3
»Du, Kornelia, Bertram ist am Apparat. Ob wir heute abend hinüberkommen wollen«, sagte Frau Kayser und hielt die Hand auf die Telefonmuschel, »bist du fertig mit den Schularbeiten, oder ist es noch viel? Nein, erst wird alles fertiggemacht. Nicht mehr lange? Gut, wir kommen«, sagte sie in den Apparat. »Nein, die andern nicht. Sie müssen einmal zeitig ins Bett, jeden Abend wird es spät ...«
»Sie kommen, jedenfalls Charlotte und Kornelia«, sagte Bertram Werth und setzte sich wieder an den Abendbrottisch, wo Pölze den kleinen Berti fütterte. »Ja, Jupp auch, Guido nicht, er ist nicht da.« Das waren seine Brüder. Pölze fiel an seinem Tonfall nichts auf, sie hatte gerade ihren Sohn davor gerettet, sich zu verbrühen. Er hatte ihre Teetasse erwischt. Bei Berti mußte man dauernd auf der Hut sein, er befand sich im mühsamsten Kleinkindalter. Umgegossen hatte er die Tasse, Gott sei Dank nicht auf sich.
»Er ist schneller als der Schall«, lachte Bertram immer.
»Pfui, du kleines Ferkel«, schalt Pölze, »was trinkt deine arme Mutter jetzt? Man hat doch nichts als Ärger mit seinen Männern.«
»Findest du?« fragte Bertram und blickte sie von der Seite an, »aber du machst uns wohl nie welchen?«
»Nie. Womit sollte ich auch«, entgegnete Pölze mit treuem blauen Biedermannsblick, »ich tue und lasse doch alles genau, wie du es mir vorschreibst. Kennst du eine gehorsamere Ehefrau als mich?«
»Ich habe nur eine, mir fehlt der Vergleich ... Übrigens: in allem?«
»In allem«, antwortete sie sanft.
Gerade kam der frische Tee. Pölze ließ ihn genießerisch in die weit weggerückte Tasse laufen, während sie mit der linken Hand Berti fernhielt. Da sie aber nur auf die Tasse achtete, hatte er in Sekundenschnelle die Zuckerdose erwischt und ausgeleert.
»Dieser Bengel ist mir über. Hier, nimm deinen Sohn! Jetzt reicht es mir!« brummte sie aufgebracht. »Eine einzige Tasse möchte man ja in Ruhe und Frieden trinken können. Ich freue mich jedenfalls auf unsere Tochter, die wird nicht so rabiat sein.«
»Wo Berti nur sein Temperament her haben mag?« fragte Bertram versonnen.
»Willst du etwa andeuten, er habe es von mir?« forschte Pölze streitbar. »Aber nun ab ins Bett, Bertram zwo, sonst gibt es noch einen Ehekrach.«
4
Bertram hatte vorgeschlagen, an diesem Abend Dias anzusehen. Er knipste leidenschaftlich gern und auch sehr geschickt. Nachdem die Gäste gekommen waren, setzte man sich ins Nebenzimmer, wo schon alles vorbereitet war, und bald flimmerte es bunt über die Leinwand: Bilder von Berti, von den Pferden, Jagdbilder, auch reine Landschaftsaufnahmen. Herbstbeleuchtung macht sich immer gut, und Bertram hatte ein ausgesprochenes Geschick, schöne Ausschnitte, gute Beleuchtung und reizende Staffagen zu finden. Die Gäste genossen die Bilder und geizten nicht mit Lob.
»Und nun kommen noch ein paar, die ich mit dem Teleobjektiv, also aus ziemlicher Entfernung, aufgenommen habe, vielleicht sind einige nicht ganz scharf«, kündigte Bertram an. »Ich habe sie von — na, ihr werdet ja sehen, aus welcher Perspektive. Die Motive sind sehr lohnend, finde ich.«
Es wurde still im Zimmer, so still, daß man die Uhren an den Handgelenken ticken hörte.
»Wann — wann hast du denn das geknipst?« fragte Frau Kayser nach einer Weile ihren Bruder. Alle andern hatten geschwiegen.
»Vorige Woche«, antwortete Bertram harmlos. »Es ergab sich so. Ich war beim Mais gewesen und kam dann quer über die Wiesen, und da gefielen mir die Ausschnitte.«
Es waren Pölze, Kornelia und Renate Grünwald mit den beiden kleinen Wagen. Erst sah man, wie sie sich trafen, dann, wie sie umspannten, und dann den kleinen Viererzug. Pölze wagte bei jedem neuen Bild kaum hinzugucken, aber es blieb ihr nichts erspart, auch nicht das Kippen des Wägelchens und alles, was danach folgte. Betram mußte einen kompletten Film verschossen haben, um die historischen Ereignisse dieses Tages lückenlos festzuhalten.
