DIE FORDERUNG
Nina kannte sich überhaupt nicht aus mit der Tourismusbranche. Nun musste Sie für einen Beratungsauftrag einige Interna wissen, zum Beispiel wie in der Branche Kontingente gebucht und vergeben werden. Neulich hatte sie an einem Stammtisch, bei dem sie als Gast anwesend war, eine Insiderin kennengelernt. Aber darf sie die ansprechen? Nina traute sich nicht. Dabei hatte sie der Dame schon einen Link mit einer Adresse zugesteckt, die Adresse eines guten Fotografen, denn den suchte die Tourismusfrau gerade.
Keine falsche Bescheidenheit
Nehmen fällt manchen noch viel schwerer als Geben. Die Bittstellerposition ist in Deutschland sehr unbeliebt. Die Folge davon ist, dass manch einer sich lieber stundenlang mit etwas herumquält als einmal einen Experten zu fragen, den er kennengelernt hat.
Nina hätte es also wagen sollen. Es ist in Ordnung, um Hilfe und Unterstützung zu bitten, vor allem, wenn man dann auch ein »Nein« respektiert – das sehr wahrscheinlich gar nicht kommt – und eine Gegenleistung anbietet, mindestens aber ein Dankeschön. Es ist erst recht in Ordnung, wenn man auch schon etwas gegeben hat.
Innere Bereitschaft
Und wenn nicht? Es ist geradezu unmöglich, ein zu jedem Zeitpunkt völlig ausgewogenes Verhältnis zwischen Geben und Nehmen herzustellen. Entscheidend ist Ihre Bereitschaft zu helfen, wenn es dann so weit ist. Diese spürt der andere unterschwellig, und Sie sollten sich dahin gehend prüfen.
Dies scheint dem ersten Paragrafen des Networking-Gesetzes zu widersprechen. Sicher ist es sinnvoll, erst einmal in »Vorleistung« zu treten. Aber manchmal braucht man den Rat eines neuen Bekannten eben früher. Dafür gibt es dann Absatz 3.
Jeder hat etwas zu bieten. Man muss sich seiner Stärken bewusst sein und deutlich zeigen, dass man bereit ist zu helfen.
INNERE EINSTELLUNG
Positive Haltung
Eine grundsätzlich positive, offene und tolerante Haltung erleichtert das Netzwerken. Wie die innere Einstellung Tore und Türen öffnet, zeigt auch folgende kleine Geschichte:
Vor den Toren der Stadt saß einmal ein alter Mann. Jeder, der in die Stadt hinein wollte, musste an ihm vorbei gehen. Ein Fremder hielt an und fragte den Alten: »Sag mir, Alter, wie sind die Menschen in dieser Stadt?« »Wie waren sie denn dort, wo Ihr zuletzt gewesen seid?«, fragte der Alte zurück. »Wunderbar. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Sie waren freundlich, großzügig und stets hilfsbereit.« »So etwa werden sie auch hier sein.«
Dann kam ein anderer Fremder zu dem alten Mann. Auch er fragte: »Sag mir doch, Alter, wie sind die Menschen in dieser Stadt?« »Wie waren sie denn dort, wo Ihr zuletzt gewesen seid?«, lautete die Gegenfrage. »Schrecklich. Sie waren gemein, unfreundlich, keiner half dem anderen.« »So, fürchte ich, werden sie auch hier sein.«
Harte Konkurrenz
Die meisten Existenzgründer starten falsch oder besser: mit den falschen Erwartungen. Irgendwann nach ein paar Monaten als Selbstständiger stellen sie fest, dass das Unternehmertum doch nicht so einfach funktioniert wie gedacht. Nach ersten Aufträgen, die nicht selten aus einer Festanstellung heraus entstanden sind, stagniert das Unternehmen »Training« oder »Beratung«. Dann kommt plötzlich Networking ins Spiel. Man schaut sich um und besucht ein paar Veranstaltungen, von denen man am liebsten direkt Aufträge mit nach Hause nehmen würde. Da Trainer gewohnt sind, in vordersten Front zu stehen, ist die Konkurrenz an der Netzwerkfront entsprechend hart. Ohne eine Spur von Schüchternheit wird um die Kontakte zur Entscheiderwelt gebalgt. Innerhalb kürzester Zeit verkommen Netzwerke mit guter Grundidee so zu Präsentationsflächen für sich selbst vermarktende Trainer, auf denen sich über kurz oder lang kein einziger Entscheider mehr freiwillig sehen lässt.
Kein Jagdverhalten
Networking ist nicht zu verwechseln mit einem Frontalangriff auf Menschen, die Aufträge zu vergeben haben. Sie verschrecken diese damit. Außerdem geben Sie sich durch dieses Jagdverhalten eindeutig als hungrig zu erkennen. Und das macht Sie aus Sicht der für Sie wichtigen Personen eher uninteressant.
