Der Trost der Philosophie. Boethius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Boethius
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659899
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nichts genutzt hat, vielmehr wirst du noch durch den Angriff auf mich verletzt. Aber als Gipfel aller unserer Leiden kommt noch hinzu, daß die Menge in ihrer Schätzung nicht denVerdienst der Sache, sondern den Ausgang des Geschicks ins Auge faßt und nur das für vorgesehen hält, was das Glück auszeichnet. Daher rührt es, daß von allem zuerst der gute Ruf den Unglücklichen verläßt. Ich mag gar nicht daran denken, welche leeren Gerüchte und wie mannigfache widersprechende Meinungen jetzt im Volke umlaufen mögen. Nur eins will ich sagen: Das ist die äußerste Bürde widrigen Schicksals: Wenn sich an die Unglücklichen eine Beschuldigung heftet, so müssen sie das, was sie erdulden, auch verdient haben. So habe ich aus meinen Gütern vertrieben, meiner Würden entkleidet, in meinem Rufe geschändet für Wohltat das Todesurteil davongetragen. Es scheint mir, ich sehe die verruchten Werkstätten der Frevler, wie es in ihnen wogt von Jubel und Freude, und wie sie ganz verderbt mit neuem Betrug nach Anklagen trachten. Die Guten liegen danieder, hingestreckt vom Schrecken über unsere Gefahr; die Verruchten spornt Straflosigkeit, jede Schandtat zu wagen, und Belohnung, sie zu vollführen; die Unschuldigen aber sind beraubt nicht nur der Sicherheit, nein, sogar der Verteidigung. Darum will ich aufschreien:

       V.

      Schöpfer des sternenfunkelnden Kreises,

      Der du vom ewigen Thron hernieder

      Lenkst den Himmel wirbelnden Schwunges,

      Zwingst Gestirne streng in Gesetze,

      Daß jetzt voll die leuchtende Scheibe

      Ab vom Strahle des Bruders gewendet,

      Luna auslöscht die kleineren Sterne,

      Dann erbleichend mit dunkelnder Sichel

      Phöbus näher einbüßt ihr Leuchten.

      Und was in erster nächtlicher Stunde

      Frostig aufwärts als Hesperus steiget,

      Dann als Luzifer wechselt die Zügel,

      Vor dem Aufgang des Phöbus erbleichend.

      Wenn das Laub im Froste zerstoben,

      Zwingst den Tag du in kürzere Schranken;

      Und erscheint dann glühend der Sommer,

      Treibst zur Eile du nächtliche Stunden;

      Regelst mit deiner Macht die Gezeiten,

      Jagt des Boreas Brausen die Blätter,

      Führt die zarten zurück der Zephir;

      Was Arctur als Saaten gesehen,

      Reift in Sirius Glut zu Ähren.

      Nichts ist frei von alten Gesetzen,

      Nichts weicht ab·von eigenen Bahnen,

      Alles führst du zu sicheren Zwecken,

      Menschlichem Handeln wehrest du einzig,

      Daß es in gleichem Maße verbleibe.

      Warum wechselt schlüpfrig das Glück uns

      Immer die Lose? Es trifft Unschuld’ge

      Oft die Strafe, dem Frevler gebührend.

      Nahe den Thronen spreizen verderbte

      Sitten sich, sie treten mit Füßen Heilige Nacken, unseligen Wechsels.

      Tugend birgt sich verstoßen im Finstern,

      Leuchtend im Dunkeln, Gerechte leiden

      Strafe des Bösen!

      Nicht Betrug schadet ihnen, nicht Meineid,

      Ausgeschmückt mit der Farbe der Lüge.

      Da nach Belieben sie nützen die Kräfte,

      Freut sie’s, sich Könige zu bezwingen,

      Die unzählige Völker fürchten.

      O schau her auf die arme Erde,

      Der du knüpfst der Schöpfung Gesetze,

      Wir, nicht schlechtester Teil deines Werkes,

      Treiben um auf dem Meer des Geschickes.

      Zähme die reißenden Fluten, o Herrscher,

      Wie du lenkst den unendlichen Himmel,

      Füge die Erde in feste Gesetze!

