Man braucht jedoch nicht zwingend in die Abgründe der außer Rand und Band geratenen Finanzwelt zu blicken, um zu merken, dass Produkte immer komplizierter werden. Dafür reicht auch ein Blick auf den eigenen Computer. Heutzutage gibt es wohl kaum eine Arbeitsstelle mehr, bei der das «Beherrschen» von MS Word und Excel nicht als grundlegende Voraussetzung gilt. Und wir alle würden bei einer allfälligen Stellenbewerbung mit gutem Gewissen behaupten, dass wir die beiden Programme auch tatsächlich verstehen. Tun wir aber nicht. Als durchschnittliche Nutzer kennen wir uns lediglich bei knapp zehn Prozent aller Funktionen, die die beiden Programme nach unzähligen Updates mittlerweile zu bieten haben, wirklich gut aus.
Im Gegensatz zu Computerprogrammen, bei denen eine gewisse Kompliziertheit gewissermaßen zur DNA gehört, sind Auktionen eine denkbar einfache Angelegenheit. Diejenigen, die ein Gut erwerben wollen, machen Angebote. Der Verkäufer sammelt sie ein und gibt am Ende dem Meistbietenden den Zuschlag. So war es zumindest früher. Nun aber machte sich die Deutsche Fußball Liga (DFL) daran, das simple Verkaufsprinzip einer Auktion zu perfektionieren, mit dem Ziel, die Fernsehrechte für die Bundesligasaison 2017/18 mittels Onlineauktion an den Meistbietenden zu bringen. Hierfür wurde das «Produkt» Bundesliga in 17 verschiedene Pakete aufgeteilt. Das daraus resultierende Onlineauktionsverfahren war am Ende so kompliziert, dass potenziellen Bietern im Vorfeld der Auktion ein Seminar zum besseren Verständnis angeboten werden musste.
Es ist der Wettbewerb, der dazu führt, dass Produkte fortwährend zusätzliche Funktionen erhalten. Dienstleistungen werden ausgebaut und in unterschiedlichsten Varianten angeboten. Prozesse werden in einer vernetzten Welt vielfältiger und haben mehr Schnittstellen.
Die Erfahrung, dass Produkte, die mit einer Vielzahl von Funktionen ausgestattet sind, nur vordergründig einen Attraktivitätsvorsprung gegenüber einfacheren Produkten besitzen, haben wir alle schon einmal gemacht. Ob es sich um moderne Features bei Automobilen wie etwa einem Reifendrucksensor oder um die Installation eines Fernsehers mit Internetzugang, Sat-Programmen und Webcam handelt: Eine möglichst große Funktionsvielfalt begeistert uns auf den ersten Blick. Sobald die Produkte aber tatsächlich installiert und bedient werden müssen, wirkt die Überfülle an Features plötzlich störend. Weil die Geräte nicht mehr intuitiv bedient werden können, empfinden wir ihre Funktionsweise als kompliziert – Überforderung stellt sich ein. Die Konsequenz: In der Praxis geben wir einfacheren Produkten oft den Vorzug.
Jeder intelligente Narr kann Sachen größer und komplexer machen. Es braucht etwas Genialität und viel Mut, um die gegenrichtung einzuschlagen.
Albert Einstein
Die «gut genug»-Revolution
Ob Computer, Fernseher, Backofen oder Smartphone: Bei technischen Produkten galt bisher uneingeschränkt die Devise «Mehr ist besser». Völlig klar, dass jede neue Gerätegeneration mit neuen aufsehenerregenden Features aufzuwarten hatte – schließlich lechzte die Zielgruppe danach. «Stillstand bedeutet Rückschritt» wurde zum unwidersprochenen Glaubensbekenntnis eines florierenden Industriezweigs.
