Was sind wir Menschen!
Daja. Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: ,,Horch, horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! Seine sanfte Stimme selbst!“ — Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt’ auf das Kissen. — Ich, zur Pfort’ hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! Kommt Ihr Wahrlich!
Was Wunder! Ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch — und ihm.
Nathan. Bei ihm?
Bei welchem Ihm?
Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.
Nathan. Wer war das? Wer? — Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? Wer?
Daja. Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.
Nathan. Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!
Daja. Ohn’ ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinnst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
Nathan. WOist er, Daja, dieser edle Mann?
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch für’s erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? Gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? Weit mehr?
Daja. Wie konnten wir?
Nathan. Nicht? Nicht?
Daja. Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. — Ohn’ alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist —
Verschwunden!
Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.
Daja. Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor, — nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.
Nathan. Nun?
Daja. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goß so bittern Spott auf mich besonders . . .
Nathan. Bis dadurch abgeschreckt . . .
Daja. Nichts weniger!
Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt’ ich nicht
Noch gern ertragen! — Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. —
Ihr staunt? Ihr sinnt?
Nathan. Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Recha’s, wohl
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen
Und doch so angezogen werden! — Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muß spielen. — Schlimmer
Das Letztere, verkenn’ ich Recha nicht, [Tausch! —
Ist Recha’s Fall: sie schwärmt.
Daja. Allein so fromm,
So liebenswürdig!
Nathan. Ist doch auch geschwärmt!
Daja. Vornehmlich eine — Grille, wenn ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutz sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten. — Lächelt nicht! — Wer weiß?
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann
Vereinigen, — so einen süßen Wahn!
Nathan. Auch mir so süß! — Geh, wackre Daja,
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. — [geh;
Sodann such’ ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hienieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find’ ich ihn gewiß, und bring’
Ihn her.
Daja. Ihr unternehmet viel.
Nathan. Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: —
Denn, Daja, glaube mir, dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel —
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt