»Ist das nicht ein bißchen langweilig, ich meine, wenn immer ein Todesfall beklagt wird?«
Aber das versteht das Seelchen nicht und sieht ihre Mutter erstaunt an, daß diese fühlt, sie bewege sich auf schlüpfrigem Gebiet, und schnell weiterspricht:
»Und viel lernen mußt du nun auch bei deinem Herrn Präzeptor?«
»Er weiß eine solche Menge, Mama, von dem Miß Whart nie etwas gesagt hat. Miß Whart hat mir immer gesagt, die deutsche Geschichte wäre furchtbar langweilig, weil wir immer so viel Fürsten gehabt, die um das Land gestritten hätten, und man könne das doch nicht behalten. Und darum habe ich immer nur von Mary queen of Scots und den Kindern Edwards gehört. Aber der Herr Präzeptor weiß sogar von Griechen und Römern! Und alles lerne ich. Und wenn er sagt: Wissen Sie noch? so weiß ich es immer, und dann freut er sich, weil die Buben es gar nicht immer wissen. Und zuerst, wenn er kommt, ist er schnarrig wie eine Krähe und stöhnt und sagt: ›Nun wollen wir eben‹ – und dann wird er ganz lustig. Und wenn er geht, sagt er: ›Machen Sie so fort.‹« »Ei, da bist du ja außerordentlich brav. Meine Schwestern und ich haben unsern Herrn Doktor schwer geärgert. Dann standen ihm die Haare bolzgerade in die Höhe und mit einem Auge schielte er dann. Die Mäg, meine Schwester, sagte allemal, wenn es so recht langweilig war: ›Komm, wir machen ihm die Augen krumm.‹«
Aber das Seelchen sagt entschuldigend: »Die Buben ärgern den Herrn Präzeptor schon so sehr.«
»Ja gewiß, gewiß.« Die junge Frau fühlt, daß sie nicht sehr pädagogisch war.
»Und es ist schön, daß du so ein kleiner Tugendspiegel bist. Und nun erzähl mir von deinem langen Freund, dem Maler.«
»Hast du mein Bild schon gesehen? Es ist schön, aber er sagt, es fehle etwas. Er hat mich noch einmal gemalt, auf einem großen Bilde, das ist noch viel schöner. Aber das hätte Papa nicht so gefallen, und er sollte doch Freude daran haben. Und nun gefällt's Papa sehr gut und Harro nicht ganz, aber wie soll man es beiden recht machen?«
Und sie schüttelt weise das Köpfchen.
»Graf Thorstein kommt oft herüber, ich meine, seit er dich nicht mehr malt?«
»Gar nicht so oft, nur wenn er Zeit hat, und er hat nicht oft Zeit. Wenn ein Fest ist, kommt er immer. Wenn jetzt der große dicke Nebel kommt, ist das Haselnußfest, und wir gehen nach Schweigen. Willst du auch mit? Aber du mußt einen Wettermantel anziehen.«
»Nach Schloß Schweigen fahren wir jedenfalls –«
»Und es muß ein dicker Nebel sein.«
Die Fürstin lachte: »Ich sehe nicht ein, daß das nötig ist.«
»Das ist ausgemacht, weil es das Herbstfest ist. Und dann kommt doch die Sonne,« sagt das Seelchen, das ein felsenfestes Vertrauen hat, daß auch bei dem Wetter Harro es so einrichten wird, wie es am schönsten ist.
»Frau von Hardenstein geht auch mit.« »Als Trauerweide,« lacht die Fürstin. »Mein Geschmack sind Trauerweiden nicht.«
»Und Harro nimmt dich gewiß auch mit, wenn du ihn bittest.«
Die Fürstin erhebt sich und lächelt, wie schöne junge Frauen lächeln, die mit ihrem Spiegelbild zufrieden sind. »Nun, er wird nicht ganz hartherzig sein,« und sie ging an den Flügel, den sie öffnete. »Kannst du Walzer tanzen, Rosmarie?« Sie spielte einen der hübschen, halbsentimentalen Modewalzer mit guter Technik und wiegte sich dazu ein wenig in den Hüften. »Faß dein Kleidchen an und tanze, Rosmarie, so machten wir es, wenn wir keinen Partner hatten!« Das Kind lächelte, blieb aber stehen.
»Den Tanz kann ich nicht. Ich kann nur den Lilientanz, den kannst du aber nicht spielen, und den Finkentanz, der ist komisch, und den Abendfräuleintanz, – der gefällt Harro am besten. Da gehören Flügel dazu, und ich habe zu Harro schon gesagt, er soll sie mir machen. Aber er sagt, er könne nicht. Aber vielleicht will er mich auch nur überraschen. Und wenn du ihn sehr bittest, vielleicht macht er dir auch.«
Der Fürst hört schon von außen ein helles Gelächter, ein zweistimmiges ... Wie ihm der Klang wohl tut und das Herz erleichtert!
