Die eigentliche Prozeßgeschichte ist ebenfalls einfach, da die Teilnehmer bald zum vollen Geständnis gebracht wurden. Dagegen bot der Fall der richterlichen Beurteilung mehrere erhebliche Schwierigkeiten, die hier nicht erörtert werden können, da sie nur die Juristen in genügendem Maße interessieren würden. Unseren Lesern, denen der psychologische Tatbestand der wichtigere ist, wird es genügen, das Urteil zu erfahren, das die bayrischen Gerichte gegen die Vater-und Gattenmörder fällten.
Der Tagelöhner Wagner und der älteste Sohn des Müllers, Konrad, wurden zur Kettenstrafe, d. h. zu lebenslänglicher, mit bürgerlichem Tod und vorhergehender öffentlicher Ausstellung verbundener einsamer Gefangenschaft in schweren Ketten mit Kugel verurteilt, Friedrich, der zweite Sohn, als Gehilfe ersten Grades zu fünfzehnjährigem Zuchthaus, die Ehefrau des Ermordeten, Barbara, als Gehilfin zweiten Grades zu achtjähriger Zuchthausstrafe. Gegen die älteste Tochter Margarethe erkannte das Gericht, daß die Untersuchung wegen mangelnden Beweises einzustellen sei; die jüngste, Kunigunde, wurde von aller Strafe freigesprochen. Die Anna Wagner, des Tagelöhners Frau, kam für ihre Beihilfe wegen mehrerer Milderungsgrunde mit einer einjährigen Arbeitshausstrafe weg.
Ob irgendein anderes Gericht, mit gelehrten Richtern besetzt, anders geurteilt hätte, bezweifeln wir. Wäre die Tat die unmittelbare Folge der Brutalität, der lebensgefährlichen Mißhandlungen des Wüterichs gegen die arme Frau gewesen, hätten sich die Söhne in gerechter Furcht, daß diese Mißhandlungen fortdauern würden, daß sie ihrer armen Mutter, wenn sie selbst aus dem Hause gestoßen worden wären, nicht mehr würden beistehen können, hätten sie sich da zum Äußersten entschlossen und, um das Leben der Mutter oder das eigene zu retten, den Vater geopfert, so wurden die ewigen, geschriebenen und ungeschriebenen, Gesetze über die Notwehr ein bedeutendes Gewicht in die richterliche Wagschale gelegt haben. Es wäre ein Fall gewesen, der dem von den zwei Ertrinkenden auf einem Brett ähnlich gewesen wäre. Aber diese nächste Gefahr, konnte der Richter erwidern, war vorüber. Es stand jetzt nicht mehr Mord und Totschlag, sondern Ausweisung aus dem Hause bevor, der böse Vater ergriff nicht das Beil, sondern die Feder, es handelte sich nicht mehr um Blut, sondern um Geld. Die Mutter und die Söhne fürchteten, der Müller werde seine Frau ausstoßen, sich von ihr scheiden lassen und mit einer liederlichen Dirne das ihnen zukommende Erbe durchdringen. Es war also nicht mehr allein die gerechte Leidenschaft, das empörte Gefühl, nicht mehr die grausame Frage nach Sein oder Nichtsein, sondern das Interesse, das hier mitsprach, und mit kalter Überlegung schritten die Verschworenen an ihr Verbrechen.
Dennoch kann unser Gefühl sich mit dem Urteil schwer versöhnen. Es ist einer der Fälle, wo die beste menschliche Gesetzgebung nicht ausreicht, um dem ewigen in der Brust ruhenden Rechtsgefühl zu genügen. Die Gesetze, für die große bürgerliche Gemeinschaft gegeben, mischen sich da, wo die Völker noch dem Naturzustande nahe sind, so wenig wie möglich in das, was im Innern der Familie vorgeht. Der Hausherr, der Patriarch richtet. Läßt sich nicht auch denken, daß über ihn gerichtet werden darf, wenn die ganze Familie einig ist, daß er die Gesetze der Natur übertreten hat? Unser modernes Gesetz, das die Familienbande gesprengt hat und die einzelnen Glieder als Glieder des Staates betrachtet, darf das freilich nicht zugeben. Vor ihm sind alle gleich berechtigt, gleich straffällig, es muß sie alle in gleicher Art schützen. Und dennoch hat es Ausnahmen gelassen. Es kann das Auge zudrücken zum Hausdiebstahl, wenn der Bestohlene nicht als Kläger auftritt, zum Mord sogar, wenn der Ehemann die Ehebrecher in flagranti betrifft. Auch der altpatriarchalische Zustand des Familienrechts läßt sich in modernen Zuständen wiederfinden. Wäre der Vorfall in Amerika, in einer Hinterwäldlerfamilie, vorgefallen und er käme zur Kenntnis der Gerichtsbehörden, hätten sich dort, gesetzt, es wäre alles so zugegangen wie hier, die Geschworenen gescheut, über die Söhne und die Ehefrau – der gedungene Meuchelmörder wäre freilich nirgendwo der Strafe entgangen – das Nichtschuldig auszusprechen? Aber noch andere Bedenken machen sich geltend. Wem half diese Nemesis? Konnte sie bessern oder abschrecken? Das allgemeine Gefühl in der Gegend war für die gute, unglückliche Familie, deren Wohlstand, Glück und Einigkeit vernichtet wurde. Sie wurde weit härter gestraft als der Wüterich, der dreißig Jahre hindurch die Seinen gemordet hatte, wofür ihn nur der Todesschmerz weniger Minuten traf. Die innere Strafe hatte sich außerdem schon eingestellt: die Gewissensbisse peinigten beide Brüder, die äußere Strafe erschreckte die Menge nur deswegen, weil sonst gute und friedliche Menschen, die aus einem moralischen Impuls zu handeln geglaubt hatten, leiden mußten wie gemeine, ruchlose Verbrecher.
