Für die Umsetzung von agilen Methoden oder die Verwirklichung einer agilen Organisation braucht es die entsprechende Einstellung aller Beteiligten: ein agiles Mindset! Und zwar bei allen – sowohl bei den Führungskräften, von denen Loslassen und mentale Großzügigkeit gefordert wird, als auch bei Mitarbeitern, die eine proaktive und eigenverantwortliche Einstellung leben müssen, damit Agilität funktioniert. Ohne wirkliche Selbstbestimmung und innere Freiheit bleibt Agilität ein hohler Zahn und wird dann schlimmstenfalls von allen an Veränderungsprozessen Beteiligten belächelt oder konterkariert.
Das vorliegende Buch beruht auf 15 Jahren Erfahrung im Executive Mentoring und in der Organisationsentwicklung. Es zeigt auf, warum Agilität heute unverzichtbar ist, was eine agile Geisteshaltung auszeichnet, wie sie sich im praktischen Verhalten äußern muss, was das für Führung bedeutet und wie die Organisation der Zukunft aussehen kann.
Möge die Verwirklichung agiler Denkweisen auch unsere Gesellschaft bei den Lösungen für die vielfältigen aktuellen Herausforderungen voranbringen.
Jörg Hawlitzeck
1.Eine neue Revolution
Wir leben in einer unglaublich schnelllebigen Zeit. Der Siegeszug der liberalen Demokratie, die exponentielle technologische Entwicklung, Globalisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz haben dazu geführt, dass heute der Wandel die einzig verlässliche Konstante ist.
Wie sollen Unternehmen und deren Entscheidungsträger dieser Entwicklung begegnen? Wie die Innovationskraft auch morgen noch sichern? Wie können wir als Menschen unserer Verantwortung in einer liberalen, globalisierten und digital vernetzten Welt wirklich gerecht werden?
Auf jeden Einzelnen von uns kommt es an! Genauer gesagt: auf unsere mentale Einstellung, unser Mindset. Eine agile Mentalität verdankt sich der Bereitschaft zu persönlicher Weiterentwicklung. Sie ist Grundlage für neue Organisations- und Arbeitsformen, der Schlüssel für Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit und damit die Antwort auf die Herausforderungen der Welt von morgen.
1.1Globalisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz
Wir erinnern uns: Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 haben Freiheit, Individualismus und Kapitalismus einen weltweiten Siegeszug angetreten. Am Ende der Geschichte war es ironischerweise der Liberalismus, der den Kalten Krieg gewann … Heute sind der schrankenlose Konsum von Gütern sowie Freiheit in vielerlei Hinsicht zur neuen Weltreligion geworden.
Globalisierung und weltweite Konkurrenz
Die Globalisierung hat die Welt in kurzer Zeit zum Dorf gemacht. Dank der Liberalisierung des Welthandels in den 1990er-Jahren konkurriert heute jeder mit jedem. Weltweit. Jederzeit. Der Druck auf Unternehmen, kostengünstig zu produzieren und gleichzeitig der Konkurrenz eine entscheidende Länge voraus zu sein, ist enorm gestiegen. Die Verbraucher hingegen profitieren bereitwillig von günstigen Produkten, deren genaue Herkunft sie nicht wirklich hinterfragen. Unternehmen freuen sich über neue Absatzmärkte. Gestiegen ist auch der globale Wohlstand, vor allem in den sich entwickelnden Ländern. Immer mehr Menschen wollen am freiheitlichen, kapitalistischen Lebensstil teilhaben.
Das Internet hat auch den Zugang zu Wissen demokratisiert. So wird heute in Bangalore ebenso gut programmiert wie in San Francisco. Ein neuer „kalter Krieg“ um die klügsten Köpfe ist entstanden.
Im weltweiten Konkurrenzkampf haben Innovationen und Wettbewerbsvorteile eine immer kürzere Halbwertszeit. Unternehmen und Menschen stehen zusehends unter Druck, Veränderungen so früh wie möglich zu antizipieren und positiv für sich zu nutzen.
