»Dir nicht«, erwiderte Oona. »Und auch sonst niemandem, den ich kenne.«
»Dennoch bist du großartig in deinem Job, und da machst du so gut wie nichts kaputt«, beharrte Fany. »Ich kann nur sagen, als Ambientistin besitzt du genau das Gespür, welche geheimen Wünsche deine Kunden bei der Gestaltung ihres Wohnbereiches hegen. Es hat nie jemanden gegeben, der unzufrieden gewesen wäre. Du bist die Beste, das weißt du.«
*
Oonas besonderen Talents als Ambientistin wegen waren die Schwestern nach Terrania gezogen. Dort gab es eine nahezu unerschöpfliche potenzielle Kundschaft und alle Möglichkeiten, Oonas Talent einzusetzen.
Fany war eine hochtalentierte Musikerin und hatte mit gerade mal 25 Jahren tatsächlich ein Angebot von Milton Chu bekommen, dem Mäzen und Besitzer der größten Oper des Solsystems – auf einem Raumschiff, der GIACOMO PUCCINI.
Das war der höchste Gipfel, der Olymp, der Traum jedes musikalischen Künstlers. Fany hatte es kaum glauben wollen, Oona erinnerte sich noch gut daran, wie sie aufgeregt herumgerannt war, übersprudelnd vor Glück und Angst.
Weil die damals erst fünfzehnjährige Oona nach vielen kleineren Panikattacken die erste große Krise nach einer besonders intensiven Pechsträhne gehabt hatte, hatte Fany das Angebot vor allem für sie angenommen, damit sie zur Ruhe kommen konnte.
Und Oona hatte es gutgetan, ihr Talent als Ambientistin zu entdecken und auszuüben und beim Bühnenbild und der Ausstattung des Theaters mitzuwirken. Wenngleich sie dort von den vielen Emotionen belastet war. Die meisten Strömungen waren allerdings absichtlich dramatisiert, wie Künstler es eben so hielten – in Wirklichkeit waren die meisten Akteure recht bodenständig und abseits der Proben und des Scheinwerferlichts recht ausgeglichen. Zumindest bewegten sich auf dem Raumer sehr viel weniger Leute, und vor den Aufführungen zog Oona sich rechtzeitig zurück.
Milton Chu förderte daher nicht nur Fany, sondern kümmerte sich vor allem um Oona. Mit der Zeit entwickelte sich ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen ihnen. Gerade Oona sah in dem Mäzen, der so klein war und doch so groß, einen Vaterersatz. Als ihre Eltern umgekommen waren, war sie erst ein Jahr alt gewesen.
Mit der Zeit stellte Fany fest, dass sie die Musik zwar liebte, aber sich innerhalb eines Ensembles auf Dauer nicht wohlfühlte. Sie empfand zunehmend Enge und Behinderung ihrer freien Entfaltung und verlangte nach Unabhängigkeit. Sie hatte zudem festgestellt, dass sie sich inzwischen mehr für die Historie Terras interessierte und nicht auf Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus Musikinstrumente spielen wollte, deren Bedienung sie nicht mehr weiter verfeinern konnte.
Auch Oona konnte sich nicht mehr weiterentwickeln und machte daher den Vorschlag, es mit einem neuen Leben in Terrania zu versuchen – wenn schon, denn schon. Von einem Gipfel zum nächsten, quasi. Sie schrieben sich an der Universität für Geschichte/Kunstgeschichte und Design/Ambiente ein und krempelten ihr Leben vollständig um.
Milton Chu ließ die beiden ziehen, sie blieben einander aber weiterhin verbunden, auch wenn der Mäzen immer viel zu tun hatte und ständig unterwegs war. Aber ab und zu besuchte er die Schwestern in Terrania, oder sie kamen zu ihm nach Frankfurt, das sie so erfrischend winzig und beschaulich fanden gegenüber der terranischen Hauptstadt. Sie liebten die Ausflüge in die Altstadt mit passenden Kostümen.
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Oona merkte, wo Fany hinging. Einerseits wollte sie nicht an jenen Ort, andererseits gab es dort sicherlich weniger Verkehr, und sie konnte sich beruhigen. Möglicherweise ließ auch der Kopfschmerz nach, der momentan ihre Schläfen mit weiß glühenden Hämmern bearbeitete.
Nur ein paar Blocks weiter gab es einen besonderen Platz, der vielen zu bedrückend war, als dass sie sich gerne oder gar länger dort aufhielten. Auch Touristen verharrten nur kurz am Rand oder fuhren gleich auf dem Transportband weiter, während sie Aufnahmen machten. Der Platz war ein Muss bei den Besichtigungen; darauf wiesen alle Führer und Touristikbüros hin.
