Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159618357
Скачать книгу
bleibt anständig.«

      Da er nichts einwendete:

      »Hat der Wein schön geschmeckt? Den haben nämlich Ihre Schuljungen gestiftet. Die legen sich mächtig ins Zeug, sag’ ich Ihnen. Einer is bei, der hat Pinke-Pinke.«

      Sie goß ihm sein Glas nochmals voll. Im Wunsch, ihm zu schmeicheln:

      »Ich lach’ mir ja ’n Ast, wenn die Bengels nachher wiederkommen, und Sie haben Ihnen alles weggepichelt. Mich kann es manchmal freuen, wenn einer irgendwie zu Schaden kommt. Man wird allmählich so.«

      »Wahrlich doch«, stotterte Unrat; und mit dem Glas in der Hand schämte er sich, weil er von Lohmanns Wein getrunken hatte. Denn der Schüler, der ihn bezahlt hatte, war Lohmann. Lohmann war hier gewesen; er war vor den andern entkommen. Vermutlich war er noch in der Nähe. [71]Unrat schielte nach dem Fenster: die Gardine trug immer den etwas formlosen Abdruck eines Gesichts. Er wußte, wenn er darauf lossprang, würde es weg sein. Das war Lohmann: Unrat erfuhr es durch tiefe Ahnung. Lohmann, der Allerschlimmste, mit seiner unnahbaren Widersetzlichkeit, der ihn nicht einmal bei seinem Namen nannte: der war der unsichtbare Geist, mit dem Unrat kämpfte. Die beiden andern waren keine Geister; und Unrat fühlte, daß jene ihn schwerlich bis hierher gebracht haben würden, bis zu den ungewöhnlichen Handlungen, die er nun beging, und dahin, daß er in einem Hinterzimmer, wo es nach Schminke und verfänglichen Gewändern roch, bei der Künstlerin Fröhlich saß. Um des Schülers Lohmann willen aber mußte Unrat bleiben. Ging er, dann saß wieder Lohmann hier und sah der Künstlerin Fröhlich, die ihren Stuhl heranzog, in das bunte Gesicht. Bei dem Gedanken, daß dies nun glücklich ausgeschlossen sei, goß Unrat, ehe er es sich versah, das ganze Glas hinunter. Es brannte wohlig in seinen Gedärmen.

      Die beiden dicken Leute im Saal hatten eine weitere Nummer ihres Programms unter hörbarem Atmen zu Ende gebracht. Jetzt schmetterte das Klavier etwas Kriegerisches, und gleich darauf setzten die zwei Stimmen ein, mit überzeugender Wucht, ehrlich dröhnend von vaterländischer Begeisterung.

      »Stolz weht die Flagge schwarz weiß rot

      Von unsres Schiffes Mast,

      Dem Feinde Weh, der sie bedroht,

      Der diese Farben haßt!«

      [72]Die Künstlerin Fröhlich sagte:

      »Das is ihre Zugnummer, das müssen Sie sich mal ansehen.«

      Sie öffnete vorsichtig die Tür, darauf bedacht, sich und Unrat den Blicken der Zuschauer vorzuenthalten, und ließ Unrat zwischen den Angeln durch den Spalt spähen. Er sah die beiden dicken Leute, mit einem schwarzweißroten Flaggentuch um Magen und Bauch, auf der Eisenstange eines Turnrecks stehen und jeder kühn auf einen Pfosten gestützt, sieghafte Kiefern aufreißen.

      »Allüberall wo auf dem Meer

      Empor ein Mast sich reckt,

      Da steht die deutsche Flagge sehr

      In Achtung und Respekt.«

      Man fühlte, das Publikum war tief aufgehoben von innerlichem Drängen. In einer schwindelnden Wallung ließ der und jener seine schwieligen Handflächen aufeinander krachen. Nach jeder Strophe mußte von Besonnenen der Beifall mühsam unterdrückt werden. Am Schluß des Gesanges sprengte er die Kehlen. Die Künstlerin Fröhlich äußerte, und sie beschrieb hinter der Tür eine umfassende Geste über den Saal hin:

      »Nu sagen Sie mal selbst, ob das nich Affen mit Eichenlaub sind! Jeder einzelne von der Menschheit kann doch das olle Flottenlied besser singen als wie die gute Guste mit ihren Kiepert. Und zu allermindest denkt er sich auch was bei. Kiepert und Guste wissen ja zu genau, daß sie bloß Fisimatenten machen fürs Geschäft. Und Stimme haben sie gar keine und Gehör beinahe ebensoviel. Aber man die Fahnen [73]um ’n Bauch, und die Leute stellen ein Leben an, daß ein feiner Besaiteter sich platterdings dafür bedanken würde, und die Dicken müssen was zugeben. Nu sagen Sie selbst!«

      Unrat gab ihr recht. Er und die Künstlerin Fröhlich nickten sich zu, in ebenbürtiger Volksverachtung.

