Ray hatte den Rat befolgt. Er schätzte seine Gesundheit sehr hoch ein. Und er wußte, daß es in Chikago keine Mühe machte, ein paar Schläger für ein paar Dollar anzuheuern und ihnen den Auftrag zu geben, einen Mann zusammenzuschlagen. Es war also nicht um die Frage des persönlichen Mutes, sondern um eine Entscheidung des gesunden Menschenverstandes gegangen.
Und in gewisser Hinsicht war dieser Zwischenfall für Ray sogar recht gut gewesen. Er hatte eine Lektion bekommen. Während der etwa zweihundert Meilen langen Fahrt von Chikago nach Ferris hatte diese Lektion Ray zu intensivem Nachdenken angeregt.
Er war es allmählich leid, von Stadt zu Stadt zu ziehen; von Bett zu Bett, ohne jegliches Gefühl, irgendwohin zu gehören. Dieser Lebenswandel war unbefriedigend. Natürlich hatte Abwechslung auch ihre Reize und Vorteile, wie Ray sich unter raschem Grinsen eingestand. Jedes Abenteuer mit einer anderen Frau war stets ein erhebendes Gefühl gewesen; stets das Versprechen, bei jeder neuen Partnerin, die sich bereitwillig unter ihm wand, etwas anderes zu entdecken. Das alles war bei ihm zur festen Gewohnheit, zu einem Bestandteil seines Lebens geworden, und es dürfte sicher nicht leicht sein, damit von heute auf morgen zu brechen.
Aber diesmal mußten die Dinge einfach anders werden! Ray war grimmig entschlossen, sich endgültig irgendwo niederzulassen und endlich etwas aus sich zu machen. Kalte, ehrliche Selbsterkenntnis reichte vollkommen aus, um diesen Vorsatz ausnahmsweise und zur Abwechslung einmal ernst zu nehmen und auch in die Tat umzusetzen. Ray war jetzt sechsundzwanzig; er hatte weder Verwandte noch Freunde. Mit Ausnahme von Sam King, einem alten Kameraden aus der Army. Und Ray hatte weder ein festes Zuhause noch einen Job. Falls er sich noch länger so ziellos in der Welt herumtreiben würde, dürfte es um seine Zukunft trübe bestellt sein.
Ray war Autoverkäufer, und zwar ein sehr guter. Aber ein Job nach dem anderen … und noch immer keinerlei finanziellen Rückhalt.
Manchmal war es seine eigene Rastlosigkeit, die ihn zur Aufgabe einer Stellung veranlaßte, mitunter aber hatten sich auch Kollegen oder Chefs höchst unbehaglich gefühlt, ihn in unmittelbarer Nähe zu haben, wenn sie verheiratet gewesen waren. Dieser Mann sah ihrer Meinung nach einfach zu gut aus, um ihn gefahrlos mit Ehefrauen in. Kontakt bringen zu können. Man hatte ihn also nicht selten kurzerhand gefeuert, um ihn loszuwerden. Irgendein fadenscheiniger Vorwand hatte sich stets finden lassen.
Männer mochten Ray, freundeten sich aber nie mit ihm an, und schon gar nicht, wenn sie verheiratet waren. Dagegen wurden verheiratete Frauen einfach zu freundlich! Während Ray von Chikago nach Ferris fuhr, wurde er sich einer ruhigen Resignation bewußt, die fast an Verzweiflung grenzte. Die Jahre vergingen viel zu schnell … und Ray hatte bisher nichts aufzuweisen. Mit Ausnahme vieler Erinnerungen. Zugegeben, es waren durchaus angenehme Erinnerungen, einige sogar fantastisch, aber … man konnte schließlich keine Zukunft darauf aufbauen. Nein, nein … diesmal mußte er wirklich etwas aus sich machen. Dieses Versprechen hatte er sich zwar früher auch schon gegeben, aber meistens nur mit halbem Herzen; fast so, als wäre alles nur ein Spaß.
Jetzt aber war es ganz und gar kein Spaß mehr. Ray schwebte in der akuten Gefahr, ein chronischer Versager zu werden, falls es ihm diesmal wieder nicht gelingen sollte, sein Versprechen zu halten und wahr zu machen. Seine leichten und mühelosen Erfolge bei Frauen könnten ihm schließlich allen Ehrgeiz rauben und ihn zu einem faulen Herumtreiber machen … zu einem Landstreicher. Als Ray dieses Wort auch nur dachte, knirschte er mit den Zähnen. Er haßte es. Sein Vater war ein Landstreicher gewesen. Ray war verbissen entschlossen, sich nicht auf den gleichen Pfad ins Dunkel treiben zu lassen.
Er wollte für den Anfang weiter nichts als einen guten Job mit Zukunftsaussichten.
