»Wann haben sich die beiden getrennt?«
»Im letzten Winter kurz vor Weihnachten.«
»Und danach hat dieses Fräulein also … Wie heißt sie? Marinette?«
»Marinette Augier.«
»Danach hat dieses Fräulein also fast ein Jahr keinen Besuch mehr gehabt?«
»Nur von ihrem Bruder, hin und wieder. Er wohnt mit seiner Frau in einem Vorort und hat drei Kinder.«
»Und vor etwa zwei Wochen ist sie dann abends in Begleitung von Inspektor Lognon nach Hause gekommen?«
»Wie gesagt …«
»Und seither ist er jeden Tag hergekommen?«
»Außer sonntags, zumindest habe ich ihn da weder rein- noch rausgehen sehen.«
»Tagsüber kam er nie?«
»Nein. Aber da fällt mir etwas ein. Eines Abends, als er wie gewöhnlich gegen neun Uhr kam, bin ich ihm hinterher, ehe er die Treppe hinaufging, und habe gesagt:
›Marinette ist nicht zu Hause.‹
›Ich weiß‹, hat er geantwortet. ›Sie ist bei ihrem Bruder.‹
Er ist dennoch hoch, ohne zu erklären, warum. Daraus habe ich geschlossen, dass sie ihm den Schlüssel gegeben hatte.«
Jetzt verstand Maigret, warum Inspektor Chinquier nach oben gegangen war.
»Ist Ihre Mieterin zu Hause?«
»Nein.«
»Ist sie bei der Arbeit?«
»Das weiß ich nicht, aber als ich ihr schonend beibringen wollte, was passiert ist …«
»Wann?«
»Nachdem ich die Polizei gerufen hatte.«
»Also noch vor drei Uhr morgens?«
»Ja. Ich habe mir gesagt, sie hat bestimmt die Schüsse gehört. Alle Mieter haben sie gehört. Manche lehnten sich zum Fenster hinaus, andere kamen im Morgenrock runter, um zu schauen, was da los war. Es war kein schöner Anblick, da unten auf dem Gehsteig … Ich bin also hoch und habe an ihre Tür geklopft … Niemand hat geantwortet … Da bin ich rein, aber die Wohnung war leer.«
Sie blickte den Kommissar mit einer gewissen Befriedigung an, als wollte sie sagen:
»Mag sein, dass Sie in Ihrer Laufbahn schon einiges erlebt haben, aber auf so etwas waren Sie nicht gefasst, geben Sie’s zu!«
Und das stimmte. Maigret und Lapointe konnten nur verwunderte Blicke wechseln.
Maigret dachte daran, dass seine Frau jetzt bei Madame Lognon war, die mit Vornamen Solange hieß, darum bemüht, sie zu trösten, und sicherlich dabei, die Wohnung aufzuräumen!
»Glauben Sie, dass sie das Haus gemeinsam mit ihm verlassen hat?«
»Nein, ganz sicher nicht. Ich habe gute Ohren. Da war nur eine Person, ein Mann …«
»Hat er Ihnen seinen Namen zugerufen?«
»Nein. Er sagte immer:
›Vierter Stock!‹
Ich kannte seine Stimme. Er war übrigens der Einzige, der das sagte.«
»Hätte sie vor ihm fortgehen können?«
»Nein. Ich habe letzte Nacht nur einmal die Tür geöffnet, um halb zwölf, für die Leute vom dritten Stock, die aus dem Kino zurückkamen.«
»Ist sie vielleicht weggegangen, nachdem sie die Schüsse gehört hatte?«
»Das ist die einzige Erklärung. Als ich den Verwundeten auf dem Gehsteig sah, bin ich gleich in die Loge gestürzt, um die Polizei zu rufen … Ich habe überlegt, ob ich die Haustür schließen sollte, habe es aber nicht gewagt … Ich hatte das Gefühl, damit den armen Mann im Stich zu lassen …«
»Haben Sie sich über ihn gebeugt, um zu sehen, ob er tot war?«
»Es ist mir sehr schwergefallen, denn mir graut vor Blut. Aber ich habe es getan.«
»War er bei Bewusstsein?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat er etwas gesagt?«
»Seine Lippen haben sich bewegt. Ich spürte deutlich, dass er etwas sagen wollte. Ich glaubte, ein Wort zu verstehen, aber ich habe mich bestimmt getäuscht, denn es ergibt keinen Sinn … Vielleicht war er im Delirium …«
»Was für ein Wort?«
»Gespenst.«
Sie errötete, als fürchtete sie, der Kommissar und der Inspektor könnten sich über sie mokieren oder denken, sie habe all das nur erfunden.
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