»Können wir bezahlen, bitte?« Eine ältere Frau an einem Vierertisch winkte.
»Ich komme!« Ich ging zur Theke und holte das Portemonnaie.
»Warten Sie.«
Ich schrak zusammen, weil die Stimme unmittelbar hinter mir ertönte. Die Frau war mir gefolgt, ohne dass ich es gemerkt hatte. Jetzt hob sie abwehrend die Hände und blickte mich mit zerknirschter Miene an.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Entschuldigung!«
Ich lächelte tapfer. »Nicht Ihre Schuld, ich war in Gedanken.«
»Wir nehmen noch vier Stücke mit.« Die Frau wies auf die Vitrinen.
Ich nickte, packte den gewünschten Kuchen ein, kassierte und war danach allein im Café. Im Hintergrund lief sanfte Lounge-Musik, die Martina ausgesucht hatte. Ich atmete tief durch und blickte mich um. Sah ich alles zu negativ? Konnten wir ohne Übernachtungen auskommen?
Das Café war ein Juwel. Es befand sich im Mahlraum und dem früheren Wohnhaus. Ursprünglich hatte eine Wand die beiden Räume getrennt, die wir nach langen Diskussionen mit den Denkmalbehörden hatten einreißen dürfen, sodass wir eine L-förmige Fläche zur Verfügung hatten. Das Mahlwerk, im kurzen Ende des L gelegen, hatten wir in seinem ursprünglichen Zustand erhalten, nicht mehr funktionstüchtig, aber wunderschön anzusehen. Der sogenannte Kollergang dominierte die Holzkonstruktion: zwei senkrecht stehende Mühlsteine, die sich von einem Zahnrad angetrieben über eine Platte drehten, auf der in alten Zeiten Lein- und Rapssamen zu Öl gepresst wurden. Das Zahnrad war über zwei weitere Zahnräder mit dem Mühlrad verbunden gewesen, doch die waren nicht mehr erhalten. Über dem Eingang zum Café war die Jahreszahl 1391 in den steinernen Türsturz gemeißelt. Laut Urkunden war die Mühle bis in die späten 1930er-Jahre in Betrieb gewesen, danach hatte ihr Verfall begonnen.
Wir hatten den Kollergang gesäubert und mehrere kleine Regale eingezogen. Rechts und links waren gläserne Kühltheken aufgebaut, in denen wir den Kuchen, Süßspeisen und Getränke präsentierten. Entlang der Wände befanden sich Anrichten mit Herd und Arbeitsplatte, der Siebträgermaschine und meinen beiden Profi-Backöfen. Dazwischen hatten wir alle alten landwirtschaftlichen Geräte ausgestellt, die wir während der Renovierung finden konnten: einige Sensen, eine kaputte Leiter, Holzharken und dergleichen. In großen Weidekörben wurden Eier von Martinas Hühnern und Gemüse aus ihrem Garten angeboten – solange der Vorrat reichte. Die Leute kauften mehr, als sie nachliefern konnte. Auch meine Kuchen gingen an manchen Tagen schneller weg, als ich sie backen konnte. Mein Vater war Konditormeister, und auch wenn ich keine professionelle Ausbildung habe, verstehe ich das Handwerk – solange es keine dreistöckigen Sahnetorten mit Zuckerguss sein müssen.
Die Verkaufstheke stand genau dort, wo früher die Wand zwischen Wohnung und Mahlraum verlaufen war, und trennte die offene Küche vorschriftsmäßig vom Gastraum ab. Daneben befand sich der ehemalige Lagerraum mit Empfang und Büro. Diesen hatten wir auch integrieren wollen, doch dann verwies der von der Behörde beauftragte Statiker darauf, dass es sich um eine tragende Wand handele. Und im Gegensatz zu Rebekkas vagem Ausweichmanöver bei dem Mühlrad stimmte sie in diesem Fall ihrem Kollegen nachdrücklich zu. Anfangs war ich ziemlich sauer, weil wir nun diesen toten Raum mit der niedrigen Decke hatten und weniger Platz fürs Café vorhanden war, aber im Nachhinein erwies sich die Entscheidung sogar als besser. So war der Küchenbereich optisch getrennt und dennoch für die Gäste einsehbar. Die große rechteckige Fläche war zum Sitzen und Genießen, dominiert von dem Kamin im hinteren Drittel, der einst die gute Stube der Müllersfamilie geheizt hatte. Früher müsste es weitere Wände gegeben haben, aber wie die Raumaufteilung in alten Zeiten gewesen war, blieb mir schleierhaft.
