Gotthold Ephraim Lessing
Nathan. der Weise
Mit einer Einführung von
Adolf von Grolman
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
Saga
Nathan. der WeiseCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1779, 2020 Gotthold Ephraim Lessing und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726540130
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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Personen:
Sultan Saladin.
Sittah, dessen Schwester.
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem.
Recha, dessen angenommene Tochter.
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha.
Ein junger tempelherr.
Ein Derwisch.
Der Patriarch Von Jerusalem.
Ein Klosterbruder.
Ein Emir, nebst verschiedenen Mameluken des Saladin.
Die Szene ist in Jerusalem.
Erster Aufzug
ERSTER AUFTRITT
Szene: Flur in Nathans Hause.
Nathan. von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.
Daja. Er ist es! Nathan! — Gott sei ewig Dank, Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
Nathan. Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch Warum endlich?
Hab’ ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seit ab, bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiß
Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das
So von der Hand sich schlagen läßt.
Daja. O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus . . .
Nathan. Das brannte
So hab’ ich schon vernommen. — Gebe Gott,
Daß ich nur alles schon vernommen habe!
Daja. Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
Nathan. Dann, Daja, hätten wir ein neues uns Gebaut, und ein bequemeres.
Daja. Schonwahr! —
Doch Recha wär’ bei einem Haare mit Verbrannt.
Nathan. Verbrannt? Wer? Meine Recha? Sie? —
Das hab’ ich nicht gehört. — Nun denn! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. — Verbrannt
Bei einem Haare! — Ha! Sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! — Sag’ nur heraus!
Heraus nur! — Töte mich, und martre mich
Nicht länger. — Ja, sie ist verbrannt.
Daja. Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von-mir es hören?
Nathan. Warum erschreckest Du mich denn? [— O Recha!
O meine Recha!
Daja. Eure? Eure Recha?
Nathan. Wenn ich mich wieder je entwöhnen
Müßte, dies Kind mein Kind zu nennen!
Daja. Nennt Ihr
Alles, was Ihr besitzt, mit eben so viel Rechte Das Eure?
Nathan. Nichts mit größerm! Alles, was Ich sonst, besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank’ ich der Tugend.
Daja. O wie teuer laßt
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!
Nathan. In solcher Absicht?
In welcher?
Daja. Mein Gewissen . . .
Nathan. Daja, laß
Vor allen Dingen dir erzählen . . .
Daja. Mein
Gewissen, sag’ ich . . .
Nathan. Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönrn mit.
Daja. Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muß
Ich Euch nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.
Nathan. Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.
Daja. So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! Nur schenken könnt!
Nathan. Nimm du so gern, als ich dir geb’: —
Und schweig!
Daja. Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, Daß Ihr nicht die Ehrlichkeit, die Großmut selber Seid? Und doch . . .
Nathan. Doch bin ich nur ein Jude. —
Gelt, das willst du sagen?
Daja. Was ich sagen will,
Das wißt Ihr besser.
Nathan. Nun so schweig!
Daja. Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, —
Nicht kann, — komm’ über Euch!
Nathan. Komm über mich! —
Wo aber ist sie denn? Wo bleibt sie? — Daja,
Wenn du mich hintergehst! — Weiß sie es denn,
Daß ich gekommen bin?
Daja. Das frag’ ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger