Karl May
Durch Wüste und Harem
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066117771
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Ein Todesritt.
Viertes Kapitel. Eine Entführung.
Sechstes Kapitel. Wieder frei.
Neuntes Kapitel. Auf Kundschaft.
Elftes Kapitel. Bei den Teufelsanbetern.
Zwölftes Kapitel. Das große Fest.
Vorwort.
Selbst ein treuer Leser von Dr. Karl May, erging es mir stets wie allen Andern, welche seine Reisewerke kennen: ich konnte das Erscheinen einer von ihm angekündigten neuen Arbeit immer kaum erwarten. Die Gründe dieser Ungeduld, welche ich bei der Lektüre keines andern Schriftstellers in dieser Weise an mir und vielen Andern beobachtet habe, sind einesteils in den hochinteressanten Sujets, welche er wählt, und andernteils in der originellen und meisterhaften Weise, in welcher er sie beherrscht und behandelt, zu suchen. Bei ihm ist keine Zeile ohne Leben, ohne innere und äußere Bewegung. Er empfindet, denkt und berechnet auf seinen Reisen wie wenige Seinesgleichen und zwingt den Leser, mit ihm zu fühlen, mit ihm zu denken und zu berechnen. Man lebt sich so in ihn hinein, daß man ganz und vollständig sein Eigen wird.
Dazu kommt der hohe sittliche Gehalt, den alle seine Werke besitzen. Er ist, vielleicht ohne es zu beabsichtigen, ein Missionar, ein Prediger der Gottes- und der Nächstenliebe, doch besteht seine Predigt nicht in Worten, sondern in Thaten. Wie köstlich ist’s, daß sein treuer Hadschi Halef Omar ihn zum Islam bekehren will und schließlich doch selbst Christ wird, ohne es zu ahnen! Solchen Zügen wird man fast auf jeder Seite begegnen.
Am liebsten möchte ich, anstatt ein Vorwort zu schreiben, gleich beginnen, den Inhalt des ganzen Werkes zu erzählen. Da mir dies aber nicht gestattet ist, so mag der freundliche Leser mit der nächsten Seite beginnen. Ich bin überzeugt, daß er erst dann aufhören wird, wenn er bei der letzten angekommen ist.
Freiburg i. Baden.
Der Herausgeber und Verleger.
Erstes Kapitel.
Ein Todesritt.
»Und ist es wirklich wahr, Sihdi[1], daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?«
[1] Herr.
»Ja.«
»Effendi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, welches dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Lisan, zum heiligen Zeugnisse, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andere Sihdis, denen ich gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.«
So sprach Halef, mein Diener und Wegweiser, mit dem ich in den Schluchten und Klüften des Dschebel Aures herumgekrochen und dann nach dem Dra el Haua heruntergestiegen war, um über den Dschebel Tarfaui nach Seddada, Kris und Dgasche zu kommen, von welchen Orten aus ein Weg über den berüchtigten Schott Dscherid nach Fetnassa und Kbilli führt.
Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Er war so klein, daß er mir kaum bis unter die Arme reichte, und dabei so hager und dünn, daß man hätte behaupten mögen, er habe ein volles Jahrzehnt zwischen den Löschpapierblättern eines Herbariums in fortwährender Pressung gelegen. Dabei verschwand sein Gesichtchen vollständig unter einem Turban, der drei volle Fuß im Durchmesser hatte, und sein einst weiß gewesener Burnus, welcher jetzt in allen möglichen Fett- und Schmutznuancen schimmerte, war jedenfalls für einen weit größeren Mann gefertigt worden, so daß er ihn, sobald er vom Pferde gestiegen war und nun gehen wollte, empornehmen mußte wie das Reitkleid einer Dame. Aber trotz dieser äußeren Unansehnlichkeit mußte man allen Respekt vor ihm haben. Er besaß einen ungemeinen Scharfsinn, viel Mut und Gewandtheit und eine Ausdauer, welche ihn die größten Beschwerden überwinden ließ. Und da er auch außerdem alle Dialekte sprach, welche zwischen dem Wohnsitze der Uëlad Bu Seba und den Nilmündungen erklingen, so kann man sich denken, daß er meine vollste Zufriedenheit besaß, so daß ich ihn mehr als Freund denn als Diener behandelte.
Eine Eigenschaft besaß er nun allerdings, welche mir zuweilen recht unbequem werden konnte: er war ein fanatischer Muselmann und hatte aus Liebe zu mir den Entschluß gefaßt, mich zum Islam zu bekehren. Eben jetzt hatte er wieder einen seiner fruchtlosen Versuche unternommen, und ich hätte lachen können, so komisch sah er dabei aus.
Ich ritt einen kleinen, halb wilden Berberhengst, und meine Füße schleiften dabei fast am Boden; er aber hatte sich, um seine Figur zu unterstützen, eine alte, dürre, aber himmelhohe Hassi-Ferdschahn-Stute ausgewählt und saß also so hoch, daß er zu mir herniederblicken konnte. Während der Unterhaltung war er äußerst lebhaft; er wedelte mit den bügellosen Beinen, gestikulierte mit den dünnen, braunen Ärmchen und versuchte, seinen Worten durch ein so lebhaftes Mienenspiel Nachdruck zu geben, daß ich alle Mühe hatte, ernst zu bleiben.
Als ich auf seine letzten Worte nicht antwortete, fuhr er fort:
»Weißt du, Sihdi, wie es den Giaurs nach ihrem Tode ergehen wird?«
»Nun?«
»Nach dem Tode kommen alle Menschen, sie mögen Moslemim, Christen, Juden oder etwas Anderes sein, in den Barzakh.«
»Das ist der Zustand zwischen dem Tode und der Auferstehung?«
»Ja,