»Sie ist gerade eingeschlafen«, flüsterte Anna.
Sie zeigte Martin die Medikamente, die sie Monika gegeben hatte.
»Die hattest du Franzi und Basti verordnet, bei ihrer letzten Erkältung. Ich dachte, sie können nichts schaden.«
»Das hast du gut gemacht, Anna«, lobte sie Martin. »Sie wirken auch schon. Sie schläft. Das Fieber geht sicherlich bald zurück.«
Martin hörte das schlafende Kind ab.
»Die Lunge ist frei. Sie wird sich schnell erholen. In einigen Stunden sieht es schon anders aus. Hauptsache, sie wurde gefunden!«
Martin und Anna gingen hinaus. Bello legte sich auf dem Bettvorleger vor das Bett und bewachte die schlafende Monika. Anna ließ die Tür offen.
Toni spendierte Kaffee. Martin und Christina saßen mit Toni, Anna, dem alten Alois und Mark an einem Tisch. Um sie herum standen die Hüttengäste, die an diesem Morgen noch auf der Berghütte waren. Alle lauschten, was Christina und Martin erzählten.
»Des war der Grund für die Hubschrauber der Bergwacht, die den ganzen Tag die Gegend abgesucht hatten? Dass die jemand suchten, das hatten wir uns schon gedacht«, sagte Toni leise.
»Dann werde ich mal Wolfi verständigen«, sagte Christina.
»Im Augenblick gibt es hier keinen Handyempfang. Deshalb hab’ ich die Notsignale abfeuern müssen.«
»Das Polizeimotorrad ist an ein anderes Funksystem angeschlossen«, antwortete Christina.
Sie ging hinaus auf das Geröllfeld. Lässig stand sie in ihrem enganliegenden Motorradanzug neben dem Polizeimotorrad und redete mit Irminger, der im Tal geblieben war. Es dauerte eine Weile, bis sie wiederkam.
»So, es ist alles geregelt. Wolfi stoppt den Alarm bei der Bergwacht und fährt sofort zur Enzian Alm, um Monikas Mutter zu verständigen. Er bringt sie herauf bis zur Oberländer Alm. Ich fahre hinunter und hole sie dort ab. Das geht mit dem Motorrad schneller, als wenn sie zu Fuß heraufwandert.«
»Des ist gefährlich, der Pfad ist zu schmal«, warf Toni ein.
»Du bist Hüttenwirt und ich war bei der Motorradstaffel der Polizei. Ich weiß, was ich tue«, sagte Christina knapp.
Sie zog den Helm auf und klappte das Visier herunter. Augenblicke später brauste sie über das Geröllfeld, dass die kleinen Steinchen aufgewirbelt wurden und unter den Rädern des Motorrades herausspritzten.
Christina musste auf der Oberländer Alm nicht lange warten. Bald näherte sich das Polizeiauto mit eingeschaltetem Blaulicht, aber ohne Sirene. Hinten drin saßen Claudia Rachner und Pfarrer Zandler.
Claudia stürzte sogleich auf Christina zu.
»Wie geht es ihr?«
»Claudia, ganz ruhig! Im Augenblick schläft sie. Sie hat Fieber und ist ein wenig erkältet. Martin hat sie untersucht. Er sagt, es sei nicht dramatisch.«
Claudia faltete die Hände vor der Brust und sagte leise: »Gott sei Dank! Lieber Gott, ich danke dir!«
Pfarrer Zandler trat neben Claudia. Väterlich legte er den Arm um sie.
»Madl, ich habe es dir doch gesagt. Die Moni hat einen Schutzengel. Wir alle in Waldkogel haben Schutzengel!«
Christina half Claudia den Motorradhelm aufzuziehen und auf das Polizeimotorrad zu steigen.
»Leg deine Arme von hinten um mich und klammere dich an mich. Du musst keine Angst haben, Claudia. Ich bringe dich sicher hinauf.«
Dann fuhr sie mit Claudia davon.
*
Toni, Anna, der alte Alois, Mark, Martin und alle Hüttengäste standen auf der Terrasse und erwarteten sie.
Martin half Claudia vom Motorrad und brachte sie sofort hinein zu Monika.
»Siehst du, wie gut sie schläft, Claudia? Weck sie nicht! Schlaf ist die beste Medizin.«
Doktor Martin Engler maß mit einem modernen Thermometer noch einmal Monikas Temperatur, ohne dass er sie dafür wecken musste.