Die junge Frau Werth hatte das Gefühl, auf einem glühenden Rost zu sitzen, und Kornelia ging es ähnlich.
»So sehr brauchtet ihr wirklich nicht zu heizen«, ächzte sie halblaut. Es war das erste Wort, das fiel — nach dem ›Genießen‹ der Bilder. »Ich finde es ausgesprochen warm hier, könnten wir nicht ...« Sie blickte zum Fenster hin, fluchtbereit.
»Aber nein, bleib’ nur bei uns«, sagte Bertram zärtlich, »und Sie, Angeklagte, erleichtern Sie Ihr Gewissen durch ein umfassendes Geständnis. War es ein hübscher Nachmittag?«
»Ich war schuld, ich allein! Ich hatte Renate gebeten, einmal mit ihrem Ponywagen zu kommen, und da trafen wir uns — und da ...« stammelte Kornelia. Himmel, machte Onkel Bertram ein vertracktes Gesicht! »Es war das erste Mal.«
»Und hoffentlich das letzte«, ergänzte Bertram, »jedenfalls, bis unsere Tochter einpassiert ist. Versprecht ihr?«
»Alles!« beeilte sich jetzt Pölze. »Alles! Daß wir dich aber nicht gesehen haben! Wo hast du bloß gesteckt?«
»Das werde ich gerade verraten! Ich bin überall und nirgends, merk’ es dir.« Damit war für ihn die Sache abgetan. Pölze atmete auf. Und auch Kornelia, der gar nicht wohl in ihrer Haut gewesen war, schöpfte wieder Luft. Sie wußte: Bertram trug nicht nach. Wenn er seine Meinung gesagt hatte, war es gut, und er kam nicht wieder darauf zurück. Immerhin war sie etwas skeptisch, als ihre Mutter ihr ein paar Tage später ausrichtete, Werths hätten angerufen, sie sollte heute nachmittag hinüberkommen.
»Wieder Dias ansehen?« fragte sie und machte ein Gesicht, als wollte sie dann lieber nach Australien auswandern.
»Nein, sondern etwas anderes«, sagte Frau Kayser und lachte.
»Du weißt es schon? Bitte, bitte ...«
»Ich verrate nichts! Nun mach’ schon, daß du hinüberkommst!«
Da folgte Kornelia, und wahrhaftig, auf sie wartete eine Überraschung. Vor dem Herrenhaus in Niederwerth stand ein nagelneuer, halbgroßer Zweispänner mit Ledersitzen und heruntergeschlagenem Verdeck. Dieses Verdeck war denen der altmodischen Kutschen nachgemacht, sonst aber wirkte der Wagen modern und sehr flott.
»Bertram hat ihn gekauft, weil wir doch bisher für die Isländer keinen Wagen hatten«, erzählte Pölze, »gefahren sind wir bislang immer nur mit den Shettys, warum eigentlich? Sieh hier, für Berti!«
Sie war aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtsabend, das seine Geschenke vorführt. Am Rücksitz gab es eine Leiste, in die man Bertis kleinen Autositz einhängen konnte, damit er sicher saß. Hinten war ein ordentlicher Gepäckträger angebracht, auch eine Bremse besaß der Wagen. Dies alles gab es beim Shetlandzweispänner nicht.
»Und wann spannen wir ein und probieren ihn aus?« fragte Kornelia hingerissen.
»Jetzt gleich!« sagte Bertram, soeben hinzutretend, »und wißt ihr, wohin wir fahren? Zu Habermanns. Die haben gestern einen neuen Transport Isländer und andere Kleinpferde bekommen, die wollte ich mir gern ansehen. Was meinen die Damen zu dem Plan? Sind sie dafür zu begeistern?«
»Wir meinen, daß du der liebste, beste Ponyonkel von der Welt bist!« rief Kornelia und fiel ihm ganz schnell um den Hals.
»Herrlich, herrlich!«
»Und wen spannen wir ein?« fragte Pölze.
»Rodi und Grani!« rief Kornelia stürmisch. Rodi war der kräftigste Islandwallach auf Niederwerth, erst vierjährig, Grani war zwar älter, aber auch schnell. Bertram hob abwehrend die Hände.
»Zum Ausprobieren nicht, würde ich sagen. Hjela und Jörp tun es auch. Ich habe sie schon hier, damit wir sie nicht erst von der Weide holen müssen.«
Er wies nach dem Stall. Kornelia ging hinüber. Sie durfte sich ihre Enttäuschung nicht