»Guckt mal, der Allmächtige hat nicht zugelassen, dass die Deutschen den Bildstock ruinieren«, sagte Frau Nagórna zu Tosia und den anderen Kindern.
Tosia betrachtete das traurige Gesicht der durchnässten Maria und das dunkle Herz, das auf ihre Brust gemalt war.
»Hätte er nicht besser zugelassen, dass der Bildstock ruiniert wird, und die Leute in der Scheune gerettet?«, fragte sie, aber niemand antwortete.
Vater hatte sich beim Aufstellen des Bildstocks erkältet, wie Mama prophezeit hatte, denn Mama hatte immer recht. Am Morgen hustete er, dass es krachte. Er beharrte darauf, es sei nichts, aber das stimmte nicht. Am Abend kapitulierte er endlich, kroch ins Bett und schlief ein. Er lag neun Tage im Bett, und am zehnten starb er.
Es war eine Grippe – das jedenfalls behauptete Frau Ochyra, die sich mit Krankheiten ein wenig auskannte und meinte, das wäre nicht vom Regen und der Sache mit dem Bildstock gekommen, solche Dinge würde man längere Zeit ausbrüten. Er selbst machte den Eindruck, als wüsste er alles Nötige. Er traf Anordnungen, erklärte, was mit den Pferden, was mit der Schmiede, was mit dem Obstgarten zu tun sei. Die meiste Zeit schlief er.
Alle paar Stunden erwachte er aus einem seichten Schlaf und schüttelte heftig den Kopf. Und er weinte. Das erste Mal nachts, verschwitzt und kaum bei sich. Am Montag ermordeten die Arschlöcher von der Wehrmacht in Sochaczew angeblich dreihundert Menschen, darunter viele Zivilisten, und er lag im Bett und starb an Grippe. Am Dienstag kämpfte ein Oberst Dębek oder Dąbek auf der Öxhöfter Kämpe wie verrückt bis zum letzten Atemzug und nahm sich am Ende selbst das Leben, und er lag im Bett und starb an Grippe. Mittwoch, Donnerstag und Freitag war der Albtraum schlechthin, Bomben zerrissen Häuser, Scheunen und Menschen, Blut sickerte in die Erde, die Leute kämpften, die Leute verwandelten sich in Feiglinge, in Helden, in Verräter und Märtyrer, und er lag im Bett und starb an Grippe.
Das zweite Mal weinte er vor aller Augen. Er sagte nichts mehr, schaute niemanden an, schlug nur einmal mit schwachen Händen auf das Federbett, dann atmete er schwer. Tosia sah zum ersten Mal im Leben, wie Vater weinte, und im ersten Moment kam ihr das komisch, sehr komisch vor, aber später nicht mehr. Später schaute sie in seine großen Augen und auf das seltsam hagere Gesicht und weinte selbst, denn sie verstand nicht, warum Papa immer noch hustete. Er starb am Samstag, kurz vor Sonnenaufgang, vermutlich im Schlaf.
Sie fragte sich, ob der Unsichtbare zur Beerdigung kommen und ob er sie erkennen werde. Er kam, erkannte sie aber nicht. Es war im Übrigen schwer zu sagen. Er stand bei Familie Drews, wieder quasi allein, wieder quasi gelangweilt von all dem; sie hatte Lust, zu ihm zu laufen und zu rufen, es sei ihr Vater, der gestorben sei, es sei die Beerdigung ihres Vaters, da sei Trauer angemessen; sie stellte sich vor, er wäre dann sehr betroffen und würde sie vor aller Augen an sich drücken und sagen, sie sei jetzt erwachsen und sie könnten tanzen.
Letzten Endes lief sie nicht hin, sie tat das, was alle taten: Sie bekreuzigte sich, betete und sang. Nur weinen konnte sie nicht vor allen Leuten. Michaś konnte. Nach der Beerdigung gingen sie nach Hause, und Vater war nicht dabei. Sie dachte: Das muss wohl so sein nach der Beerdigung, vielleicht ist er in der Schmiede, vielleicht ist er betrunken; denn Mama meinte, das kommt bei ihm vor, und Mama hatte immer recht.
Tosia streifte durchs Haus, alle drückten sie an sich, alle strichen ihr über den Kopf, es war sehr schön, und als sie schon sehr müde war, hörte sie Drews zu Ochyra sagen, sein Cousin Karol sei zu ihnen gezogen, er sei ein guter Junge, könne auf dem Feld helfen; was solle er so allein da, ein Mensch gehöre unter Menschen. Sie flüsterte den Namen Karol, bis sie einschlief, mit dem Gedanken: Alles wird gut.
Vater kam nicht mehr nach der Beerdigung, doch die Schmiede stand noch, die Pferde lebten, und alle hatten weiterhin etwas zu reden. Die ersten paar Wochen war Mama ein bisschen schläfriger und ein bisschen liebevoller, aber irgendwann war sie wieder normal. Ein halbes Jahr später wunderte sich Tosia, wie es je anders hatte sein können. Es kam ihr seltsam vor, dass da Vater gewesen war, die Schule, die Bomben. Jetzt gab es nichts – weder ihn noch die brennende Scheune noch die Granaten auf den Gleisen, und auf den Gleisen fuhr auch nichts mehr so wie früher. Niemand zeigte ihr im Laufe des Tages, wie man ein Pferd beschlägt, damit ihm die Füße nicht weh tun, und vor dem Schlafengehen wärmte niemand ihr Kissen auf dem Ofen, und niemand rief mit dröhnender, lustig-schrecklicher Stimme: ab ins Bett, so lange es warm ist.
Fast jeden Tag saß sie mit Mama und den Nachbarn vor dem Haus der Nagórnys, lehnte sich an die rauen Bretter des Zauns und sah dem Kartenspiel zu oder hörte sich die langweiligen Geschichten von Fronten, Soldaten, Manövern an. Nichts geschah.
Der Unsichtbare mit dem Namen Karol wohnte seit ein paar Monaten in Chojny, doch sie sah ihn fast nie. Er fuhr mit seinem glänzenden schwarzen Fahrrad zur Arbeit und kam erst zurück, wenn es dunkel war. Er kam nicht zum Kartenspiel oder zum Erzählen, er betrank sich nicht mit den jungen Männern aus Chojny und sang nicht nachts mit ihnen Lieder, von denen Mama meinte, sie sollte sie nicht hören. Man sagte, er kümmere sich um die Wälder bei Chełmno, aber Tosia verstand nicht so recht, wie man sich um einen Wald kümmern kann.
Viele Monate lang geschah nichts, den ganzen Herbst, Winter und Frühling, bis zum Juni. Am 10. Juni, an einem Montag kurz nach zwölf, kamen zwei Herren in Uniform, einer sah sehr gut aus. Mama stellte auf den Tisch, was sie hatte, und sie hatte Brot, Butter, Schmalz, Nudeln und Blutwurst. Nachdem die Herren gegessen hatten, stand der Gutaussehende auf, lächelte freundlich, schlug Mama mit der Faust auf den Mund und sagte in raschelndem Polnisch, alle sollten machen, dass sie wegkommen.
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