hypnosyste mische Kompetenzentfaltung bzw. Wahrgebungen).
Die Kenntnis der Art, wie Aufmerksamkeitsfokussierung geschieht, hilft uns sehr dabei, das Phänomen „Hypnose“ und auch „Hypnotherapie“ endlich zu entmystifizieren und den Wust undifferenzierter, total verzerrender Vorurteile über diese Verfahren aufzulösen. Milton Erickson betonte zu Recht immer wieder, dass Hypnotherapie nur völlig natürliche, von allen Menschen permanent im üblichen Alltagsleben praktizierte Prozesse nutzt. In einer Hypnotherapie geschieht grundsätzlich eigentlich gar nichts Neues, es kann niemals von außen etwas „in den Menschen hineingebracht“ werden, was nicht ohnehin schon längst als gelebtes Potenzial gespeichert ist.
Traditionell wurde in der Hypnotherapie die Fokussierung von Aufmerksamkeit angeregt durch „Suggestionen“, die als direkte Anregungen oder Aufforderungen, oft sogar als eine Art von Befehlen kommuniziert wurden. Zwar erweckte das immer wieder den Eindruck, als ob man von außen jemanden zu etwas bringen könnte, auch gegen seinen Willen (Suggestion kommt von subgerere = unterschieben). Die Autopoieseforschung zeigt aber klar, dass man niemals jemanden von außen zu einem Erleben zwingen kann, die Bedeutung einer Botschaft wird ohne Ausnahme immer vom Empfänger der Botschaft bestimmt, nicht vom Sender. Deshalb hat der Begriff „Suggestion“ in seiner traditionellen Bedeutung keinen Sinn. Jede Fremdsuggestion, so die allgemein geteilte Auffassung im Feld der Hypnotherapie, wirkt immer nur als Selbstsuggestion. Diese Grundannahme veranlasste Milton Erickson dann auch, statt der üblichen direkten „Suggestionen“ viele indirekte Strategien zu nutzen, um Menschen zu selbst organisierten Fokussierungsprozessen anzuregen, z. B. „Einstreutechniken“, Implikationen, auch Konfusionstechniken, Fragen, welche die Aufmerksamkeit auf einen gewünschten Bereich lenken sollten, besonders auch das Angebot von Metaphern und Symbolen und das Erzählen von Anekdoten, welche eigenständige innere Imaginations- und Fokussierungsprozesse anregen sollten.
Die Theorie lebender Systeme als autonomer, sich selbst organisierender Systeme (Autopoiese) belegt in aktueller wissenschaftlicher Form nur noch einmal, was bei Erickson schon immer selbstverständliche Grundlage der Arbeit war, nämlich dass alle hypnotischen Induktionsprozesse letztlich immer selbsthypnotische Prozesse sind. Dies lässt sich durch unzählige Alltagsbeispiele belegen. Als besonders nützlich erscheint es mir, dafür das übliche menschliche Träumen als Anschauungsmaterial zu nutzen. Denn was während des spontanen Prozesses eines Traums geschieht, ist dem Erleben sehr ähnlich, das sich auch in einer gelingenden Hypnotherapie entwickelt (im Traum wirkt es oft aber noch intensiver).
Stellen wir uns also vor, wir würden nachts zu Bett gehen und uns schlafen legen. Nehmen wir nun an, dass es uns zu diesem Zeitpunkt ausgezeichnet geht. Wir fühlen uns sehr behaglich, sicher, haben das Gefühl, in unserem Leben würde es zurzeit optimal ablaufen, wir fühlen uns sehr zufrieden und auch körperlich optimal im Lot (denkbar wäre ja ein solches Erleben, nicht wahr?). Sicher werden wir nun, wie bei jedem gewöhlichen Schlaf, unsere üblichen REMPhasen erleben und träumen. Träumen heißt ja aber im Grunde nur, dass wir in selbst organisierter Weise eine eigene „Multimediashow“ (auf allen Sinneskanälen) inszenieren. Wir sind dabei Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler, Beobachter etc. in einem. Die Art aber, wohin wir träumen, welchen quasi Traumfilm wir gerade produzieren, entscheidet nun mit machtvoller Konsequenz über das, was wir erleben, ja sogar, zu wem wir ganzkörperlich werden. Wenn wir z. B. nun einen Albtraum träumen würden, dann kann es uns vorher noch so gut gegangen sein, in Sekunden wird sich nicht nur unsere emotionale Reaktion verändern, sondern auch unsere körperlichen Prozesse werden massiv verändert. In kürzester Zeit ändern sich unser Blutdruck, unser Puls, unsere Atmung, sogar das Blutbild und die Hormonsituation werden nachhaltig verändert, möglicherweise (je nach Trauminhalt) erleben wir Todesangst, einen Schweißausbruch etc. Wenn nun aber, was in Träumen ja oft geschieht, plötzlich selbst organisiert ein anderer Trauminhalt eingespielt wird (Szenenwechsel, quasi director’s cut), z. B. eine sehr schöne Szene, dann ändern sich wieder in kürzester Zeit alle diese Prozesse, wir werden wieder schnellstens zu jemand anderem, auch ohne verstanden zu haben, woher das vorherige Erleben kam oder ohne es „durchgearbeitet“ zu haben. Dies alles ist nur ein Ergebnis davon, wohin wir unsere Aufmerksamkeit ausrichten im Traum. Ein zentrales Element kommt allerdings noch hinzu: Es ist sehr entscheidend, aus welcher Beobachterposition wir das alles erleben. Im üblichen Traum sind wir sehr intensiv assoziiert mit dem, was wir im Traum beobachten. Würden wir aber z. B. die Methode des „luziden Träumens“ nutzen (La Berge 1991; Tholey 1989), bei der man einfach lernt, während des Träumens den eigenen Traum zu beobachten, sich also auf eine Art Metaebene zu begeben und sich so vom Traumgeschehen etwas zu dissoziieren (und