Vergessen Sie also einmalige Aktionen und überlassen Sie diese Beutezüge den anderen, die sich damit schnell disqualifizieren und Ihnen das Feld überlassen. Beziehungen bauen sich langsam auf, sie wachsen und gedeihen nur durch permanente Pflege. Networking ist ein Prozess, der nie endet. Wie eine Liebesbeziehung verträgt er keine Einseitigkeit, sondern baut auf gegenseitigem Geben und vorsichtigem Nehmen. Dabei sollten Sie sich zunächst auf das beschränken, was Zweck des Netzwerks ist, zum Beispiel der Wissensaustausch. Aufträge und Empfehlungen sind in den meisten Netzwerken nichts als ein Nebeneffekt.
SPASS ODER AUFTRAGE?
Wer überhaupt keine Freude am Umgang mit anderen Menschen hat, wird niemals zum guten Networker. Die Motivation »Aufträge zu ergattern« reicht nicht aus. Der rein umsatzgetriebene Networker muss schon ein grandioser Schauspieler sein, um nicht als »Blender« aufzufliegen. Netzwerken setzt voraus, dass man sich für andere Menschen interessiert, diese schätzt und wirklich an gegenseitigem statt an einseitigem Nutzen interessiert ist.
Das richtige Maß
Umgekehrt schadet die Motivation »Aufträge« aber auch nicht, wenn das Netzwerken trotzdem Spaß macht. Networking, bei dem allein die Spaßkomponenten im Vordergrund stehen, ist wiederum nicht zielgerichtet genug. Ich kenne einige geborenen Networker, denen das »Netzwerkeln« derart viel Spaß macht, dass sie nicht mehr an das eigene Geschäft denken. Sie schaffen es nicht, ihre Beziehungen in Geschäftskontakte umzuwandeln. Und so soll es dann auch wieder nicht sein. Finden Sie den Punkt, an dem Sie klar über Kooperationen und Geschäftliches sprechen, während eines Netzwerktreffens – oder später, zum Beispiel indem Sie sagen: »Ich hab da eine Idee. Allerdings ist hier nicht der richtige Ort, um darüber zu sprechen. Darf ich Sie morgen anrufen? Wann sind Sie am besten erreichbar?«
Nur wer Spaß am Kontakt mit anderen Menschen hat, ist ein guter Networker.
VIER TAGE DIE WOCHE NETWORKING
Dr. Gabriele Simmermacher (www.gesundheitsplanerin.de) ist Ärztin und seit vielen Jahren selbstständig mit ihrem Institut für Gesundheitsplanung, mit dem sie Patienten durch den Medizin- und Vorsorge-Dschungel führt. Zudem bietet sie Motivationsseminare an. Tagsüber. Abends sieht man die agile Ärztin auf Veranstaltungen, auf denen »man« sich trifft. Auf manchen allerdings nur einmal.
Gabriele Simmermacher schien gerade in den ersten zwei, drei Jahren ihrer Tätigkeit überall zu sein. Auf Weiterbildungen, Vorträgen, bei Stammtischen des Hamburger »Jetztwerks«, zum Frühstück beim »Business Network International« und auf dem von ihr ins Leben gerufenen »Qualitätszirkel«. Selbstverständlich ist auch Xing ihre Plattform. »Vier Veranstaltungen in der Woche sind für mich ganz normal«, findet die Ärztin. Sie besucht Seminare, Workshops, Vorträge, Stammtische. »Ich bin einfach neugierig und habe Spaß daran, mit netten Menschen zu sprechen. Oft lässt sich erst sehr viel später wirklich beurteilen, ob ein bestimmter Kontakt auch beruflich wertvoll war.«
Geht es ihr vor allem um Aufträge? Denkt sie bei jedem Gespräch daran, die Mund-zu-Mund-Propaganda in Gang zu setzen? »Nein, dieses klare geschäftliche Ziel habe ich nur als Mitglied eines Business-Netzwerks, in dem der Zweck klar darauf ausgerichtet.« Bei den andere Netzwerken ist das für Gabriele Simmermacher wichtig, aber nicht nur: »Da habe ich Spaß an netten Leuten und daran, mein Wissen zu erweitern.« Nebenbei trainiere das Sammeln von Informationen das Gehirn.
Aufträge und Empfehlungen sind für sie ein Nebeneffekt des Networkings, aber ganz sicher nicht der primäre Zweck. »Sonst wäre man auch schnell enttäuscht, wenn gar nicht so schnell so viel beim Netzwerken rauskommt.« Wie Gabriele Simmermacher es mit dem Geben und Nehmen hält? »Es ist für mich selbstverständlich, dass ich immer auch an den