      Als ich dies mit gesteigertem Schmerze herausächzte, sprach jene mit mildem Blick, unberührt von meinen Klagen: Als ich dich betrübt und weinend sah, wußte ich sofort, daß du unglücklich und elend bist. Aber wie weit du im Elend bist, hätte ich nicht gewußt, hätte es mir deine Rede nicht verraten. Doch du bist zwar fern von der Heimat, nicht vertrieben, nein verirrt; oder willst du durchaus vertrieben sein, so hast du dich doch selber vertrieben. Denn außer dir hätte niemand ein Recht dazu gehabt. Erinnerst du dich, aus welchem Vaterlande du stammst? Dies wird nicht wie einst die Stadt der Athener durch die Herrschaft der Menge gelenkt, sondern „Ein Herrscher ist, ein König“, und dieser freut sich an der Fülle seiner Bürger, nicht an ihrer Vertreibung; von seinen Zügeln sich leiten zu lassen, der Gerechtigkeit zu gehorchen, das ist die höchste Freiheit. Oder kennst du nicht jenes uralte heilige Gesetz deines Staates, daß, wer einmal seinen festen Wohnsitz in ihm gegründet hat, niemals sein Heimatsrecht zu verlieren braucht? Denn wer von seinem Wall und seiner Schutzwehr umschlossen wird, hat nicht zu fürchten, daß er je die Verbannung verschulde. Aber wer aufhört diesen Wohnsitz zu wünschen, hört gleicher Weise auf ihn zu verdienen. Und deshalb bewegt mich nicht so sehr das Angesicht dieses Ortes, als vielmehr das deine, und ich suche lieber als die mit Elfenbein und Kristall geschmückten Wände deiner Bibliothek den Sitz deines Geistes auf; dort habe ich nicht Bücher, sondern, was Büchern erst Wert verleiht, den Sinn meiner Bücher niedergelegt. Du hast zwar von deinen Verdiensten um das Gemeinwohl die Wahrheit gesagt, aber im Verhältnis zu deinen Taten nur wenig. Was Ehrlichkeit oder Falschheit der dir gemachten Vorwürfe betrifft, so hast du nur allen Bekanntes erwähnt. Frevel und Betrug der Angeber hast du zwar richtig aber nur flüchtig getroffen; denn das Volk, wenn es besser und ausgiebiger als bisher erkennt, soll es von Mund zu Mund verbreiten. Du hast auch heftig die ungerechte Handlungsweise des Senates gescholten, hast dich auch betrübt über unsere Anschuldigung und hast die Einbuße deines guten Rufes beweint. Zuletzt ist dein Schmerz gegen das Schicksal heiß entbrannt, du hast geklagt, daß der Lohn nicht dem Verdienst zugewogen werde, und zum Schluß hast du den Wunsch der rasenden Muse niedergelegt, daß derselbe Friede wie im Himmel also auch auf Erden herrschen möge. Aber da dich nun der äußerste Aufruhr der Leidenschaften befallen hat, da Schmerz, Zorn und Trauer dich hin und her zerren, so helfen dir, wie du jetzt gesinnt bist, kräftigere Arzneien nichts. Wir wollen daher einstweilen lindere anwenden, damit sie die unter dem Einfluß der Erregungen verhärtete Geschwulst mit sanfterer Berührung erweichen und sie für eine schärfere Arzenei vorbereiten.

       VI.

      Sengt der Sonne glühender Strahl

      Im Gestirn des Krebses die Flur,

      Magst du reichliche Saaten auch streu’n,

      So versagt sich die Furche doch,

      Täuscht dich Ceres, so trägt doch fest

      Seine Früchte der Eichenbaum.

      Niemals wirst du im dunklen Hain

      Veilchen sammeln zum Blütenkranz,

      Wenn der Nord das Gefilde peitscht,

      Heulend über die Stoppeln rast;

      Niemals suche mit gieriger Hand,

      Ob im Frühling die Rebe schon

      Ihre Trauben zu reifen liebt;

      Seinem Herbste erst spendet gern

      Bacchus labende Gaben aus.