GESCHICHTEN AUS DONNAS KASCHEMME. Monika Niehaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Niehaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658654
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mitfühlendes Stöhnen ging durch die Runde. Sechs Mal die böse Seite des Mondes! Das war wirklich verfluchtes Pech.

      »Damit hatte er mir nicht nur meinen ganzen Gewinn, sondern auch die gesamte Prämie abgeknöpft, die auf seinen Kopf ausgesetzt war.« Willi straffte die Schultern und hob das Kinn. »Ich musste ihn laufen lassen. Spielschulden sind nun mal Ehrenschulden, und niemand soll sagen, dass Willi, das Wurmlochwiesel, kein Ehrenmann ist …«

      Einen Moment verschlug es uns die Sprache, dann brandete Applaus auf, und wir alle standen auf, um Willi auf die Schulter zu klopfen und ihm zu versichern, dass wir niemals an seinem Charakter gezweifelt hätten. Donna brachte eine Runde Freibier – »Willi hat gewettet, dass er dem Kuiper-Belter mindestens drei Bier abschwatzt«, raunte sie mir ins Ohr – und wir ließen sie und Willi gebührend hochleben.

      Also, wenn Sie das nächste Mal in unserer Gegend sind und eine gute Geschichte hören wollen, kommen Sie vorbei, auch wenn Donnas Kaschemme etwas ab vom Schuss liegt.

      »Die böse Seite des Mondes«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2012

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      Wenn Karl May heute lebte, würde er Fantasy schreiben und sich »Auf sehr fremden Pfaden« bewegen.

      In der Klemme

      In Donnas Kaschemme ging es wieder einmal hoch her. Sie liegt zwar ein wenig abseits am Rand der Milchstraße, aber hier ist immer etwas los, vor allem, wenn Willi, das Wurmlochwiesel, auf einen Sprung vorbeischaut, und das tut er eigentlich ständig. Er kommt von Berufs wegen viel herum und hat immer eine gute Geschichte auf Lager. Willi ist nämlich Kopfgeldjäger, auch wenn er ständig pleite ist, weil er gern ein Spielchen macht und dabei vom Pech verfolgt wird.

      Nicht alle Gäste in Donnas Kaschemme schätzen Willi so wie ich. Das gilt besonders für Quoxx, einen vierschrötigen Kuiper-Belt-Bewohner, den Willi kürzlich hochgenommen hat. Seitdem sinnt er auf Rache. Daher ahnte Willi nichts Gutes, als er sich zu uns setzte.

      »Hast du uns nicht vor einiger Zeit von deinem Abenteuer auf dem Salzmond Jod II erzählt?«, begann Quoxx ganz freundlich und winkte Donna herbei, um eine Runde Bier zu bestellen, was angesichts seiner üblichen Knauserigkeit höchst verdächtig war.

      Willi nickte vorsichtig.

      »Wie du mit deinem treuen Begleiter über diesen Salzsee geritten bist und die Schurken, die du verfolgtest, euren Führer weggepustet haben?«, fuhr der Kuiper-Belter fort.

      »Ich erinnere mich, als wäre es heute gewesen«, bestätigte Willi und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. »Ohne Führer waren wir so gut wie verloren. Jeden Augenblick drohte uns der Salzsee zu verschlingen. Wir brachen ein, rafften uns wieder auf, brachen wieder ein, bis wir schließlich festen Boden unter den Füßen gewannen.« Er schüttelte erinnerungsträchtig den Kopf. »Doch unsere Reittiere, unsere ganze Ausrüstung, alles war unter der tückischen Salzkruste verschwunden …«

      »Das muss schrecklich gewesen sein …«

      Willi nickte. »Schauderhaft, sag’ ich euch!«

      »Was für ein eigenartiger Zufall!« Quoxx ließ Willi nicht aus den Augen, während er ein altes, stockfleckiges Buch aus der Tasche zog und aufschlug. »Durch die Wüste. Hab's auf einem Flohmarkt in Nix-Wie-Weg entdeckt. Wenn du mal einen Blick drauf werfen möchtest … das Kapitel heißt Der Todesritt.« Er schob Willi das Buch herüber.

      Willi begann zu lesen, und seine Augen wurden immer größer. »Das … das ist eine Unverschämtheit, eine bodenlose Unverschämtheit! Welcher Schuft wagt es, meine Geschichten zu klauen?«

      »Nun, der Autor war Reiseschriftsteller … lebte wohl so gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts.« Quoxx entblößte seine Hauer und lächelte sein Warzenschweinlächeln. Jetzt hatte er diesen windigen Kopfgeldjäger am Wickel!