Der Zwiespalt zwischen dem empfundenen und dem geltenden Rechte tritt aber noch in einer anderen Unvollkommenheit unserer Zustände zutage. Was machte es der Familie unmöglich, sich Ruhe und Sicherheit vor dem Bösewicht zu verschaffen? Die Richter sagten: Es steht in den Gesetzen nichts, daß wir eine Frau und Kinder vor den Brutalitäten ihres Gatten und Vaters schützen könnten. War das aber der Fall, so trat für die Familie das Naturgesetz wieder ein, und die Staatsgesetze hörten auf. Sie mußte sich selbst ihr Recht schaffen. Aber dieser Schluß ist dennoch falsch. Die Gesetze konnten helfen, wenn man ihnen die richtige Auslegung gab und sich die Mühe nicht verdrießen ließ: wenigstens ließ sich die Entmündigung des Müllers durchsetzen. Aber andrerseits ist leicht einzusehen, welche Schwierigkeiten die Durchführung dieser Maßnahme gemacht hätte.
Überlegungen dieser und ähnlicher Art bestimmten auch das Verhalten der Familienmitglieder nach dem Urteilsspruch. Als dem jüngeren Sohne Friedrich am 12. August 1822 das Urteil vorgelesen wurde, rief er aus: »Ich kann mich nicht dabei beruhigen, ich kann die Strafe nicht aushalten. Lieber will ich mir gleich das Leben nehmen lassen, als fünfzehn Jahre ins Zuchthaus! – Ich kann – ich kann mich nicht überzeugen, daß ich wegen eines so schlechten Menschen, als mein Vater war, zu so harter Strafe verurteilt werden kann. Solange mein Vater lebte, war schon mein Leben ein Zuchthausleben; und nun noch fünfzehn Jahre Zuchthaus dazu, da ist mir der Tod lieber!«
Auch seine Mutter Barbara wollte appellieren, beide entsagten jedoch später freiwillig der weiteren Verteidigung, Friedrich äußerte dabei: »Ich tue es, damit ich doch endlich aus der peinlichen Ungewißheit herauskomme und bald Hoffnung haben kann, wieder frei zu werden, wenn sie aus meinem Betragen gesehen haben werden, daß ich ein verirrter, aber kein verdorbener Mensch bin, und daß ich einst Anspruch machen darf auf die königliche Gnade.«
Nachdem das Oberappellationsgericht das erste Erkenntnis bestätigt hatte, wurden der Tagelöhner Wagner und der älteste Sohn Konrad am 16. November auf öffentlichem Markte mit einer Tafel auf der Brust in Ketten geschmiedet, in denen sie sterben sollten. Die Knechte des Scharfrichters stellten sie eine Stunde lang am Pranger aus, um sie dann zu einsamer Einsperrung ins Zuchthaus abzuführen. Konrad ertrug die Strafe, wie man es von ihm erwarten durfte. Seiner Schuld bewußt, litt er ruhig, schweigend und mit gesenktem Haupte. Wagner dagegen blickte frech und trotzig auf die zahllos versammelten Zuschauer. Einmal machte er sogar Miene zu sprechen. Er hob die Schandtafel vor der Brust in die Höhe, um sie der Menge in frechem Hohn noch besser zu zeigen.
Jener nahm mit dem Abscheu vor seiner Tat zugleich das allgemeine Mitleid, dieser zugleich das Entsetzen vor seiner Verworfenheit mit in den bürgerlichen Tod hinüber. Es ist uns nicht Friedrich, der nicht in Ketten Geschmiedete und nicht zum bürgerlichen Tod Verurteilte, gab sich dieser Hoffnung hin – eine Aussicht, die das Gefühl wenigstens einigermaßen über die schreckliche Strenge dieses Urteils hinwegführen kann.
Die Nonne von Monza
Das