»Jawohl hier im Westen auch! Das habe ich dir schon gezeigt und bin bereit, es dir auch noch weiter zu beweisen. So, da bist du fertig, und ich bin es einstweilen mit dir auch. Nimm dich in acht, daß wir nicht noch einmal in dieser Weise zusammentreffen. Man kommt nicht immer so gut aus meinen Händen, wie ich dich jetzt aus ihnen entkommen lasse. Merk dir das, frommer Augenverdreher!«
Ich gab ihn frei und nahm die Schriften, um sie selbst in die Küche zu tragen, wo ich mich überzeugte, daß sie alle in den Ofen gesteckt und verbrannt wurden. Als ich dann in das Zimmer zurückkehrte, war der Prayer-man nicht mehr da.
»Er ist auf seine Stube gegangen,« sagte der Wirt im Tone des Bedauerns, indem er mich halb vorwurfsvoll, halb prüfend mit dem Blicke maß. »Das kam so schnell, so unerwartet! Sie sprachen so freundlich zu ihm, und plötzlich bekam er die Schriften in das Gesicht! Und dann die gewaltige Ohrfeige, diese Schnelligkeit, dieser Tritt in den Leib und dieser Griff in das Genick – – so etwas habe ich noch gar nicht gesehen. Das ging doch so rasch wie das Bretzelbacken!«
»Ja, so etwas habe auch ich noch nicht gesehen!« stimmte der Kellner bei. »Das war alles in zwei kurzen Augenblicken fertig, als ob es vorher extra einstudiert worden sei. Und da habe ich, als Sie meinten, daß Old Shatterhand Ihre Gestalt und Länge habe, gesagt, daß ich ihn mir viel kräftiger vorgestellt hätte! Gestatten Sie, Mylord, daß mir eine innere Stimme sagt, daß Sie diesen gewaltigen Griff in das Genick wahrscheinlich von ihm gelernt haben! Da muß ja jedem gewöhnlichen Menschen sofort der Atem ausgehen!«
»Haben Sie die Gedichte wirklich alle verbrannt?« erkundigte sich der Wirt.
»Alle,« antwortete ich.
»Da werden Sie sie wohl bezahlen müssen!«
»Pshaw! Es wird diesem Kerl gar nicht einfallen, mich darüber zur Rechenschaft zu ziehen.«
»So sind Sie also wirklich der Verfasser des Gedichtes?«
»Ja.«
»Sonderbar! Er sagte doch – – hm! Er ist ein sehr frommer und sehr ehrenwerter Mann!«
Es war dem Wirte nicht schwer anzusehen, daß er diesem sehr frommen und sehr ehrenwerten Manne mehr Glauben schenkte als mir. Ich fühlte keinen Beruf, ihn von dieser Ansicht zu bekehren, und erwähnte den Prayer-man also nicht weiter, sondern erkundigte mich:
»Sie kennen die Frau Hiller, von welcher gesprochen wurde?«
»Ja.«
»Ist sie auch eine Deutsche?«
»Ich glaube eher, daß sie eine Deutschösterreicherin ist. Man hat nicht oft Gelegenheit, mit diesen Leuten zu sprechen.«
»Sie leben einsam?«
»Sehr. Der Mann ist Pelzjäger für eine bedeutende Firma in St. Louis und meist nur zwei oder drei Monate während des ganzen Jahres daheim. Da pflegt er sich, widmet sich seiner Frau und seinem Sohne und läßt sich wenig sehen. Sie werden die jetzigen Verhältnisse des Fell-und Pelzhandels wohl schwerlich kennen, denn ein Mann, der Gedichte macht, hat für so unpoetische Sachen keine Zeit; er ist lange nicht mehr so in Flor wie früher, weil das Wild immer seltener wird. Der Jäger, welcher Geschäfte machen will, muß jetzt mehr wagen als früher und in die gefährlichsten Gegenden der Rocky-Mountains vordringen, wo zwar noch gute Beute zu holen ist, dabei aber gefährliche Zusammenstöße mit Indsmen nicht zu vermeiden sind. Es ist da schon mancher hinaufgegangen und nicht wiedergekommen; Hiller aber hat stets Glück gehabt. Er geht nie allein in die Berge, sondern pflegt alljährlich eine Gesellschaft von Jägern und Fallenstellern anzuwerben, deren Master er in jeder Beziehung ist. Diese Leute werden von ihm nach der Zeit, nicht nach der Stückzahl honoriert, gleichviel, ob er gute Geschäfte macht oder nicht; er scheint aber dabei doch stets seine Rechnung gefunden zu haben, denn es sind von ihm stets ganze Massen von Pelzwerk nach St. Louis geliefert worden. Die Jäger drängen sich dazu, von ihm engagiert zu werden, und die Indsmen scheinen Respekt vor ihm zu haben, wenigstens darf man dies aus dem Umstande schließen, daß sie ihm einen Kriegsnamen gegeben haben, was sie bei keinem gewöhnlichen Manne zu thun pflegen.«
