Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075833211
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      „Die Zerstreuung der Reichtümer bewirkt größere Ausgaben und daher Armut. Nehmen wir ein Haus mit Mann und Frau und zehn Kindern. Sie beschäftigt sich mit Weben, er sucht seinen Unterhalt auf dem Markt. Werden sie mehr brauchen, wenn sie zusammen in einem Haus wohnen oder wenn jeder für sich lebt? Natürlich wenn sie getrennt leben; wenn die zehn Söhne in verschiedene Richtungen auseinandergehen, brauchen sie zehn Häuser, zehn Tische, zehn Diener und alles andere im selben Verhältnis vermehrt. Aber wie verhält es sich mit der Zahl der Sklaven? Speist man sie nicht alle an einem Tisch, um Kosten zu sparen? Zersplitterung führt gewöhnlich zu Verschwendung, Gemeinsamkeit zu Ersparnis von Hab und Gut. So lebt man heute in den Klöstern und so lebten jene Gläubigen. Wer starb damals an Hunger? Wer wurde nicht reichlich gesättigt? Und doch fürchten die Menschen diese Ordnung mehr als den Sprung in die offene See. Machen wir doch einen Versuch und gehen wir kühn ans Werk! Wie groß wäre dann der Segen! Denn wenn damals, als die Zahl der Gläubigen so klein war, kaum drei bis fünftausend, wenn damals, als die ganze Welt uns feindlich war, als es nirgends Trost gab, unsere Vorfahren sich so standhaft daran hielten, wieviel mehr Sicherheit müßten wir jetzt haben, da es durch Gottes Gnade überall Gläubige gibt! Wer hätte damals noch Heide bleiben wollen? Niemand, denke ich. Alle hätten wir angezogen und für uns gewonnen.“

      Das so eindringliche Zureden und die flammenden Predigten des Johannes Chrysostomos blieben erfolglos. Es wurde kein Versuch unternommen, den Kommunismus in Konstantinopel oder anderswo einzuführen. Mit der Ausbreitung des Christentums, das schon seit Anfang des 4. Jahrhunderts in Rom die herrschende Religion war, kehrten die Gläubigen nicht zum Beispiel der ersten Apostel, zum gemeinsamen Eigentum zurück, sondern entfernten sich immer weiter von ihm. Die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen innerhalb der Gemeinde der Gläubigen vergrößerte sich immer mehr. Noch im 6. Jahrhundert, d. h. es vergingen 500 Jahre nach Christi Geburt, hören wir den Aufruf Gregors des Großen:

      „Es genügt nicht, anderen ihr Eigentum nicht wegzunehmen, ihr seid nicht ohne Schuld, wenn ihr Güter für euch behaltet, die Gott für alle geschaffen hat. Wer anderen nicht das gibt, was er selbst besitzt, ist ein Räuber und Mörder, denn wenn er für sich behält, was zum Unterhalt der Armen dienen würde, kann man sagen, daß er Tag für Tag so viele ermordet, wie von seinem Überfluß leben könnten. Wenn wir mit denen teilen, die in Not sind, so geben wir ihnen nicht, was uns gehört, sondern was ihnen gehört. Das ist keine Tat des Mitleids, sondern das Bezahlen einer Schuld.“

      Aber diese Aufrufe waren vergeblich. Infolge der Hartherzigkeit der damaligen Christen, die sicher noch empfänglicher waren für die Predigten der Kirchenväter als die heutigen. Aber nicht zum erstenmal in der Geschichte der Menschen zeigte sich, daß die wirtschaftlichen Bedingungen stärker sind als die schönsten Predigten. Dieser Kommunismus, diese Verbrauchsgemeinschaft die die ersten Christen verkündet hatten, konnte sich unmöglich ohne gemeinsame Arbeit der ganzen Bevölkerung auf gemeinsamem Land und in gemeinsamen Werkstätten halten, aber solch gemeinsame Arbeit mit gemeinsamen Produktionsmitteln einzuführen, war damals nicht möglich, da die Arbeit, wie gesagt, Sache der Sklaven war, die außerhalb der Gesellschaft standen, nicht aber Sache der freien Menschen. Das Christentum unternahm von Anfang an nichts und konnte es auch nicht, die Ungleichheit in der Arbeit und im Besitz der Arbeitsmittel aufzuheben; dadurch waren seine Bemühungen hoffnungslos, die ungleiche Verteilung der Reichtümer zu beseitigen. Deshalb mußten die Stimmen der Kirchenväter, die zum Kommunismus bekehrten, die eines Rufers in der Wüste bleiben. Aber nicht lange, und auch diese Stimmen wurden immer seltener, bis sie völlig verstummten. Schon die Kirchenväter selbst hörten auf, zur Gemeinschaft und zur Verteilung der Reichtümer aufzurufen, denn mit dem Anwachsen der Gemeinde der Gläubigen änderte sich auch die Kirche selbst von Grund auf.