Wir wohnten in einem schlichten Backsteingebäude aus dem späten 19. Jahrhundert neben dem älteren Mühlengebäude. Dort hatte auch der letzte Müller, ein alleinstehender Mann namens Peter Verhoven, gelebt, bis er von der Bildfläche verschwunden war. Soweit ich das verstanden hatte, hatte er die Mühle nur gepachtet. Was mit ihm geschehen war, hatte mir bisher niemand sagen können. Ich wollte es unbedingt noch herausfinden, leider fehlte mir die Zeit. Mich interessierten solche alten Geschichten, obwohl am Ende selten etwas Mysteriöses dahintersteckte. Sicher ist, dass nach dem Zweiten Weltkrieg keine Eigentümer mehr zu ermitteln waren und die Mühle in den Besitz des Landkreises überging. Bis Gregor und ich sie entdeckten und beschlossen, sie zu neuem Leben zu erwecken. Und nach einem arbeitsreichen Frühjahr und sehr viel Papierkram hatten wir nun unser erstes Etappenziel erreicht.
Das Café war in freundlichem Gelb gestrichen, entlang der Wände zwischen den Fenstern waren rote Mohnblumen aufgemalt. Dazu helle robuste Kiefernmöbel und eine Loungeecke mit Korbsesseln und blauen Kissen seitlich des Kamins. In den vergangenen vier Wochen hatten wir auf dem breiten Seitenstreifen neben der Zufahrt sogar noch die Freiluftsaison eröffnet. Gegenüber der Mühle war ein Wanderparkplatz, die Wege durch den Wald und das ehemalige Moor begannen hinter dem Bach, über den eine schmale Holzbrücke führte. Wir waren die Endstation für Autos, danach gab es nur noch Fahrräder und Fußgänger. Ich bezweifelte ohnehin, dass der Steg einen modernen SUV aushalten würde.
Das Wetter war traumhaft, unsere Kasse füllte sich. Aber wir waren weit davon entfernt, Rücklagen zu bilden. Unser Wohnhaus musste wärmegedämmt werden, über die Kredite für die Renovierungen wollte ich gar nicht nachdenken. Das Café war es, was ich wollte. Ich war nie scharf darauf gewesen, eine Pension zu betreiben. Aber wir hatten hin und her gerechnet, und ohne die Übernachtungsgäste reichte es nicht. Wir wussten noch nicht, wie das Geschäft im Winter laufen würde, wenn die Leute lieber in ihren eigenen vier Wänden blieben. Ein verregneter Sommer konnte uns das Genick brechen. Wir mussten in den warmen Monaten verdienen, was wir im Winter brauchten, so einfach war das. Die regelmäßige Belegung der Zimmer in der Saison war notwendig. Zwingend erforderlich.
Ein junges Paar mit einem beigen und einem schokobraunen Labrador betrat das Café, schaute sich suchend um und wählte einen Tisch an der langen Wand gegenüber dem Kamin. Gute Wahl, fand ich. Ich füllte einen Wassernapf und ging zu ihnen.
Als ich an den Tisch trat, hatten die beiden Hunde sich bereits hingelegt. Die Frau, vielleicht Mitte zwanzig, zog ihren Anorak aus, während sie sich in alle Richtungen umsah. Ich stellte dem braunen Labrador den Wassernapf vor die Nase, wischte mir die Hand an der Jeans trocken und lächelte unwillkürlich. Ich kannte diesen Blick.
»Ich wusste gar nicht, dass hier in der alten Mühle ein Café ist. Was für ein Traum, wunderschön!«
Ich hätte den nun folgenden Dialog fast wörtlich vorhersagen können, so häufig hatte ich solche und ähnliche Gespräche in den letzten Wochen geführt.
»Das muss eine Wahnsinnsarbeit gewesen sein!«
Aber das Lob tat dennoch verdammt gut. »Das war es, aber wir hatten auch eine Menge Glück.« Hatten wir. Bis jetzt.
Die Frau entdeckte den Kollergang, zeigte darauf und sprang sogar von ihrem Stuhl auf. Ihr Begleiter fing im letzten Moment die Speisekarte auf, bevor sie zu Boden segelte. »Ist das echt? Darf ich mir das angucken?«
»Sie dürfen bis an die Theke, dahinter ist Küchenbereich. Aber ja, das ist echt. Vermutlich aus dem 17. Jahrhundert. Funktioniert leider nicht mehr.«
Ich folgte ihr zur Theke. Die meisten Gäste wollten mehr wissen, als ich erzählen konnte. Ich war selbst noch lange nicht fertig mit der Erforschung der Geschichte dieses Ortes, das betraf nicht nur das Verschwinden des letzten Müllers.
Die Frau machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung in der Luft. »Diese Mühlsteine fahren also im Kreis, richtig?«
»Richtig.«
»Und wo kommt das Mehl raus?«
»Kein Mehl, Öl aus Samen. Streng genommen wird es gepresst. Sehen Sie da vorne den Auslauf? Dort wurden Behälter