      »Passen Sie mal auf, was nu los wird«, sagte sie und steckte, bevor die beiden dicken Leute ihre Extranummer anbrachen, plötzlich den Kopf in den Saal.

      »Hohohohoho!« machte es draußen.

      Sie zog den Kopf zurück.

      »Haben Sie gehört?« fragte sie befriedigt. »Die haben mich nu den lieben langen Abend angeglupt, aber zeig’ ich bloß die Nasenspitze, wo sie nich drauf gefaßt sind, denn muhen sie wie das Vieh!«

      Unrat dachte an die verwandten Laute, die in der Klasse entstanden, sobald irgend etwas Unerwartetes vorfiel, und er entschied:

      »So sind sie immer!«

      Die Künstlerin Fröhlich seufzte.

      »Nu bin ich gleich wieder dran und muß raus zu der Menagerie.«

      Unrat ward von Hast gepackt.

      »Schließen Sie nun denn also die Tür!«

      Er tat es selbst.

      »Wir sind von unserem Gegenstande abgekommen. Sie müssen die Wahrheit preisgeben über den Schüler Lohmann. Ihr Leugnen kann seine Sache nur verschlimmern.«

      »Fangen Sie wieder davon an? Das muß ’n sanfter Wahn von Ihnen sein.«

      »Ich bin der Lehrer! Dieser Schüler ist ein so beschaffener, daß er die höchsten Strafen verdient. Seien Sie [74]eingedenk Ihrer Pflicht, damit kein Verbrecher der Gerechtigkeit entkomme!«

      »Liebes Gottchen! Sie wollen gewiß Wurst machen aus dem Menschen! Wie heißt er? Überhaupt hab’ ich für Namen kein Gedächtnis. Wie sieht er denn aus?«

      »Er ist gelblich von Gesicht; er hat einerseits eine breite Stirn, welche er auf eine gewisse überhebliche Art in Falten legt, andererseits aber schwarze Haare in derselben. Von mittelgroßer Gestalt, bewegt er dieselbe mit einer sozusagen nachlässigen Geschmeidigkeit, hierdurch bereits die Zuchtlosigkeit seines Sinnes bekundend …«

      Unrat formte das Bildnis mit den Händen. Der Haß machte ihn zum Porträtisten.

      »Und?« fragte die Künstlerin Fröhlich, mit zwei Fingern am Mundwinkel. Aber sie hatte Lohmann schon wiedererkannt.

      »Er ist – traun fürwahr – recht geschniegelt, und erachtet es für angemessen, seiner Eleganz durch ein schwermütig-unbeteiligtes Verhalten das Ansehen zu geben, als sei sie von selbst da und nicht vielmehr eine Tochter seiner, der Verachtung des Weisen würdigen Eitelkeit.«

      Sie stellte fest:

      »Das genügt. Mit dem kann ich nich dienen, tut mir leid.«

      »Nachgedacht! Vorwärts!«

      »Schade. Der wird nich gereicht«; und sie schnitt eine Clownsfratze.

      »Ich weiß, daß er hier gewesen ist; ich habe Beweise!«

      »Denn können Sie ihm die Krawatte ja alleine zuziehn und brauchen mich nich dazu.«

      »Ich habe da in meiner Tasche das Aufsatzheft des Lohmann; wenn ich Ihnen dasselbe zeigen würde, dann [75]zweifle ich nicht, daß Sie sofort zugeben würden, ihn zu kennen … Drum denn, soll ich es Ihnen zeigen, Künstlerin Fröhlich?«

      »Ich bin ganz närrsch drauf.«

      Er griff in seinen Rock, errötete wolkig, zog die Hand leer zurück, wagte es noch einmal … Sie las endlich Lohmanns Verse, angestrengt, wie ein Kind über der Fibel. Dann, aufwallend:

      »Das is aber wirklich ’ne Niedertracht. ›Und kommst du erst mal in die Wochen‹. Wer woll eher in die Wochen kommt.«

      Und nachdenklich:

      »Aber so dumm wie ich dachte, is er nich mal.«

      »Sehen Sie wohl, Sie kennen ihn!«

      Sie, sehr schnell:

      »Wer sagt das? Nee, Männeken, fangen gibt’s nich.«

      Unrat