       Inhaltsverzeichnis

      Zu Anfang, als die Zahl der Gläubigen noch klein war, war eine eigentliche Geistlichkeit gar nicht vorhanden. In jeder Stadt sammelten sich die Gläubigen, bildeten eine selbständige religiöse Gemeinde und wählten jedesmal einen der Brüder aus ihrer Mitte, der den Gottesdienst leitete und die religiösen Handlungen ausführte. Jeder Gläubige konnte damals Bischof oder Presbyter werden, es waren dies zeitlich begrenzte Ämter, die keine Macht vergaben außer der, mit der die Gemeinde sie freiwillig ausstattete, und sie waren völlig unbezahlt. In dem Maße jedoch, wie die Zahl der Bekenner wuchs und die Gemeinden immer größer und reicher wurden, wurden die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten und das Abhalten der Gottesdienste zu einer Beschäftigung, die viel Zeit und völlige Hingabe erforderte. Da einzelne christliche Brüder mit diesen Aufgaben neben ihrem privaten Beruf nicht mehr fertigwerden konnten, begann man also, Gemeindemitglieder für geistliche Ämter als ausschließliche Tätigkeit zu wählen. So kommt es, daß solche Beamte schon dafür, daß sie sich den Angelegenheiten der Kirche und der Gemeinde widmeten, irgendeinen Lohn erhalten mußten, der ihnen zum Leben genügte. So entstand innerhalb der christlichen Gemeinde eine neue Schicht: aus der Menge der Gläubigen sonderte sich der besondere Stand der kirchlichen Beamten ab – die Geistlichkeit. Neben der Ungleichheit zwischen Reichen und Armen entstand eine neue Ungleichheit zwischen Geistlichkeit und Volk. Obwohl sie anfangs aus ihnen gleichberechtigten Bekennern zur zeitweiligen Vertretung der Gemeinde im kirchlichen Dienst gewählt waren, erhoben sich die Geistlichen bald zu einer Kaste, die über dem Volk stand. Je mehr christliche Gemeinden in allen Städten des großen römischen Reiches entstanden, desto stärker fühlten die von Regierung und Andersgläubigen verfolgten Christen das Bedürfnis, sich untereinander zusammenzuschließen, um ihre Kräfte zu vergrößern. Die verstreuten Gemeinden beginnen, sich zu einer Kirche auf dem ganzen Reichsgebiet zu vereinigen, aber das ist schon jetzt hauptsächlich ein Zusammenschluß nicht des Volkes, sondern der Geistlichkeit. Im 4. Jahrhundert nach Christus beginnen die Geistlichen der einzelnen Gemeinden, regelmäßig auf Konzilen zusammenzukommen; das erste derartige Konzil fand 325 in Nicäa statt. Dadurch wurde der enge Zusammenschluß der Geistlichen zu einem vom Volk abgesonderten Stand vollendet. Gleichzeitig waren auf den Konzilen natürlich die Bischöfe der mächtigsten und reichsten Gemeinden führend unter den Geistlichen, und deshalb stand der Bischof der christlichen Gemeinde der Stadt Rom bald an der Spitze der ganzen Christenheit, als Haupt der Kirche, als Papst. So entstand die ganze Hierarchie der Geistlichkeit, die sich immer mehr vom Volk absonderte und sich immer höher über es erhob. Gleichzeitig änderte sich auch das ökonomische Verhältnis zwischen Volk und Geistlichkeit. Früher war alles, was reiche Kirchenmitglieder der Gemeinschaft opferten, als Fonds für das arme Volk betrachtet worden. Dann begann man, aus eben diesem Fonds einen immer größeren Teil dafür abzuzweigen, die Geistlichkeit zu bezahlen und die Bedürfnisse der Kirche zu bestreiten. Als Anfang des 4. Jahrhunderts das Christentum in Rom zur herrschenden, d.h. zur einzigen vom Staat anerkannten und unterstützten Religion ausgerufen wurde und die Christenverfolgungen aufhörten, fanden die Gottesdienste nicht mehr in unterirdischen Höhlen oder bescheidenen Kammern statt, sondern man begann, immer prächtigere Kirchen zu bauen. Die Ausgaben dafür verminderten den Fonds für die Armen immer mehr. Schon im 5. Jahrhundert nach Christus wurden die Einkünfte der Kirche in vier gleiche Teile aufgeteilt, von denen einen der Bischof erhielt, einen die übrige niedere Geistlichkeit, einer für Bau und Erhaltung der Kirchen abging und nur ein vierter für die Unterstützung des armen Volkes verwendet wurde. Das ganze christliche Armenvolk erhielt zusammen jetzt nur noch so viel wie der Bischof allein. Und mit der Zeit hörte man überhaupt auf, einen bestimmten Teil für die Armen bereitzustellen. Je reicher und mächtiger die Geistlichkeit wurde, desto mehr verlor das Volk der Gläubigen jede Kontrolle über Besitz und Einkünfte der Kirche. Die Bischöfe verteilten so viel an die Armen, wie es ihnen gefiel. Das Volk erhielt schon damals Almosen von seiner Geistlichkeit.

      Aber das ist noch nicht das Ende. Waren anfangs alle Gaben der Gläubigen für die christliche Allgemeinheit freiwillig, so begann die Geistlichkeit mit der Zeit, besonders, seit die Religion Staatsreligion geworden war, zwangsweise Gaben zu fordern, und das von allen Gläubigen, begüterten und unbegüterten. Im 6. Jahrhundert wurde von der Geistlichkeit eine besondere Kirchenabgabe eingeführt: der Zehnte (d.h. die zehnte Kornähre, das zehnte Stück Vieh usw.). Diese Abgabe fiel als neue Last auf die Schultern des Volkes und wurde später im Mittelalter