Tove Jansson
FAIR PLAY
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
INHALT
UMHÄNGEN
Jonna hatte eine glückliche Eigenschaft, nämlich jeden Morgen wie zu einem neuen Leben aufzuwachen, zu einem Leben, das sich unverbraucht und vollkommen sauber vor ihr erstreckte bis zum Abend, nur selten überschattet von den Sorgen und Irrtümern des Vortages. Und eine weitere Eigenschaft, oder eher Fähigkeit, ständig gleich überraschend, war die Flut unerwarteter, völlig für sich stehender Ideen, die eine Zeit lang lebten und kraftvoll verwirklicht wurden, bis eine neue Idee sie beiseitefegte, die wiederum ihren unbestreitbaren Platz beanspruchte. Wie diese Sache mit dem Rahmenschreinern. Vor mehreren Monaten hatte Jonna Lust bekommen, einen Teil der Arbeiten von Kollegen zu rahmen, die bei Mari an den Wänden hingen. Die Rahmen wurden sehr schön, aber als sie fertig waren und aufgehängt werden sollten, war Jonna bereits von ganz anderen Ideen erfüllt, und die Bilder standen auf dem Fußboden in der Gegend herum. »Vorläufig«, sagte Jonna. »Und übrigens müsste alles, was du angesammelt hast, umgehängt werden, von Anfang an. So ist das hoffnungslos konventionell.«
Mari wartete ab und sagte nichts. Eigentlich fand sie es nett, vom Unfertigen umgeben zu sein, ungefähr so, als wäre man gerade erst eingezogen und bräuchte die Dinge nicht so ernst zu nehmen.
Und im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, die Kreise nicht zu stören, die Jonna in einer geheimnisvollen Mischung aus Perfektionismus und Nonchalance gezogen hatte; es ist nicht jedem gegeben, solcherlei Dinge auf die richtige Art und Weise zu begreifen. Es gibt Leute, deren Vorhaben nicht gestört werden dürfen, egal, ob es um Großes geht oder um Kleines; eine Ermahnung kann bewirken, dass die Lust sofort in Unlust übergeht, und dann ist alles verdorben.
Dem eigenen Beruf nachgehen zu dürfen, durch geheiligte Abgeschiedenheit vor Störungen geschützt.
Mit allen möglichen Materialien spielen zu dürfen. Sie in einem Spiel zu formen, das auf einmal, scheinbar aus einer Laune heraus, unwiderstehlich erscheint und jegliche sonstige Aktivität ausschließt. In einem plötzlichen Bedürfnis nach Sachlichkeit Dinge zu reparieren, die im Haus oder bei diesen total unpraktischen Kollegen kaputt gegangen sind – sie brauchbar zu machen, sie zu verschönern oder ganz einfach, zur allgemeinen Erleichterung, selbstherrlich auszurangieren.
In manchen Phasen hartnäckig nur zu lesen, tagaus und tagein, in anderen nur Musik zu hören und sich ausschließlich dafür zu interessieren – um nur ein paar wenige von Jonnas Phasen zu erwähnen. Und jede einzelne dieser Phasen wurde durch ein paar Tage von äußerster Unruhe und Überdruss scharf abgegrenzt, unbestimmte Tage, die ihre neue Richtung suchten. Es war jedes Mal dasselbe und konnte nicht anders sein; während dieser leeren Tage war jegliche Einmischung durch Vorschläge oder Ratschläge vollkommen undenkbar.
Einmal bemerkte Mari unbedacht: »Du machst nur das, wozu du Lust hast.«
»Natürlich«, sagte Jonna, »klar mach ich das.« Leicht verblüfft lächelte sie Mari an.
Und jetzt kam der Tag im November, als alles in Maris Atelier aufgehängt, umgehängt und erneuert werden und eine ganz andere Bedeutung erhalten sollte – Grafik, Malerei, Fotos, Kinderzeichnungen und allerlei pietätvoll angepinnte charmante Kleinigkeiten, deren Erinnerungswert und Bedeutung im Laufe der Zeit abhanden gekommen war. Mari hatte Hammer, Nägel und X-Haken hervorgeholt, dazu Draht, Wasserwaage und eine Anzahl übriger Hilfsmittel. Jonna hatte nur das Metermaß dabei.
Sie sagte: »Wir fangen mit der Ehrenwand an. Die muss natürlich streng symmetrisch bleiben. Aber Großmutter und Großvater hängen zu weit auseinander, übrigens kann es durchs Ofenrohr auf Großvater reinregnen. Und die kleine lavierte Federzeichnung deiner Mutter geht dort unter, die muss weiter nach oben. Der Schnörkelspiegel ist idiotisch, der gehört nicht hierher, wir müssen es straff halten. Das Schwert geht noch, obwohl es ein wenig sentimental ist. Nimm das hier und miss nach, das ergibt sieben oder sechseinhalb. Reich mir den Pfriem.«
Mari gab ihr den Pfriem und sah, wie die Wand etwas Statisches wiedergewann, das nicht mehr traditionell, sondern fast herausfordernd war.
»Jetzt«, sagte Joanna, »jetzt entfernen wir diesen kleinen Firlefanz, der dir eigentlich nicht mehr wichtig ist. Befreien die Wände. Das hier muss eine Ausstellung ohne irgendwelchen Schnickschnack werden. Leg den Kram in einen deiner Muschelschreine oder schicke ihn an irgendein Kinderbuchinstitut.«
Mari überlegte rasch, ob sie gekränkt oder erleichtert sein sollte, legte sich noch nicht fest und schwieg.
Jonna ging weiter, entfernte und stellte wieder her, ihre Hammerschläge leiteten eine neue Epoche ein. Sie sagte: »Ich weiß, ablehnen ist nicht leicht. Du lehnst Worte ab, lange unmögliche Erzählungen, und wenn das erledigt ist, ist dir wohler. Genauso ist es, wenn man Bilder ablehnt, die Berechtigung eines Bildes, an einer Wand zu hängen. Das meiste ist schon viel zu lange da, man sieht es nicht mehr. Das Beste, was du hast, siehst du nicht mehr. Sie erschlagen sich gegenseitig, weil sie falsch gehängt sind. Schau mal, hier ist etwas von mir, und hier hängt deine Zeichnung, die stören einander. Wir brauchen Distanz, das ist notwendig. Und verschiedene Perioden müssen sich durch Abstand unterscheiden – das heißt, wenn man sie nicht ganz einfach vermischt, um damit zu schockieren! Man muss das eben spüren … Wenn die Besucher den Blick über eine Wand wandern lassen, die mit Bildern tapeziert ist, muss sich eine gewisse Überraschung einstellen, wir wollen es ihnen nicht zu leicht machen, lass sie verblüfft Luft holen und unwillkürlich ein zweites Mal hinschauen, lass sie umdenken, sogar wütend werden … Jetzt sorgen wir dafür, dass die Kollegen eine bessere Beleuchtung bekommen. Warum hast du ausgerechnet hier so große Abstände gemacht?«
»Ich