Two Moments. Katie Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katie Weber
Издательство: Bookwire
Серия: IMCOMPLETE
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969874127
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durch die Getränke und Speisen schützen sollte. Allerdings schützte sie mich in diesem Moment leider nicht vor Oakleys durchdringendem Blick, der regelrecht ein Loch in mein Innerstes brannte.

      »Hör auf, dich ständig zu entschuldigen«, erwiderte er gröber als vermutlich geplant. »Es sei denn ... du weißt etwas über meine Schwester, das mir – uns allen – dabei helfen könnte, sie zu finden.« Sein glühender Blick bohrte sich immer tiefer in mich hinein und brachte damit meine Selbstsicherheit endgültig ins Straucheln.

      Ich hatte schreckliche Mühe, stark zu bleiben und mir nichts von all dem Gefühlschaos, das seit seinem plötzlichen Auftauchen in meinem Inneren wie ein Wirbelsturm tobte, anmerken zu lassen. »Wie ich schon sagte«, krächzte ich mit halb gebrochener Stimme und schluckte leer. »Wir waren keine Freunde mehr, als Violet verschwand. Ich hab also absolut keinen Schimmer, wo deine Schwester abgeblieben sein könnte.« Und das entsprach leider sogar der vollen Wahrheit.

      »Abgeblieben?« Oakley runzelte die Stirn. »Das klingt beinahe so, als würdest du glauben, sie wäre von allein verschwunden. Abgehauen oder so.«

      »Es ist egal, was ich glaube«, erwiderte ich schulterzuckend und mit entschuldigendem Blick.

      Er schüttelte den Kopf. »Für mich ist es das nicht. Mich interessiert durchaus, was du glaubst und was nicht. Denn ich bin nach wie vor sicher, dass du der Mensch bist, der Violet trotz allem am besten kannte. Du kannst sie besser einschätzen als die anderen. Besser sogar als ich.«

      Erneut seufzte ich schwer und versuchte seinem intensiven Blick standzuhalten und nicht wie eine Marionette, deren Fäden man durchgeschnitten hatte, einzuknicken. »Und dennoch kann ich dir nicht helfen.«

      »Kannst oder willst du nicht?«, forderte Oakley jetzt meine schwachen Nerven heraus.

      Ich schwieg. Denn das war leichter, als ihm alles erklären zu müssen. Und leichter, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Wäre es anders, würde ich zusammenbrechen. Hier und jetzt, direkt vor seinen Augen und vor all den anderen Gästen, die uns nach wie vor neugierige Blicke zuwarfen. Und das war etwas, das ich auf keinen Fall geschehen lassen durfte.

      »Was zur Hölle ist zwischen euch vorgefallen?«, fragte er plötzlich schrecklich leise. Als hätte er diesen Gedanken gar nicht aussprechen wollen.

      Dennoch antwortete ich diesmal: »Zu viel. Reicht das als Antwort?«

      Oakley starrte mich abschätzend und skeptisch an, bevor seine Mundwinkel überraschend, aber kurz zuckten. »So leicht schüttelst du mich nicht ab. Das solltest du wissen.«

      Und ob ich das wusste. Ich erinnerte mich nur zu gut an den alten Oakley von damals, der nie mit etwas zufrieden war, bis er das bekam, was er wollte. Hartnäckig wie ein Rotweinfleck auf weißen Polstern und stur wie ein Esel, der oftmals viel zu sehr von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt war. Doch häufig eben auch vollkommen zu Recht.

      Fünf Jahre zuvor

      Hundemüde, weil ich die halbe Nacht wieder damit verbracht hatte, mit Violet über unseren anstehenden Schulausflug in die Berge zu schwärmen, stand ich am frühen Morgen vor meinem Spind im Schulflur und starrte ins Innere der klapprigen Metallbox. In wenigen Minuten begann der Unterricht – für mich direkt die erste Stunde in meiner ganz persönlichen Hölle. Mathe war einfach nicht mein Ding. Und ich war sicher, bis ans Ende meiner Tage würde ich dieses Fach abgrundtief hassen.

      Mit genervtem Stöhnen griff ich in meinem Spind zum Mathebuch, als plötzlich jemand neben mir auftauchte und sich gegen die Metallschränke lehnte. Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte mich um. Oakley, Violets großer Bruder, grinste mich spitzbübisch an und warf einen Blick auf das Buch in meiner Hand. Mein Herz begann sofort wie wild zu klopfen.

      »Tanner oder Willson?«, fragte er mit bedauernder Miene.

      Ich räusperte mich leise, weil ich mich wunderte, wieso er hier war und mit mir sprach. »Tanner«, antwortete ich dann und nannte ihm den Namen meines Mathelehrers, der sich zwar redlich Mühe gab, mir und den anderen das Fach nahezubringen, doch zumindest bei mir schien es zwecklos.

