Lebendig!. Michael Herbst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Herbst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783775158800
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und älter und hörte irgendwann auf, mit Teddys zu spielen. Aber ich habe es nie übers Herz gebracht, diesen kleinen Kerl wegzugeben oder gar wegzuwerfen. Er musste bei jedem Umzug mit, und seit Langem hat er seinen festen Platz in meinem Bücherregal, Abteilung Seelsorge.

      Im Grunde ist es mit uns genauso: Irgendwann hat uns Gott aufgelesen, oft aus prekärer Lage, in großer Not, kleine Wesen, unscheinbar und vergänglich, und er hat uns zu sich genommen und dann gesagt: »Ich lasse dich nie wieder allein. Du gehörst jetzt zu mir. Für immer und für ewig, was auch geschieht. Nichts könnte mich dazu bringen, mich von dir zu trennen. Du bist mein und ich bin dein.« Jetzt haben wir unseren festen Platz bei Gott.

      Für meinen Teddy war’s das, für uns nicht. Paulus hat einmal beschrieben, wie es weitergeht: Gott »hat sie schon im Vorhinein ausgewählt. Schon im Voraus hat er sie dazu bestimmt, neu gestaltet zu werden – und zwar so, dass sie dem Bild seines Sohnes gleichen« (Römer 8,29).

      »Dem Bild seines Sohnes gleichen!« Gott hat eine Wahl getroffen, wir sind sein Eigentum. Wir lassen uns das als Christen gern gefallen und singen: »Jesus, zu dir kann ich so kommen, wie ich bin. Du hast gesagt, dass jeder kommen darf. Ich muss dir nicht erst beweisen, dass ich besser werden kann. Was mich besser macht vor dir, das hast du längst am Kreuz getan.«23 Das ist Gnade Nr. 1. Wir tun nichts dazu, wir sind wie aufgelesene Teddybären, wir dürfen kommen, wie wir sind. Und nun? War es das?

      Nein, sagt Gott, so gewiss du nun für immer und ewig deinen Platz bei mir hast, so gewiss bin ich mit dir noch nicht fertig. Jetzt beginnt nämlich ein Abenteuer, das Abenteuer der Veränderung. Wir könnten auch sagen: das Abenteuer der Heilung, der Wiederherstellung, der Erneuerung, der Verwandlung. Das Abenteuer, ein lebendiges und mündiges Christenleben zu beginnen. Das ist auch Gnade, Gnade Nr. 2. Paulus schreibt: Gott hat uns eine Bestimmung mitgegeben: Wir sollen dem Bild seines Sohnes, dem Bild von Jesus, gleichen. Etwas anders gesagt: Es geht darum, dass wir verändert werden. Es wird etwas anders in unserem Leben. Das ist unsere Bestimmung.

      Darum singen wir auch die andere Strophe: »Jesus, bei dir muss ich nicht bleiben, wie ich bin. Nimm fort, was mich und andere zerstört. Einen Menschen willst du aus mir machen, wie er dir gefällt, der ein Brief von deiner Hand ist, voller Liebe für die Welt.«

      Wie ist das mit dieser zweiten Gnade? Wie genau müssen wir uns das vorstellen?

      Veränderung ist wohltuend – und möglich

      Es ist gut zu wissen, dass wir uns ändern können. Es muss nicht alles so bleiben, wie es ist. Ich muss nicht so bleiben, wie ich bin. Ich sehe immer einige Baustellen, an denen ich hoffe, dass die Dinge anders werden können. In mir. In meiner Lebenswelt, sofern ich für sie verantwortlich bin. Ich bin nicht mit allem zufrieden und ich bin nicht bereit, zu resignieren, weil der Charakter sich so schwer ändert. Ich möchte mich verändern. Gut, wird meine Frau jetzt denken, ich hätte gleich ein paar Vorschläge, wie das aussehen könnte.

      Wer lebendig ist und ein bisschen auf sich achtet, möchte sich verändern. Warum sonst gehen Menschen in Selbsthilfegruppen, ins Fitnessstudio, zum Therapeuten oder kaufen sich Ratgeberbücher? Wir wollen uns verändern. Auch wenn das in vielerlei Hinsicht Arbeit ist. Auch wenn es Mühe kostet, alte Gewohnheiten abzulegen und neue einzuüben. Woody Allen meinte, es sei ganz leicht, mit dem Rauchen aufzuhören, er habe es schon 23-mal geschafft. Es ist Arbeit und es gibt Rückschläge, aber Veränderung ist möglich. Jedenfalls, wenn es um Dinge geht, die in unserer Reichweite sind. Und das sind einige: ob wir uns genug bewegen, ob wir gesund und maßvoll essen, ob wir uns Hilfe holen, wenn wir Probleme haben, unseren Alltag zu bewältigen, und ob wir auch auf andere zugehen und nicht nur erwarten, dass andere sich um uns bemühen. Man kann – eine nach der anderen – neue Gewohnheiten aufbauen. Unser Leben ist nicht so sehr vom Schicksal bestimmt, dass das nicht möglich wäre.

