Aber Karl Artur hörte nicht auf diese leise besänftigende Stimme. Er glaubte ihr nicht. Charlotte enthüllte mit jedem Wort neue Tiefen der Niedertracht. Man mußte nur ihre Antwort hören!
»Lieber Karl Artur, reite doch nicht immer auf dem herum, daß ich sagte, du solltest höher hinauf. Es war doch nur Scherz. Ich glaube ja gar nicht, daß du es jemals zum Dompropst oder Bischof bringen kannst.«
War er schon vorher verletzt, empört, so mußte vor diesem neuen Ausfall die besänftigende Stimme schweigen. Das Blut brauste ihm in den Ohren. Seine Hände bebten. Diese Unglückselige raubte ihm alle Selbstbeherrschung. Sie machte ihn verrückt.
Er wußte, daß er vor ihr auf und nieder hüpfte. Er wußte, daß seine Stimme zum Geschrei wurde. Er wußte, daß er die Arme in die Luft reckte und daß sein Kinn zitterte. Aber er machte keinen Versuch, sich zu beherrschen. Er fühlte einen unbeschreiblichen Abscheu vor Charlotte, der sich nicht in Worte fassen ließ. Nein, er mußte sich in Bewegungen Luft machen.
»All deine Schlechtigkeit ist mir nun offenbar!« rief er. »Ich sehe dich so, wie du bist. Nie – nie – nie werde ich mich mit jemand verheiraten, wie du bist. Es würde mein Verderben sein.«
»In einigem bin ich dir aber doch von Nutzen gewesen«, erwiderte sie. »Du hast es doch nur mir zu danken, daß du Lizentiat und Doktor der Philosophie bist.«
Von nun an war es nicht mehr er selber, der ihr antwortete. Nicht, als ob er nicht gewußt hätte, was er sagte oder dachte, aber die Worte kamen doch überraschend und unerwartet. Ein anderer als er legte sie ihm auf die Lippen.
»Ei sieh!« rief er. »Nun will sie mich daran mahnen, daß sie fünf Jahre auf mich gewartet hat und ich infolgedessen gezwungen sei, sie zu heiraten. Aber es nützt nichts. Ich werde keine andere heiraten als die, so Gott selber für mich erwählt.«
»Sprich nicht von Gott!« mahnte sie.
Er erhob das Haupt und warf es zurück. Er schien in den Wolken zu lesen. »Ja, ja, ich will Gott für mich wählen lassen! Das erste ledige weibliche Wesen, das mir begegnet, soll meine Frau werden.«
Charlotte schrie auf. Sie eilte auf ihn zu.
»Aber Karl Artur, Karl Artur!« rief sie und versuchte, einen seiner Arme herabzuziehen.
»Komm mir nicht nahe!« schrie er.
Aber sie erfaßte nicht das Maß seiner Wut. Sie umschlang ihn mit ihren Armen.
Da hörte sie einen Laut des Abscheus seiner Kehle entsteigen. Seine Hände packten die ihrigen mit eisernem Griff und warfen das Mädchen auf die Moosbank zurück.
Dann stürmte er fort von ihr.
Das Mädchen aus Dalarne
Gleich beim ersten Male, als Karl Artur die Propstei von Korskyrka zu Gesicht bekam, wie sie da an der Landstraße lag, gleich einem Herrensitz unter hohen Linden, mit dem grünen Zaun, den ehrwürdigen Torpfeilern und der Gittertür, durch die man in den Garten mit seinem Rondell und den Kieswegen blicken konnte, mit dem langgestreckten, rotangestrichenen, zweistöckigen Wohnhaus in der Mitte, mit seinen beiden gleichgroßen Seitenflügeln, rechts dem des Vikars, links dem des Pächters, hatte er sich gesagt, gerade so müsse ein schwedischer Pfarrhof aussehen, traulich und einladend, feierlich und doch achtunggebietend zugleich.
Und später, als er den immer kurzgeschnittenen Rasen bemerkte, die wohlgeordneten Rabatten, auf denen alle Pflanzen gleich hoch waren und im gleichen Abstand voneinander standen, die hübsch geharkten Wege, den reinlich beschnittenen wilden Wein um die kleine Veranda, die langen Gardinen, die in hübschen geraden Falten an jedem Fenster hingen, hatte dies alles ihn mit dem gleichen Gefühl von Behagen und Würde erfüllt. Es war ihm, als müsse sich jeder, der in diesem Hof wohnte, verpflichtet fühlen, ein besonnenes, friedliches Leben zu führen.