      Oakleys Gesicht erhellte sich wieder. »Tanner ist nicht übel«, sagte er dann und lächelte. »Allemal besser als Willson, dem es scheißegal ist, ob man mit dem Stoff überhaupt mitkommt oder nicht. Er zieht seinen Scheiß einfach durch, ohne Rücksicht auf Verluste.«

      Ich grinste. »Lass mich raten: Du hast Willson statt Tanner abbekommen?«

      Er nickte. »Seitdem ich im Leistungskurs bin, hab ich leider Willson, ja. Tanner war früher einmal mein Mathelehrer, und ich beneide dich drum, dass du ihn hast.«

      Fassungslos riss ich die Augen auf. »Du bist im Leistungskurs? In Mathe? Wie ...?«

      Oakley grinste erneut. »Und das sogar ganz freiwillig«, bestätigte er, nicht ohne Stolz.

      Sprachlos, aber beeindruckt starrte ich ihn nur an und fragte mich ein weiteres Mal, weshalb er gerade überhaupt bei mir war und mit mir redete. Das hatte er früher schließlich auch nie getan. Nicht mal dann, wenn ich bei Violet zu Hause gewesen war oder bei ihr übernachtet hatte. Selbst wenn wir uns dort dann zufällig auf dem Flur oder in der Küche begegnet waren, hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Doch dann ...

      Seit Violet und ich das letzte Mal am See gewesen waren, hatte sich irgendetwas verändert, auch wenn ich noch nicht genau wusste, was oder wieso. Oakley hatte an diesem Tag oftmals neben mir gesessen und hatte hin und wieder mit mir gesprochen, statt mich und Violet zu ignorieren – so, wie er es früher häufig getan hatte. Und auch wenn das mein dummes, armes Herz auf einmal hoffen ließ, so hatte mein Verstand dennoch Zweifel an Oakleys Motiven.

      Ich konnte mich schon gar nicht mehr richtig daran erinnern, wie lange ich bereits für diesen Jungen schwärmte und wann genau der Punkt gewesen war, an dem die Schwärmerei in etwas weitaus Tieferes, Schwereres übergegangen war. Doch es war unabstreitbar, dass ich bereits ziemlich lange in Violets Bruder verliebt war, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte und ohne dass er es jemals bemerkt hatte.

      »Sag mal, du weißt nicht zufällig, was sich meine kleine Schwester zum Geburtstag wünscht, oder, Cinnamon?«

      Überrascht schnappte ich nach Luft. Nicht nur, weil ich jetzt wusste, weshalb er zu mir gekommen war, und sich dadurch unweigerlich eine kleine schmerzhafte Enttäuschung in meiner Brust ausbreitete, sondern auch, weil er mich Cinnamon genannt hatte. Wieso ausgerechnet Cinnamon? War das jetzt sein Kosename für mich? Und bedeutete das etwas Gutes? Ich war mir unsicher.

      »Wie wäre es, wenn du Violet selbst danach fragst?«, schlug ich mit nervösem Lächeln vor, schloss meinen Spind und drückte das Mathebuch schützend vor meine Brust.

      »Ich frage aber dich«, sagte er mit amüsiertem Grinsen und zupfte plötzlich einmal kurz an einer meiner langen Haarsträhnen. »Wie wäre es, wenn wir nach der Schule zusammen in die Mall gehen und du zeigst mir einfach etwas, das ich Violet als Geschenk kaufen kann? Etwas, worüber sie sich wirklich freut?«

      War das sein Ernst? Schlug er mir gerade ernsthaft vor, mit mir ins Einkaufszentrum zu fahren und dort zu bummeln? Nur wir zwei? Aufgeregt begann mein Herz noch schneller zu klopfen und ich biss mir verunsichert auf die Lippe. Natürlich wollte ich nichts lieber tun, als Zeit mit Oakley zu verbringen – und das allein. Doch irgendwie hatte ich auch Angst davor. Ich hatte Angst, mir all meine Chancen, sollte ich überhaupt welche bei ihm haben, damit zu verbauen und mich ein für alle Mal ins Abseits zu schießen.

      Was, wenn er danach nie wieder mit mir sprechen wollte? Was, wenn er merkte, dass er lieber doch nichts mit mir zu tun haben wollte und mich wieder ignorierte? Das würde mein Herz nicht aushalten. Nicht, nachdem es zum ersten Mal mit Hoffnung gefüllt wurde.

      »Komm schon, Cinnamon«, lockte Oakley mich mit einem unwiderstehlichen Lächeln. »Trau dich. Ich verspreche, du wirst es nicht bereuen.«

      Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde lang aus, als er