      Wenn Veränderung nicht in unserer Reichweite liegt

      Aber Veränderung liegt nicht immer in unserer Reichweite. Sonst könnten wir sagen: »Gib dir gefälligst ein bisschen Mühe, kontrolliere deine Gesundheit mit der neuesten App, vervollkommne deine Fitness, stärke deinen Geist – werde einfach besser!« Aber damit kratzten wir ja nur an der Oberfläche. Paulus hat etwas Tieferes im Sinn, unser Innerstes. Er denkt an unser Herz, jenes merkwürdige Zentralorgan, in dem die Strebungen wohnen, die Denkmuster und die Wünsche, die Antriebe und die Empfindungen, jenes Herz, von dem aus wir uns steuern, unsere Beziehungen, unsere Schwerpunkte, unser ganzes Dasein. Und er sagt: Da soll einiges anders werden, und du kannst dir noch so viel Mühe geben, aber dieses trotzige und verzagte Etwas in dir, das wirst du nicht mit einer App und mehr Disziplin verändern. Es widersetzt sich störrisch dem Versuch, dich selbst zu optimieren. Es führt ein komisches Eigenleben. Es ist deinem Streben nicht zugänglich. Da braucht es andere Kräfte!

      Wie soll es denn dann klappen?

      Genau das ist die Pointe bei Paulus. Er meint das alles völlig ernst. Eure Bestimmung ist Veränderung. Aber wie soll das zugehen? Indem ihr verwandelt werdet in das Bild von Jesus. Oder ganz ähnlich im Brief an die Galater: Indem »Christus bei euch Gestalt angenommen hat« (Galater 4,19). Und jetzt müssen wir einen Moment lang Schwarzbrot kauen, das ist nicht ganz einfach. Da sind ein paar Worte, die kommen so arglos daher und sind es doch nicht:

      Dem Bild von Jesus gleichen. Wieso sollen wir in ein Bild und nicht gleich in Jesus verwandelt werden? Wir sind, so lesen wir am Anfang der Bibel, nach dem Bild Gottes geschaffen. Wir sind Ebenbilder des Schöpfers (vgl. 1. Mose 1,27). Aber was haben wir mit diesem Ebenbild angestellt? So wie wir sind, sind wir nur noch Zerrbilder dessen, was wir sein sollten. Ebenbild Gottes – ade! Jesus ist der eine, der so ganz und gar und ohne Abstriche Mensch ist, Mensch, wie Gott ihn schuf und wollte, ganz Ebenbild des Vaters. Wir können nicht zu Adam und Eva zurück. Aber wir werden verwandelt in das Bild des neuen Menschen, in das Bild von Jesus.

      Neu gestaltet werden, also in das Bild von Jesus verwandelt werden. Die Wortwahl ist entscheidend. Hier wird kein Appell erteilt. Jesus ist nicht eine Art Super-Vorbild, dem wir nacheifern. Vorbildern kann man nacheifern, dann möchte der kleine Marco so werden wie der große Marco Reus in Dortmund, bis auf das Autofahren. Das Nacheifern ist aber unter Umständen eine sehr anstrengende Sache. Jesus als Vorbild ist dann vielleicht doch eine Nummer zu groß, da würden wir uns übernehmen. Doch Paulus sagt nicht: »Gib dir anständig Mühe, damit du so wirst wie Jesus.« Dann bräuchten wir eine Jesus-App, die uns rundum kontrolliert, unsere Fortschritte misst und uns täglich antreibt, damit wir nicht aufgeben. Aber Jesus ist nicht das Vorbild, dem wir nacheifern. Er ist das Urbild, das allmählich auf uns abfärbt. Er ist das Bild, nach dem wir umgestaltet werden. Das war die Erfahrung der ersten Wegbegleiter von Jesus: In seiner Nähe änderten sie sich, er färbte auf sie ab, sein Einfluss brachte etwas in ihnen in Bewegung. Wo er war, sortierte sich ihr Innenleben neu. Was sie früher freute, ließ sie jetzt kalt. Was sie früher kaltließ, das bewegte jetzt ihr Herz. Wo sie früher verdammten und fluchten, fingen sie jetzt an zu vergeben und zu segnen. Wo sie früher nur ihre Schäflein ins Trockene bringen wollten, da stellten sie sich jetzt anderen zur Verfügung. In seiner Nähe sortierten sich die Dinge um, es gab neue Bewertungen, neue Empfindungen, neue Schwerpunkte. Kein Vorbild, aber ein Urbild. Die Jünger konnten sich dem gar nicht entziehen. In der Nähe von Jesus wuchs eine Sehnsucht, so zu leben, wie sie es an ihm sahen. Sie wehrten sich nicht, sie sanken nicht hin, sie wollten es, und das immer mehr und immer tiefer.

      Der Neutestamentler Otto Michel schreibt über diese Stelle: »Im Bild liegt also eine Macht, die verwandeln kann.«24

      In das Bild von Jesus verwandelt werden. Was sehe ich, wenn ich dieses Bild betrachte? Ich sehe Güte, Demut, Klarheit, Mut, Gelassenheit, Hingabe, Dankbarkeit, Mitgefühl, Einfachheit, Freude am Schönen, Verzicht, Freundlichkeit, offene Worte und heilsame Strenge. Ich sehe ein sehr helles Licht, Augen, die hinsehen und nicht übersehen, einen Mund, der sagt, was er denkt, Hände, die tun, was der Mund sagt, Füße, denen kein Weg zu weit ist. Ich sehe – ein Kreuz, Bereitschaft zu leiden, nicht zu fluchen. Ich sehe den festen Willen zu vergeben, sich festnageln zu lassen auf die versprochene Liebe, nicht die Hand der Menschen loszulassen, um keinen Preis.