Beate tanzte mit einem Bauernburschen von riesenhaftem Wuchs davon. Der heisse Saal mit seinen trüben Lichtern glich einer kleinen Hölle. Bald schien es Arnold, als drehten sich die Wände statt der Menschen. Er stand am Schanktisch, konnte weder vor- noch rückwärts, blickte zwischen Köpfen hinweg, über zuckende Schultern in den Dampf. Die Wirtin stellte Bier vor ihn hin; er hatte Durst, zahlte und trank. Er sah Beate vorbeifliegen, und ihre Röcke wehten. Der Bauer schien sie zu tragen, und seine grossen Stiefel polterten vernehmbar vor allen. Dann standen auf einmal wieder sie und der Lehrer dicht vor ihm. Beide sahen ihn nicht. Specht hatte das Mädchen am Oberarm gefasst und knirschte etwas durch die Zähne. Seine Unterlippe bewegte sich leidenschaftlich. Beate antwortete ihm mit einem langen Blick, der zugleich nachlässig, verliebt, unentschieden und von äusserster Wildheit war. Ihre Haare klebten an der Stirn, ihre Halsader pochte, ihre Ohren waren purpurrot, das Gesicht blass. Zwei betrunkene Bauern, die tschechisch lallten, verbeckten gleich darauf die beiden für Arnolds Blicke. Er drängte sich zur Türe durch. Er war schon im Freien, als er eine Stimme hinter sich vernahm. Es war Specht, der seinen Arm abermals in den Arnolds schob und höflich bat, mitgehen zu dürfen. Arnold wusste nichts zu entgegnen. Die Welt ist für jedermanns Füsse, dachte er. Er hörte den Lehrer keuchen von der Anstrengung des Nachlaufens.
„Bleiben wir doch noch zusammen“, bat Specht wiederum. „Ich möchte nicht gern allein sein. Es ist erst sieben Uhr, und wir könnten ganz gut noch einen Spaziergang machen.“
Arnold nickte, halb neugierig, halb gleichgültig. Bald hatten sie den Lärm hinter sich. Trotz der Dunkelheit war der Weg deutlich, denn der Viertelsmond stand im Westen. Der Frieden der Felder schien vertausendfacht durch das nun verklungene Marktgetöse.
Siebentes Kapitel
Elende Bauern“, sagte Specht, nachdem sie eine Weile lang schweigend gegangen waren. „An einem einzigen Sonntag werfen sie fort, was sie einen ganzen Sommer lang zusammengescharrt haben.“ Er redete in Wut und Hass und warf irgendeine Anklage, die mit seinen Gefühlen gar nichts zu schaffen hatte, irgendwohin.
Arnold schwieg.
„Und was ist das überhaupt für ein Leben!“ fuhr Specht mit einer verzweifelten Bewegung seines ganzen Körpers fort. „Wer bin ich hier? Was soll ich hier? Lauter Bauern, lauter Dummköpfe! Kein Mensch, mit dem man ein richtiges Gespräch führen kann. Pfui Teufel.“
Er ärgert sich, weil sein Mädchen mit einem andern getanzt hat, dachte Arnold, was macht er solches Wesen davon.
„Ich wundere mich nur, dass Sie’s hier aushalten,“ sagte Specht, „Sie sind doch auch schliesslich nicht auf den Kopf gefallen. Das ist doch keine Existenz für Sie. Sie müssen hinaus in die Welt. Man braucht Männer heutzutage.“
„Mir ist ganz wohl hier“, gab Arnold ruhig zur Antwort.
Das Dorf war längst verschwunden, sie schritten schweigend am Waldrand entlang. Die Wiesen glänzten silbern, Mondnebel erfüllten die Luft. Dicht vor ihnen tauchten die Mauern des Felizianerinnenklosters auf; über dem hohen Tor glänzte ein Kreuz.
„Wir sind sehr weit“, sagte Specht bedenklich. Mit verborgener Bewunderung heftete er den Blick auf Arnold, der ihm gegenüberstand, die Füsse in schreitender Stellung, das Gesicht mit einem Ausdruck des Lauschens emporgewandt, das braune Haar aus der Stirn gestrichen. Die etwas lange, gerade, aber breitrückige Nase verlieh dem Gesicht einen durchaus reifen Charakter.
Der Lehrer riss einen Zweig ab und zerbog ihn. Seine Haltung war sinnend und schwermütig. Ihm war, als sei sein Gemüt gereinigt worden, und er hörte mit ganz anderm Ohr das Rauschen, das der Wind in den Baumkronen verursachte. Seine Qualen rückten auf ein anderes Ufer, vor ihm floss ein Strom der Einsamkeit.
Sie gingen ein Stück weiter bis zum Fusse der Klostermauer. Dort setzte sich Specht auf eine Steinbank und erzählte von seiner Tätigkeit als Lehrer, von seinen Wünschen und Träumen, von seinem sozialen Ideal, das ihn anderswo hinweise als in mährische Einöden. Er erzählte von seiner Bibliothek, von seinen mit Studien verbrachten Nächten, und deutete dumpf und schamvoll sein kümmerliches Auskommen an. Sein Ton war einfach, wenn auch durch die Nacht etwas gedrückt. Ihm war, als müsse er diesem Menschen beichten, und er vergass die jüngeren Jahre Arnolds. Leicht erzeugt ohnedies eine solche Stunde festere Brücken zwischen Männern, als etwa ein Beisammensitzen im Sonnenschein. Freilich nicht bei Arnold, den keine innere Enge trieb, sich mitzuteilen. Aber da es für ihn nichts Längstbekanntes gab, kein alltägliches Schicksal, lauschte er dem Lehrer mit Interesse.
Endlich erhob sich Specht und meinte, es sei doch Zeit, nach Hause zu gehen. Während des Heimwanderns brachte er noch vielerlei vor, denn er hatte einen regen Geist, und mit Unrast suchte er Beziehungen und wünschte Sympathien.
Achtes Kapitel
Am andern Morgen, als Arnold und Frau Ansorge beim Frühstück waren, kam Ursula und erzählte, die Felizianerinnen hätten die Tochter des Juden Elasser zu sich ins Kloster gebracht.
„Vierzehn Stunden haben die Leute nicht gewusst, wo ihr Kind ist“, sagte sie. „Erst heut nacht haben sie es durch Zufall erfahren.“
„Und was ist dann geschehen?“ fragte Arnold.
„Der Jud ist mit dem Gendarmeriewachtmeister Wittek ins Kloster gegangen. Man hat sie aber nicht hineingelassen.“
„Eine wunderbare Geschichte“, bemerkte Frau Ansorge spöttisch.
Arnold erinnerte sich seiner gestrigen Begegnung mit dem Hausierer und an dessen beklommenes Wesen. „Man kann doch nicht ohne weiteres ein Mädchen rauben“, sagte er verwundert.
„Wahrscheinlich