»Zu drollig ist die Kleine, hast du je von einem Finkentänzchen gehört?«
Die Fürstin lacht wieder, aber ihr Lachen klingt ein wenig anders wie vorher ...
Achtes Kapitel.
Schloß Schweigen
Heute geht man nach Schweigen, und alles soll ganz anders sein, als Seelchen es sich gedacht. Kein Mensch sagt ein Wort von Harro. Den schönsten dicksten Nebel hat man ungenützt verstreichen lassen, wie alle Tage ist der Wagen auf drei Uhr befohlen. Seelchen weiß nicht, ob es sich nun freuen soll, beschließt jedoch noch abzuwarten, aber so viel merkt sie schon: ein richtiges Fest wird es nicht. Ein Fest ohne Harro!
Der blaue Wagen fährt vor, Mama und Papa steigen ein, das Kind auf den Rücksitz, sehr tugendhaft und ängstlich bemüht, die Füße vor Mamas Augen zu verbergen.
Denn Mamas Ansicht über ihre Schuhe kennt sie nun schon. Zum erstenmal in seinem Leben ist das Kind schlau gewesen. Daß das wunderbare Schuhwerk von Harros Gnaden ist, hat sie nicht verraten, auch nichts vom Herrn Wurmhaber.
Die Fahrt nach Schloß Schweigen ist sehr schön. Es geht in das Tal hinunter, über die uralte bedeckte Holzbrücke donnert der Wagen, dann geht es in Windungen die steile Höhe hinauf, und man sieht die Türme und Giebel von Schloß Brauneck schön gegen den seidig blauen Herbsthimmel. Dann kommt der Hochwald, in dem die Räder leiser rollen, und der glüht in dunklem und hellem Gold und Purpur und Blaugrün. Und Papa ist sehr froh, und sie fühlt, daß er mit ihr zufrieden ist.
Und nun wieder durch Felder, über die der Pflug geht und über die die weißen Marienfädchen fliegen. Seelchen hält ein glühendrotes Ahornblatt in der Hand, das ihr in den Schoß gefallen, und hält es gegen den seidigen Himmel und muß es immer wieder bewundern und sich ausdenken, warum sich wohl das Blatt gar so herrlich zum Sterben anzieht. Nun kommen ein paar uralte kleine Giebelhäuser, ein großer Nußbaum, ein Hohlweg, in dem silberglänzende Waldrebendolden mit rotleuchtenden Hagebutten sich verspinnen, und plötzlich über den Kronen von zwei mächtigen Linden ein dunkler Turm: Schloß Schweigen.
»Rosmarie, freu dich, das ist Schweigen!«
»Wie seltsam,« sagt Mama, »das sieht man ja gar nicht, bis man daran ist.«
»Darum steht es noch. Es ist im Dreißigjährigen Krieg wohl gar nicht gefunden worden.«
»Gott, wie still,« ruft die Fürstin, »heißt es darum Schweigen?« Sie sind ausgestiegen vor dem Försterhaus, das so freundlich am Eingang neben den beiden Linden steht. Über die innere Umwallung schaut hoch und finster in seinem grünen dichten Efeumantel der Palas hernieder und der düster schwarze Bergfried mit Mantel und Wehrgang. Unter den Linden rauscht und murmelt ein Brünnlein, und wie nun der Wagen hinuntergefahren ist zu den Ställen, so ist sein leises Plätscherlied der einzige Laut in der verzauberten Stille. Von der runden Umwallung der Linde aus sieht man auf herbstbunte Waldberge, ein Habicht kreist über der tiefen Klinge, aus dem Gärtlein an der efeuumsponnenen Mauer weht ein leiser Resedaduft. Der Fürst hat seine Tochter an die Hand genommen und zieht einen silbernen Becher aus einem Etui. Den füllt er an dem Brünnlein und sagt:
»Trink, Rosmarie, das muß man hier tun.«
Seelchen sieht zu ihrem Vater auf und trinkt aus dem Becher und bittet ihm in der Stille ihres Herzens ab, daß sie von ihm gedacht, er könne keine Feste feiern.
»Das hat mein Vater auch getan, wie ich zum ersten Male mit ihm hier war. Er sagte: Aus dem Brünnlein muß man trinken, wenn man ein rechter Braunecker werden will.«
Die Fürstin war auch herbeigekommen, sie hob ihr feines Spitzenkleid in die Höhe, um den Brunnen war es ein wenig feucht.