Niemals hätte er sich träumen lassen, daß gerade er, Karl Artur Ekenstedt, eines Tages auf das weiße Gittertor zugelaufen kommen würde, mit hocherhobenen, wildfuchtelnden Armen, den Hut auf dem einen Ohr und kurzen, pfeifenden Lauten auf den Lippen.
Als die Gartentür hinter ihm ins Schloß fiel, lachte er wild auf. Er glaubte zu sehen, wie das Wohnhaus und die Blumenbeete ihn verwundert anstarrten.
»Hat man je so etwas gesehen? Was ist das für ein Mensch?« flüsterte es von Blume zu Blume.
Jawohl, die Bäume wunderten sich, der Rasen wunderte sich, der ganze Garten wunderte sich. Karl Artur hörte, wie sie sich verwunderten.
Konnte das der Sohn der charmanten Frau Oberst Ekenstedt sein, die die gebildetste Dame in ganz Värmland war und Gedichte machte, schöner als die von Frau Lenngren – konnte er es sein, der jetzt aus dem Pfarrgarten herausgerannt kam, als wolle er dem Reich des Bösen und der Sünde entfliehen?
Konnte das der stille, rücksichtsvolle, gemessene Vikar sein, der so schöne blumenreiche Predigten hielt, der nun mit roten Flammen auf der Stirn und wutverzerrten Zügen daherjagte?
Konnte es ein Geistlicher aus der Propstei von Korskyrka sein, in der so viele ehrbare und würdige Diener des Herrn gelebt hatten, der jetzt da vor der Gartentür stand, um auf die Landstraße hinauszugehen, fest entschlossen, das erste beste ledige weibliche Wesen zu heiraten, das ihm begegnete?
Konnte es der junge Ekenstedt sein, der eine so vornehme Erziehung erhalten und immer unter vornehmen Leuten gelebt hatte, der nun Gefahr lief, das erste beste Mädchen, das ihm in den Weg lief, zur Frau nehmen zu müssen? Wußte er nicht, daß es eine Schwatzbase, ein Faulpelz, eine dumme Gans, eine Giftnudel, eine Schlampe oder eine Dirne sein konnte, mit der er zusammentraf?
Wußte er nicht, daß er sich auf die gefährlichste Wanderung seines ganzen Lebens begab?
Karl Artur stand einen Augenblick an der Gartentür still und lauschte auf die Verwunderung, die von Baum zu Baum, von Blume zu Blume ging.
Jawohl, er wußte es, diese Wanderung war verhängnisvoll und gefährlich. Aber er wußte noch mehr: während dieses ganzen Sommers hatte er die Welt mehr geliebt als Gott. Er wußte, Charlotte Löwensköld war eine Gefahr für seine Seele gewesen, und er wollte zwischen ihr und sich eine Scheidewand aufrichten, die sie nie würde durchbrechen können.
Und er wußte noch weiter – in dem Augenblick, wo er Charlotte aus seinem Herzen riß, öffnete sich dieses wieder für Christum. Er wollte seinem Erlöser zeigen, daß er ihn ohne Maß und ohne Grenzen liebte und sich unbedingt auf ihn verließ. Darum wollte er jetzt auch Christus eine Frau für sich auswählen lassen. Es war ein großes, ein furchtbares Vertrauen, das er in ihn setzte und das er nun beweisen wollte.
Er hatte keine Angst, während er da an der Gartentür der Propstei stand und die Straße entlang schaute. Nein, er hatte keine Angst, aber eins fühlte er doch, nun bewies er den größten Mut, den ein Mensch zeigen konnte. Er bewies ihn, indem er sein Geschick ohne Vorbehalt in Gottes Hand legte.
Das letzte, was er tat, ehe er von der Gartentür wegging, war, ein Vaterunser zu beten. Und während des Gebetes wurde es still in ihm.
Auch seine äußere Ruhe kehrte zurück. Die heiße Röte schwand aus seinem Gesicht, und sein Kinn zitterte nicht mehr.
Als er nun anfing, dem Kirchdorf zuzugehen, wie er mußte, wenn er Menschen begegnen wollte, war er doch nicht ganz frei von Anfechtung.
Er war noch nicht weiter als bis zum Ende des Zaunes um die Propstei gekommen, als er auch schon stehenblieb. Der arme furchtsame Mensch in ihm war es, der ihn anhielt. Er dachte daran, daß er vor einer Stunde, als er vom Kirchdorf herkam, gerade an dieser Stelle dem tauben Bettelweib Karin Johannstochter in ihrem verschlissenen Schal, ihrem zerlumpten Rock und mit dem Bettelsack auf dem Rücken begegnet war. Sie war gewiß früher