Digitalisierung und Disruption
Die exponentielle technologische Entwicklung trägt ihren Teil zu dieser Situation bei. Seit den 1970er-Jahren verdoppelt sich die Kapazität von Speichermedien im Schnitt alle anderthalb Jahre (Mooresches Gesetz). Und so tragen wir alle heute Rechenkapazitäten mit uns herum, für die die NASA Mitte der 1960er-Jahre noch ganze Großrechner benötigte. Was sind die Folgen für die Weltwirtschaft und damit für die Menschheit?
Wir leben in einer Zeit überraschenden Fortschritts, und dieser Fortschritt bringt Transformationen mit sich, deren Auswirkungen gigantisch sind. Wir erleben immer schnellere Innovationen in Informations- und Kommunikationstechnologien und mit ihnen fantastische Geschäftsmöglichkeiten!
Wozu noch Fahrzeuge besitzen, wenn man als Plattform Anbieter und Konsumenten effizienter zusammenbringen kann (Uber oder Flixbus)? Wozu noch eigene mediale Inhalte produzieren, wenn doch die User diese bereitwillig zur Verfügung stellen (Facebook)? Wozu auf klassische Sender zurückgreifen, wenn man doch viel spannendere Inhalte selbst produzieren und an den Konsumenten bringen kann (Netflix)?
Die Spielregeln ganzer Branchen werden binnen kürzester Zeit neu definiert. Disruption heißt das allgegenwärtige Schreckgespenst. Quelle und Neckermann? Aus dem Weg geräumt von Amazon. Die Musikindustrie? Überflüssig gemacht durch Spotify und YouTube. Nokia, Ericsson und Motorola? Die Ikonen des ersten mobilen Zeitalters hinweggefegt von Apple, das mit der Einführung des iPhones gleich die Spielregeln des Telekommunikationsmarktes neu definierte.
Digitale Geschäftsmodelle verändern ganze Märkte und Branchen in einem Tempo, dass einem flau werden könnte. Und das Perfide daran ist, dass die Veränderung meist aus unerwarteten Richtungen kommt. Fast unmöglich, sie vorauszusehen.
Big Data und künstliche Intelligenz
Große Datenmengen lassen sich heute viel einfacher bewältigen und nutzen. Wir erleben schier unglaubliche Durchbrüche wie selbstfahrende Autos, 3D-Drucker, Sprach- und Übersetzungsprogramme, enorme Fortschritte in der Robotik und Maschinen, die Menschen bei strategischen Spielen wie Schach oder Go besiegen. Viele dieser Innovationen sind lange Zeit für unmöglich gehalten worden, selbst von Spezialisten. Jetzt sind sie da. Und sie schaffen innovative Geschäftsmöglichkeiten, die uns das Leben einfacher machen sollen: Wir leihen Fahrräder (Mobike) oder Elektroroller (Lime) mit dem Handy aus, finden den besten Weg durch den Stau (Waze), den unkompliziertesten Kredit (Bank N26) oder einen neuen Partner (Tinder). Künftig werden wir weder unser Auto selbst steuern noch in der Produktion oder auf dem Bau schuften, geschweige denn unseren Haushalt eigenhändig versorgen müssen. Doch wie können wir da morgen selbst noch mit im Spiel sein? Als Unternehmer, als Arbeitnehmer, als Firma und natürlich als Menschen?
Globalisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz haben das Veränderungstempo extrem beschleunigt. Einerseits bieten sie fantastische Geschäftsmöglichkeiten, andererseits auch Bedrohungen wie Disruption. |
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1.2Mentale Einstellung
Der Umgang mit Veränderungen im Alltag zeigt: Viel wichtiger als unser Wissen und als unsere Beharrlichkeit ist unsere mentale Einstellung. Unsere Erfahrungen sind nie allumfassend. Wir können unmöglich alles antizipieren. Gerade in Zeiten der schnellen Veränderung kommen unsere Kenntnisse und Fertigkeiten schnell an ihre Grenzen. Früher hatten wir vielleicht Erfolg mit Durchbeißen und -halten, aber das ist keine Blaupause für die Zukunft. Wir können allerdings immer bewusst darüber