»Das Fieber fällt stetig. Sie ist ein robustes Madl. Lass sie ausschlafen. Dann kannst du sie mit nach Hause nehmen. Ich komme morgen auf der Enzian Alm vorbei und sehe nach ihr. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.«
Claudia ergriff Martins Hand.
»Danke, Martin, vielen, vielen Dank! Ich mache mir Vorwürfe. Aber ich hatte nie damit gerechnet, dass Moni fortlaufen würde.«
»Kinder sind unberechenbar, Claudia. Schimpf net, wenn sie aufwacht. Hör dir erst mal an, was sie zu sagen hat. Das Madl hat ein dramatisches Erlebnis hinter sich. Sag ihr, dass sie nimmer fortlaufen soll, aber dramatisiere die Sache nicht weiter.«
Martin gab Claudia zu verstehen, dass sie mitkommen sollte. Sie folgte ihm vor die Tür. Martin schloss die Tür.
Er flüsterte: »Claudia, ich will ganz ehrlich zu dir sein. Du hast den Verlust von Rudi noch nicht ganz verarbeitet. Das wird immer schlimm für dich bleiben. Jeder kann sich vorstellen, was du mitgemacht hast, seit Monika verschwunden war. Aber du darfst sie nicht überbehüten. Verstehst du, was ich dir damit sagen will?«
»Ja, Martin! Danke noch mal für alles. Du bist ein großartiger Doktor.«
Claudia wollte wieder ins Zimmer gehen. Martin hielt sie zurück.
»Lass sie schlafen. Bello ist bei ihr. Sie wird den ganzen Tag schlafen. Setz du dich draußen auf die Terrasse. Toni wird dir eine herzhafte Brotzeit machen. Du hast seit gestern nichts gegessen.«
»Ich habe keinen Hunger. Ich will bei Monika bleiben.«
»Nix da! Das ist eine medizinische Anweisung.«
Martin legte einfach den Arm um Claudias Schulter und nahm sie mit hinaus.
»Toni, Claudia braucht etwas zu essen. Etwas Leichtes und doch Kräftiges!«, sagte Martin.
»Da weiß ich genau das Richtige«, rief der alte Alois und eilte in die Küche.
Es dauerte nicht lange, dann kam er mit einem Teller mit Fleischbrühe, in der Eierschwämmchen schwammen.
»So, des tust essen! Dann fühlst dich besser, Madl. Siehst wirklich elend aus.«
Alois setzte sich zu Claudia an den Tisch. Martin und Christina fuhren wieder ins Tal. Toni und Anna gingen ihrer Arbeit auf der Berghütte nach. Durch das Ereignis brachen die Hüttengäste später zu ihren Touren auf und alle wollten Proviant mitnehmen. Toni und Anna hatten alle Hände voll zu tun.
Claudia aß brav ihre Suppe, auch wenn sie sich dazu zwingen musste.
»Danke, Alois, das schmeckt gut!«
»Schaust auch viel besser aus, Madl!«
»Wo ist dieser Mark? Wolfi sagte, ein Mark Strasser, der hier Hüttengast ist, hätte Monika gefunden.«
»Des stimmt! Der Mark ist net nur Hüttengast, sondern auch ein Freund. Anna hat ihn über ihre Freunde in Frankfurt kennengelernt. Mark war sehr müde und hat sich hingelegt. Du wirst ihn später kennenlernen. Dann kannst dich bei ihm bedanken.«
»Ich möchte ihm ein Geschenk machen, Alois. Du kennst ihn. Was könnte ihn erfreuen?«
»Ein Geschenk, des wird er sicherlich ablehnen. Aber ich gebe dir einen Tipp. Um deine Moni zu retten, hatte er seinen Rucksack zerschnitten, damit er sie besser tragen konnte«, flüsterte Alois.
Dann erzählte er, was er wusste.
»Danke, Alois! Dann weiß ich, was ich zu tun habe. Außerdem kann Monika ihm den Rucksack geben, dann kann er nicht ablehnen. Sobald es Monika wieder besser geht, fahre ich mit ihr nach Kirchwalden und kaufe einen schönen Rucksack.«
»Soweit musst net fahren. Bei der Veronika am Marktplatz kannst