      Willi schien nicht zu merken, dass wir alle ihn teils erwartungsvoll, teils besorgt anstarrten, sondern schüttelte nur den Kopf. »Kenn’ ich nicht … oder warte! Ist das so ein Kleiner mit Schnauzbart?«

      Quoxx beäugte das Bild auf der Rückseite des Buches. »Könnte hinkommen …«

      »Reiseschriftsteller! Dass ich nicht lache! Lehrer wollte der damals werden!« Willi schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass die Gläser tanzten. »Ich war hinter einem Schrottschmuggler her, als eine Wellengleichung in meinem Quantencomputer kollabierte und das Schiff ein paar Hundert Jahre zurück in die Vergangenheit katapultiert wurde. War eine Sauarbeit, den Schlamassel zu reparieren, hat mich fast eine Woche gekostet. Und in dieser Zeit bin ich bei dem jungen Schnauzbart untergekrochen. Hatte Grips und Fantasie, der Kerl, das muss ich sagen.«

      Der Bierschaum auf seiner Oberlippe zitterte. Die Sache schien ihm wirklich an die Nieren zu gehen. »War sehr interessiert und hat mir Löcher in den Bauch gefragt. Also hab’ ich ihm beim Basteln meine Abenteuer erzählt … war ganz versessen darauf … hat sich dauernd Notizen gemacht. Und so dankt er es mir!« Anklagend wies er auf das Impressum. »Hat nicht mal meinen Namen erwähnt …«

      Willi hob den Kopf und sah in die Runde. »Freunde! Ich bin Opfer eines schändlichen Plagiats geworden!«

      Willis Augen waren so blau, so offen und ehrlich – wer von uns hätte seine gerechte Entrüstung nicht nachempfinden können? Wir alle gaben unserem Unmut über diesen Schreiberling lautstark Ausdruck, und Quoxx blieb nichts übrig, als in den allgemeinen Chor der Empörung einzustimmen und noch eine Runde zu bestellen.

      Wenn Ihnen daher die eine oder andere von Willis Geschichten, die ich zusammengetragen habe, bekannt vorkommen sollte, dann zeigt das nur, dass Willi schon häufiger in eine Zeitschleife geraten ist. Aber wenn Sie selbst eine gute Geschichte aus dem Hut zaubern können, dann schauen Sie doch mal vorbei, Sie wissen ja, wo Sie Donnas Kaschemme finden.

      »Auf sehr fremden Pfaden«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2013

      »Nanowelten« bilden eine hübsche Spielwiese für SF-Autoren.⏵

      Gullivers Planet

      »Der geheimnisvolle Planet der Nanobots, dass ich nicht lache!« Quoxx’ dröhnende Stimme füllte die Kneipe.

      »In meinem Volk ist überliefert, dass eine Erkundungssonde voll Smart Dust vom Weg abgekommen und auf irgendeinem Planeten am Rand des Sonnensystems zerschellt ist!«, widersprach der Chamäloide.

      Donna entlohnt ihn für seine Kammerjägerdienste stets großzügig mit Bier. Da er jedoch nicht viel verträgt, schläft er die meiste Zeit. Zwischen seinen Nickerchen streitet er mit dem Kuiper-Belter.

      »Und da sich diese Mini-Drohnen selbst reproduzieren können …«

      »… haben sie inzwischen den ganzen Planeten mit Mega-Citys überzogen.« Quoxx schnaubte verächtlich. »Ammenmärchen!«

      »Quoxx hat recht!« Willi stellte sein leeres Glas ab.

      Wir alle glotzten ihn an. Dass Willi, der Wurmlochscout, dem Kuiper-Belter zustimmt, kommt selten vor. Der war selbst so überrascht, dass er Willi ein frisches Bier zuschob.

      »Städte kann man’s wirklich nicht nennen …«

      Wir rückten erwartungsvoll zusammen.

      »Ein Sonnensturm hatte mich zur Notlandung auf einem dieser Zwergplaneten in der Oortschen Wolke gezwungen«, begann Willi. »Rundum ragten seltsame mannshohe Ameisenhügel auf. Das machte mich neugierig. Kaum hatte ich einen besonders großen Hügel erreicht, als eine schwarze Wolke aufstieg und mich umkreiste. Aber das waren keine Ameisen – das waren verwilderte Nanobots, vollgepackt mit winzigen Sensoren und Fotozellen. Ich war auf Gulliver gelandet! Das waren schlechte Nachrichten, denn ich konnte mir denken, wie ausgehungert die Biester waren.«

      Willi