Ferris schien ihm ein idealer Ort dafür zu sein, sich endgültig niederzulassen. Ray erinnerte sich daran, wie Sam King ihm während ihrer gemeinsamen Dienstzeit bei der Army die kleine Stadt immer beschrieben hatte … friedlich, aufstrebend und strotzend von Gelegenheiten.
Und alles, was Ray jetzt brauchte, war eine gute Gelegenheit. Das redete er sich jedenfalls ein. Nur eine einzige gute Gelegenheit.
Ray stand auf, bezahlte seine Coca und suchte im Telefonbuch nach Sams Adresse. Er wußte, daß er eigentlich erst anrufen sollte, aber dann beschloß er, den alten Kumpel einfach zu überraschen. Falls Sam nicht zu Hause sein sollte, könnte Ray ja am Abend noch einmal hingehen. Die Fahrt durch die Stadt würde ihn auf alle Fälle etwas mit der Ortschaft vertraut machen.
Und so hielt Ray zehn Minuten später an der Bordsteinkante einer ruhigen, von Bäumen beschatteten Straße an. Er schaltete den Motor seines alten, klapprigen Fords ab, stieg aus, ging über den schmalen Gartenpfad zu dem alten, zweistöckigen Haus hinüber und läutete.
Eine Minute später wurde die Tür geöffnet.
Ray blickte auf eine kleine, sehr hübsche blonde Frau hinab, die einen Hausmantel trug. Er lächelte.
„Hallo! Ist Sam zu Hause?”
„Nein. Er ist in der Redaktion.”
Ray stellte sich vor und schloß: „Nun, dann komme ich wohl am besten heute abend noch einmal wieder.”
„Nein, nein!” rief sie rasch.
Die Art, wie sie das eben gesagt hatte, ließ bei Ray sofort eine Alarmglocke im Kopf anschlagen.
Doch die Frau bestand darauf, daß er ins Haus kommen sollte.
Also ging Ray hinein. Er folgte ihr ins Wohnzimmer, akzeptierte den angebotenen Kaffee und beobachtete, wie die kleinen, strammen Arschbacken sich unter dem dünnen Hausmantel bewegten, als die Frau das Wohnzimmer verließ und in die Küche ging. Nachdenklich zündete er sich eine Zigarette an.
Bisher hatte ihn die Alarmglocke in seinem Gehirn noch nie getäuscht. Im Laufe der Jahre hatte Ray gewissermaßen einen sechsten Sinn entwickelt, soweit es Frauen betraf. Er konnte beinahe sofort ganz instinktiv sagen, ob eine Frau zum letzten bereit war oder nicht.
Aber Ray konnte zugleich spüren, wenn ihm irgendwelcher Ärger drohte.
Sein scharfer Instinkt, gepaart mit langjähriger Erfahrung und einer guten Beobachtungsgabe, warnte ihn nun, daß diese Sherry King leicht Ärger für ihn bedeuten könnte. Gleichzeitig verriet ihm sein Instinkt aber auch, daß er es mit einem Tramp zu tun hatte. Diese Frau war eine hemmungslose Schlampe!
Ray hatte sofort bemerkt, wie Sherry bei seinem Anblick die Augen aufgerissen hatte; wie sie ihn hungrig und gierig angestarrt und von oben bis unten gemustert hatte; wie sich ihre kleinen, festen Brüste unter dem dünnen Stoff des Hausmantels bei einigen schnelleren Atemzügen gehoben und gesenkt hatten.
Ray war im Laufe der Jahre schon zu vielen Frauen dieses Typs begegnet, um nicht augenblicklich Bescheid zu wissen. Er fällte niemals ein vorschnelles Urteil über Frauen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, aber diesmal war er fest davon überzeugt, daß ihn sein Instinkt nicht trog. Was ihn verwunderte, war allerdings die Tatsache, warum ein so netter Bursche wie Sam eine solche Frau geheiratet hatte.
Sherry kam mit dem Kaffee ins Wohnzimmer zurück und setzte sich neben Ray auf die Couch.
Sie hat das Gesicht eines kleinen Mädchens, dachte Ray. Nur ihre Augen verraten sie.
Sherrys Augen glitzerten im Moment vor gierigem Hunger.
„Sam hat mir schon von Ihnen erzählt”, sagte sie mit heiserer Stimme. „Aber er hat mich nicht darüber aufgeklärt, wie gut Sie aussehen!” Ihre rosa Zungenspitze huschte rasch über die feuchten Lippen.
Ray nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
„Wir waren sehr gute Freunde … beinahe wie Brüder, Mrs. King.”
„Nennen Sie mich doch einfach Sherry”, schlug sie vor. „Er spricht viel von Ihnen, Ray. Sie müssen also wirklich etwas ganz Besonderes sein!”
Sherry steckte sich eine Zigarette zwischen die kleinen Lippen und wartete.
Ray langte sofort hinüber und ließ sein Feuerzeug aufschnappen.
Sie