»Nichts ist mir schmerzlich, was ich für dich tun kann, Marit.«
Marit war es nämlich gewesen, die an Märta Bårdstochter gedacht hatte, als diese nach dem Tod ihres Vaters und Bruders ganz allein droben im Wald zurückgeblieben war, und so hatte sie ihr angeboten, Stallmagd auf dem Olsbyhof zu werden. Märta vergaß ihr das nie und wurde nicht müde, ihr ihre Dankbarkeit zu bezeugen, weil Marit sie dadurch wieder mit anderen Menschen zusammengebracht hatte.
Marit kehrte auf die Treppe des Vorratshauses zurück. Sie nahm ihr Strickzeug wieder in die Hand, hatte aber keine rechte Ruhe zum Arbeiten. Sie lehnte den Kopf wie vorher an das Geländer und überlegte, was sie nun tun müsse.
Wenn jemand im Olsbyhof gewußt hätte, wie Frauen auszusehen pflegten, die das Leben hinter sich gelassen hatten, um ins Kloster zu gehen, hätte man wohl gesagt, Marit sehe jetzt einer solchen gleich. Ihr Gesicht war gelblich weiß und ganz ohne Runzeln. Einem Fremden wäre es fast unmöglich gewesen, zu sagen, ob sie jung oder alt sei. Es lag etwas Friedfertiges und Ruhiges über ihr, wie über jemand, der aufgehört hat, für sich selbst etwas zu wünschen. Man sah sie nicht oft froh, doch auch nie tief betrübt.
Nach dem schweren Schlag hatte Marit deutlich das Gefühl, daß das Leben nun für sie zu Ende sei. Sie hatte von ihrem Vater den großen Hof geerbt, wußte aber nur zu gut: wenn sie ihn behalten wollte, dann müßte sie heiraten, damit der Hof einen Herrn bekäme. Um dies zu vermeiden, hatte sie das ganze Anwesen einem ihrer Geschwisterkinder ohne Bezahlung unter der Bedingung überlassen, daß sie, solange sie lebte, dort freie Wohnung und Kost hätte.
Sie war zufrieden mit dieser Lösung und hatte sie nie bereut. Es herrschte keine Gefahr, daß ihr aus Mangel an Arbeit die Zeit lang würde. Die Leute setzten großes Vertrauen in ihre Klugheit und Güte, und sooft jemand krank war, schickte man sofort nach ihr. Die Kinder schlossen sich auch sehr an sie an. Meist war Marits Wohnung ganz voll von dem kleinen Volk. Sie wußten ja, daß Marit immer Zeit hatte, ihnen bei ihren kleinen Sorgen beizustehen und zu vermitteln. Während nun Marit so überlegte, was sie jetzt mit dem Ring tun solle, stieg heißer Zorn in ihr auf. Sie überlegte sich, wie leicht der Ring hätte gefunden werden können. Warum hatte der General nicht dafür gesorgt, daß er gefunden wurde? Er hatte ja die ganze Zeit gewußt, wo er sich befand; das verstand sie jetzt wohl. Aber warum hatte er es nicht so eingerichtet, daß Ingilberts Mütze untersucht wurde? Statt dessen ließ er drei Unschuldige um des Ringes willen den Tod erleiden. Dazu hatte er die Macht gehabt, nicht aber dazu, den Ring ans Tageslicht kommen zu lassen.
Im ersten Augenblick hatte Marit daran gedacht, mit ihrem Erlebnis zum Propst zu gehen und ihm den Ring zu übergeben; doch nein, das wollte sie nicht. Es war nämlich so; wo immer Marit sich zeigte, in der Kirche oder bei einem Gastmahl, wurde sie stets mit großer Achtung behandelt. Unter der Verachtung, die auf der Tochter eines Missetäters zu ruhen pflegte, hatte sie nie zu leiden gehabt. Die Leute waren der festen Überzeugung, es sei damals ein Unrecht begangen worden, und sie wollten es wieder gutmachen. Selbst die Herrschaften pflegten zu ihr hinzugehen, wenn sie Marit auf dem Kirchenplatz sahen, und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Sogar die Familie auf Hedeby – nicht der Rittmeister selbst, aber seine Frau und Schwiegertochter – hatte wiederholt den Versuch gemacht, sich Marit zu nähern. Ihnen gegenüber aber hatte sie sich immer abweisend verhalten. Seit jenem Rechtsverfahren hatte sie mit keinem von ihnen jemals ein Wort gesprochen.
Sollte sie nun hingehen und zugeben, daß die Hedebyer gewissermaßen recht gehabt hatten? Der Ring war ja tatsächlich im Besitz der Olsbymänner gewesen. Vielleicht würde man sogar kommen und sagen, sie hätten gewußt, wo der Ring sich befand, und hätten das Gefängnis und die Verhöre nur in der Hoffnung, freigesprochen zu werden, ertragen, um den Ring später verkaufen zu können.
Jedenfalls sagte sich Marit, wenn sie den Ring jetzt hinbrächte und erzählte, wo sie ihn gefunden hatte, so würde das als eine Rechtfertigung für den Rittmeister und auch für dessen Vater angesehen werden. Marit aber wollte nichts tun, was gut und vorteilhaft für die Löwenskölds war.
Der Rittmeister Löwensköld war jetzt ein Mann von achtzig Jahren, er war reich und mächtig, geachtet und geehrt. Der König hatte ihn zum Baron gemacht, und kein Unglück hatte ihn je getroffen. Er hatte vortreffliche Söhne, und auch diese waren in guten Verhältnissen.
Dieser Mann hatte Marit alles genommen, alles, alles. Durch seine Schuld war sie ohne Hab und Gut, ohne Mann, ohne Kinder. Viele Jahre lang hatte sie gewartet und gehofft, irgendeine Strafe werde ihn treffen; aber nichts, nichts davon war eingetroffen.
Plötzlich fuhr Marit aus ihrem tiefen Sinnen empor. Sie hörte kleine Kinderfüße rasch durch den Hof daherlaufen, und da wußte sie gleich, daß sie auf dem Weg zu ihr waren.
Und richtig, es waren zwei Jungen von zehn bis elf Jahren. Der eine war Nils, der Sohn des Hauses, den andern aber kannte sie nicht. Sie waren wirklich gekommen, sie um etwas zu bitten.
»Marit«, sagte Nils, »dies ist Adrian von Hedeby. Wir haben drüben auf der Straße miteinander Reifen gespielt, dann aber haben wir uns gestritten, und ich habe Adrian seine Mütze zerrissen.«
Marit sah Adrian nachdenklich an. Es war ein hübscher Junge mit etwas Freundlichem und Sanftem in seinem Wesen. Sie griff nach ihrem Herzen. Immer empfand sie Schmerzen und eine Art Angstgefühl, wenn sie einen Löwensköld sah.
»Wir sind jetzt wieder gut miteinander«, fuhr Nils fort, »und da möchte ich dich fragen, ob du mir nicht Adrians Mütze flicken willst, bevor er heimgeht?«
»Ja«, sagte Marit, »ja, ich will es tun.«
Sie ließ sich die zerrissene Mütze geben, stand auf und ging ins Haus.
»Das muß ein Wink des Himmels sein«, murmelte sie. »Spielt jetzt ein Weilchen hier draußen, ich werde bald damit fertig sein«, sagte sie zu den Jungen.
Sie machte die Haustür hinter sich zu und saß allein drinnen, während sie die Löcher in Adrian Löwenskölds Zipfelmütze ausbesserte.
Neuntes Kapitel
Wieder vergingen ein paar Jahre, ohne daß man irgend etwas von dem Ring hörte. Dann aber geschah es, daß Jungfer Malwina Spaak im Jahre 1788 als Haushälterin nach Hedeby kam. Sie war eine arme Pfarrerstochter aus Sörmland, hatte noch niemals einen Fuß über die Grenze Värmlands gesetzt und hatte auch keine Ahnung von den Verhältnissen des Hauses, in dem sie dienen sollte.
Schon an dem Tag, als sie auf Hedeby eintraf, wurde sie zu der Baronin Löwensköld gerufen, um eine ganz eigentümliche vertrauliche Mitteilung entgegenzunehmen.
»Ich halte es für das Richtigste«, teilte die Frau Baronin der Jungfer Spaak mit. »Es spukt nämlich hier auf Hedeby, das läßt sich nicht leugnen. Es kommt nicht selten vor, daß man hier auf den Treppen und Gängen, ja sogar in den Zimmern, einem großen grobschlächtigen Mann in hohen Stulpstiefeln und blauem Uniformrock begegnet, der ungefähr wie ein alter Karoliner aussieht. Er steht ganz plötzlich vor einem, wenn man eine Tür öffnet oder um einen Treppenaufsatz biegt; aber ehe man sich auch nur verwundert fragen kann, wer das sein mag, ist er auch schon wieder verschwunden. Er tut einem nichts, ja, wir glauben eher, er meint es gut mit uns, und ich bitte nun die Jungfer, keine Angst zu haben, wenn er Ihr begegnet.«
Jungfer Spaak war damals einundzwanzig Jahre alt, leichtfüßig und flink und außerordentlich tüchtig in allen erdenklichen häuslichen Arbeiten, auch tatkräftig und entschlossen. Wo immer sie hinkam, ging jeder Haushalt, den sie führte, wie ein Uhrwerk. Aber sie hatte ungeheure Angst vor Gespenstern und hätte die Stelle auf Hedeby gewiß nicht angenommen, wenn sie von dieser Sache schon vorher gewußt hätte. Jetzt aber war sie eben einmal da, und ein armes Mädchen mußte sich wohl hüten, sich einen guten Posten zu verscherzen. Deshalb machte sie einen Knicks vor der Baronin, dankte für die Warnung und versicherte, sie würde sich gewiß nicht ins Bockshorn jagen lassen.
»Ja, wir begreifen selbst ganz und gar nicht, warum er hier umgeht«, fuhr die Hausfrau fort. »Meine Töchter meinen, er sehe dem Vater meines Mannes ähnlich, dem General Löwensköld, den die Jungfer dort auf dem Gemälde sieht,