»Kennen Sie diesen Namen?«
»Ja; er lautet Nana-po. Wie das heißt, und aus welcher Sprache es ist, das weiß man nicht.«
»Wirklich nicht? Hat Hiller es niemandem gesagt?«
»Nein. Wenn er sich hier befindet, so lebt er einsam und ist ein so wortkarger Mann, daß ihn wahrscheinlich noch kein Mensch nach diesem Namen gefragt hat.«
»Das Wort ist abgekürzt und lautet vollständig Nana-po-pahwitsch und gehört den Dialekten der Utahs und Schoschonen an, welche miteinander verwandt sind. Dieser Ausdruck bedeutet soviel wie »mein älterer Bruder« und ist nach Indianerbrauch eine ehrende Bezeichnung. Da die Utahs nicht in einer an Pelztieren reichen Gegend wohnen, so vermute ich, daß es die Schoschonen sind, die ihm diesen Namen gegeben haben. Er muß auf freundschaftlichem Fuße zu ihnen stehen und sich durch seine Eigenschaften ihre Achtung erworben haben, sonst würden sie ihn nicht ihren Bruder, sogar ihren älteren Bruder nennen. Ich bin überzeugt, daß die Bewohner von Weston stolz auf diesen ihren Mitbürger sein können.«
»Davon haben wir gar keine Ahnung gehabt,« gestand der Wirt. Und indem er mich mit erstaunten Augen musterte, fuhr er fort: »Sie zeigen da Kenntnisse, die man bei Ihnen gar nicht vermuten konnte. Ein Westmann sind Sie nicht, denn ein solcher hat kein Geschick, sich in einer Kleidung, wie die Ihrige ist, so zu bewegen wie Sie; aber die Sprachen der Roten sind Ihnen bekannt, und Sie machen Gedichte. Wahrscheinlich gehören Sie dem studierenden Stande an?«
»Sie haben recht; ich bin ein Federfuchser.«
»Und, bitte, wie heißen Sie? Sie entschuldigen diese Frage. Man muß doch wissen, wie man Sie zu nennen hat.«
Da ich verschweigen wollte, wer ich war, und mein richtiger Name möglicherweise auch hier als derjenige Old Shatterhands bekannt sein konnte, legte ich mir in der Schnelligkeit einen ähnlich klingenden bei, indem ich antwortete:
»Mein Name ist ein so seltener, daß Sie ihn wahrscheinlich noch niemals gehört haben; ich heiße nämlich Meier.«
»Meier?« lachte er. »Allerdings höchst selten! Aber kennen thue ich ihn doch, denn ich muß Ihnen sagen, daß ich auch so heiße. Hatten Sie eine bestimmte Absicht, in welcher Sie sich nach der Familie Hiller erkundigten?«
»Ja. Es ist des Gedichtes wegen, welches vor einer Reihe von Jahren verfaßt wurde. Wer es sich so lange aufgehoben hat, der muß ein ganz besonderes Interesse daran haben, und so versteht es sich ganz von selbst, daß ich es gern wissen wollte, wer diese Frau Hiller ist.«
»So besuchen Sie sie doch einmal! Sie hält sich zwar, ebenso wie ihr Mann, sehr zurück, wird aber doch wohl nicht so unhöflich sein, Sie abzuweisen.«
»Es ist, wie ich höre, auch ein Sohn da?«
»Ja. Er hat, wie bereits gesagt, auf den Lawyer studiert, nimmt aber keine Stelle an, sondern sitzt zu Hause bei einer Menge von Büchern, mit denen er sich den ganzen Tag beschäftigt, als ob er sie auswendig lernen wolle. Sonst aber ist er, wenn man ihm begegnet, ein ganz freundlicher, junger Mann.«
Es war so, wie ich gesagt hatte: der Umstand, daß diese Frau mein Gedicht besaß, fiel mir auf. Woher hatte sie es? Sie war eine Deutschamerikanerin. Stammte sie aus meiner Heimat? Hatte sie es mit herübergebracht, oder war es ihr von einem Verwandten geschickt worden? Es fiel mir nicht ein, das Gedicht für so wertvoll zu halten, daß sie es nur dieses dichterischen Vorzuges wegen so lange aufgehoben hätte; ich sagte mir vielmehr, daß es damit eine andere Bewandtnis haben müsse, und bin aufrichtig genug, zu gestehen, daß mich die Neugier trieb, sie kennen zu lernen. Ich ließ mir also ihre Wohnung beschreiben und ging, diese aufzusuchen.
Das hübsche Häuschen hatte einen Seitengarten, in welchem eine Frau beschäftigt war, Spätrosen abzuschneiden. Ihr Kopf war zum Schutze gegen die Sonne mit einem weit vorgezogenen Tuche bedeckt, so daß ich ihr Gesicht nicht