»Was willst du denn nur immer hier?«, fragte Oona, als der Schwall an Emotionen endlich abebbte. Der Platz war nahezu völlig verlassen. »Du musst ihn doch schon auswendig kennen.«
»Damit niemals vergessen wird«, sagte Fany leise.
*
Der riesige, fünf Kilometer durchmessende Dolan Memorial Park im Stadtteil Garnaru war von beeindruckender, einschüchternder Nüchternheit. Der Rand des Parks war üppig begrünt, doch im Zentrum war eine große Fläche frei gehalten, um nicht von dem gewaltigen Gebilde darin abzulenken.
Die Gedenkstätte. Ein wuchtiger schwarzer, zu einem Viertelkreis geschwungener Kunstbasaltmonolith mit 50 Metern Höhe und 700 Metern Länge. In goldenen Interkosmo-Lettern waren dort die über zwei Milliarden Opfer verzeichnet, die der Dolan-Krieg im Jahr 2437 alter Zeitrechnung allein auf der Erde gefordert hatte.
»Zwei Milliarden Menschen!«, dozierte Fany. »Rund dreißig Prozent der damaligen Bevölkerung, das ist unvorstellbar. Der Rest überlebte nur deswegen, weil man rechtzeitig Tiefbunkersysteme angelegt hatte. Oberirdisch kam es neben den zerstörten Städten zu erheblichen landschaftlichen Verwüstungen: Im Norden Kanadas schmolzen Gletschergipfel, die russische Taiga brannte, Meere kochten, in der Sahara wurde ein fast bis zum Ozean reichender Graben aufgerissen. Ohne jeden Zweifel wäre Terra mitsamt allen Leben vernichtet worden, wenn nicht rechtzeitig fünfzehntausend Raumschiffe der Haluter zu Hilfe gekommen wären. Die meisten Dolans wurden dabei ausgelöscht. Ein schwacher Trost. Als Held der Stunde galt natürlich Perry Rhodan, aber mit welch bitterem Beigeschmack!«
»Ja ...«, setzte Oona an, doch sie kam nicht weiter. Wenn ihre Schwester sich einmal in Rage geredet hatte, war sie nicht mehr zu bremsen.
»Wenn man jeden Namen laut läse und dafür eine Sekunde brauchte, wäre man ohne Pause und innezuhalten dreiundsechzig Jahre beschäftigt. Kannst du dir das vorstellen?« Fany wies auf das Denkmal. »Zwei Milliarden, das ist eine Zahl mit vielen Nullen, die kann man nicht erfassen. Aber dreiundsechzig Jahre ... das ist eine Größe, die man am Lebensalter eines Menschen ermessen kann.«
Sie ging weiter auf das Denkmal zu, das noch einen guten Kilometer entfernt war, aber selbst aus dieser Distanz bedrückend wirkte.
Von einem anderen Weg aus dem Park kam eine Reisegruppe.
Fany beachtete sie nicht, sondern stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihre Schwester. Sie trug wie Oona nur ein leichtes, pastellfarbenes Kleid, das ihre schlanke Figur betonte. Eine leichte Brise bauschte den Rock. Darüber trug Fany eine schwarze Lederjacke zum Schutz vor den kühlen Frühjahrstemperaturen. Oona hatte sich für eine leichte Thermojacke entschieden, die das Blau ihrer Augen betonte.
»Wir sind hier, weil derselbe Perry Rhodan von damals nun wieder hier ist und uns zurückbringen will in ein Universum, das dies hier«, sie wies hinter sich, »verursacht hat. Wie oft geriet Terra an den Rand des Abgrunds, wie oft war es verschwunden, entvölkert, gemartert? Das müssen wir berücksichtigen bei der Entscheidungsfindung, was wir unternehmen werden, wenn Perry Rhodan seine Ankündigung wahr macht und uns der neuen, inzwischen friedlichen Heimat entreißt!«
»Du hörst dich an wie die Vanothen«, meinte Oona.
»Ich habe im Studium, wie du weißt, auch die Gedanken und Ansichten des Lasha Jathao Vanoth durchgenommen«, antwortete Fany. »Und ich teile die Ziele der Vanothen zwar in gewisser Weise, aber nicht ihr fanatisches Verhalten. Der Abschluss des CEE als Feiertag des Arrival ist in Ordnung. Doch ...«
»... es geht dir um die zwölf Anckerstroms, die es damals schon gegeben hat und die auf dem Denkmal verzeichnet sind«, setzte Oona fort. »Du glaubst, es sind unsere Vorfahren, unsere Familie, und fühlst dich ihnen verbunden.«
Fany ließ die Arme sinken. »Und es ist eine Oona dabei. Als wärst du schon einmal gestorben.«
»Du weißt, dass das Unsinn ist.«
»Nein. Es ist irrational. Aber ich ... kann nichts dagegen tun. Und ich habe einfach Angst