Doch nun zeichnet sich eine Trendwende ab, wie der Trendradar des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt: Ausgerechnet «Wired», das Zentralorgan der Technik- und Gadget-Lovers, verkündet die «Good Enough Revolution». Immer mehr Menschen würden einfachere und billigere Low-End-Produkte den perfektionierten, hochglanzpolierten und komplizierten High-End-Versionen vorziehen. Bereits vor zehn Jahren kauften sie eine einfache, günstige «Flip Ultra» statt einer hochauflösenden Markenkamera, heute werden Filme mit einer kleinen GoPro-Kamera oder auf dem Smartphone gedreht. Videos werden auf dem Computer statt auf HDTV geschaut, es wird mit Skype telefoniert und Microsoft Office und Outlook gegen Gmail und Google-Text getauscht. Die Basisversionen von Webtools wie Flickr oder Doodle werden zum Ideal – die kostenpflichtigen Upgrades zur unnötigen Spielerei.
Einfachheit zahlt sich aus: Der «global Brand Simplicity Index»
In der heutigen Zeit sehnen sich immer mehr Leute nach Einfachheit. Man sieht das nicht nur daran, dass im digitalen Dialog einfache Piktogramme, sogenannte Emojis, immer mehr die geschriebene Sprache verdrängen. Auch das Bedürfnis nach einfachen Produkten und Dienstleistungen wird immer größer. Das erstaunt nicht: Denn einfache Dinge brauchen weniger Erklärung, funktionieren besser und führen letztlich zu mehr Zufriedenheit.
Die New Yorker Marketingberater Siegel+Gale haben in einer groß angelegten globalen Studie untersucht, inwiefern Unternehmen durch Vereinfachung das Markenerlebnis nachhaltig verbessern können. Zu diesem Zweck werden jährlich über 10.000 Konsumenten in verschiedenen Ländern befragt. Aus dieser Befragung ergibt sich ein Ranking, der sogenannte «Global Brand Simplicity Index», der Auskunft darüber gibt, welche Unternehmen und Marken die Kunden wegen ihrer Einfachheit besonders schätzen – und für welche Produkte sie deshalb mehr zahlen würden. Als einfach gilt ein Produkt, wenn es leicht zu verstehen ist, als transparent und ehrlich empfunden wird, die Bedürfnisse der Kunden ernst nimmt und auch tatsächlich einen sinnvollen Kundennutzen bietet. Das Ergebnis lässt aufhorchen. Es zeigt, dass Einfachheit tatsächlich einem echten Kundenbedürfnis entspricht und für Unternehmen ein nicht zu unterschätzender Faktor für wirtschaftlichen und finanziellen Erfolg ist.
Wie die Studie zeigt, wird ein Produkt am ehesten dann weiterempfohlen, wenn es besonders einfach ist. Für einfachere Produkte ist eine Mehrheit sogar bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. Wie durchschlagend Einfachheit als wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist, zeigt eine letzte Zahl: Fasst man die Unternehmen, die im «Global Brand Simplicity Index» weit oben stehen, in einem eigenen Aktienindex zusammen, würde dieser Index andere Aktienindizes um Längen schlagen. Zwischen 2009 und 2015 hätte ein entsprechendes «Simplicity Portfolio» einen Kursgewinn von 293 % verzeichnet. Im selben Zeitraum ist der DAX um 102 % gewachsen, der Dow Jones um 78 %.
Welche Unternehmen stehen im «Global Brand Simplicity Index» ganz oben? Regelmäßig stehen Aldi, Google und Lidl auf dem Siegerpodest, dicht gefolgt von Netflix, McDonald’s, Burger King und Ikea. Und ganz unten? Dort tummeln sich vor allem Versicherungsunternehmen, die mit monströsen Policen und undurchschaubaren Portfolios den Verbraucher verwirren. Nun ist es völlig klar, dass sich Versicherungsprodukte nicht so leicht vereinfachen lassen, wie beispielsweise das Früchteangebot eines Detailhändlers. Aber allein durch eine präzisere, klarere und verständlichere Kommunikation könnte die Versicherungsbranche in Deutschland, so der Report von Siegel+Gale, einen Mehrerlös von mehreren Hundert Millionen Euro erwirtschaften.
Simplicity Portfolio | +293 % |
Dax Index | +102 % |
Dow Jones Index | + 78 % |
Einfachheit ist anspruchsvoll
Der Begriff «Einfachheit» genießt