Keines weiß, was sie will. Und nun hat sie ihre Augen halb geschlossen und liegt so feierlich und still in ihren zerwühlten Kissen. Ulrike sieht zu Harro hinüber und berührt seine Hand. Ihre Augen begegnen sich... aber sie schweigen.
»Harro,« sagt die Rose mit ganz heller Stimme, »komm zu mir herunter.« Er beugte sich über sie. »Ganz nah, noch näher. Nimm meine Hand, ich kann sie nicht heben und leg sie auf deine Augen.« Er tat es ... »Und sieh dorthin.« Ihre Augen gingen nach dem Fußende ihres Bettes, er folgte ihr, eine hohe Vase mit weißleuchtenden Chrysanthemen stand auf einem schmalen Wandbrettchen. »Dorthin, Harro.« Dann streckte sie sich aus: »Nun will ich schlafen.«
Er flüsterte ihr zu: »Ist es der Schleier der Gisela, Rose?«
»Du siehst sie ja, Harro, nun siehst du sie endlich. Gute Nacht Uli, gute Nacht, Lieber,« und nun war sie schon eingeschlafen.
Die Türe bewegte sich noch einmal, der Wind seufzte in der Linde. Ulrike ging mit ihm hinaus in das alte Lernzimmer.
»Was sahst du, Harro?«
»Einen Chrysanthemumstrauß,« sagte er traurig... »Aber gefühlt habe ich doch etwas.«
»Ich auch, Harro. Es muß ein Engel bei ihr gewesen sein.«
Harro sagte: »Ich fühlte eine sanfte Nähe. Ulrike; so weit kam ich und nicht weiter. Aber Gott sei Dank, daß es kam, Gott sei Dank. Es war der Schleier der Gisela.«
Am frühen Morgen geht Harro in das Atelier, die Rose schläft noch friedlich, und Uli wird ja kommen, wann sie aufwacht, und ihn holen. Er steht vor seinem Bild, als sich der kurze Oktobertag aus seinem Nebelbette erhebt. »Das schönste Bild!« er seufzt. »Ein blinder Maulwurf!« – Er holt sich seine Farben. Es ist ja immer noch an dem Gewand der Rose etwas nachzusehen, und da der Schleier, der herabhängt von der Gisela Haupt, der muß sich über den Hintergrund ziehen, wie ein wenig bauschen, als ergreife ihn das leichteste Windchen. Er malt eifrig an dem Schleiergewebe. Die alte goldene Spange fällt ihm ein. Die Rose trägt sie ja noch zuweilen. Plötzlich erschrickt er, er hat mit fester Hand die Linien von zwei dunkeln, geschwungenen Augenbrauen gezogen. »Ich verderbe,« sagt der eine Harro zum andern. Der antwortete: »Verdirb mir meinen inneren Spiegel nicht.« Und dann malt er in verbissener Eile weiter, diese Augenbrauen verlangen ja die langgeschweiften Lider mit den starken Augenecken. »Und die Nase war fein modelliert,« murmelt er, »hatte die einen Stolz. Wie demütig und bescheiden die Rose dagegen ist! Und diese Lippen... die sehr stark geschwungene Oberlippe... Ich bin ein Narr, und die Rose wird sagen, ich habe das Bild verdorben...« »Schweig,« herrschte der andere Harro... »ist das das einzige Blau, das du für die Augen auftreiben kannst? Dunkler, leuchtender, wärmer.«
– – –»Eine Hexe haben sie die Pfaffen genannt. Wenn sie einen solchen Mund hatte, war es nicht so sehr daneben... Ich begreife den alten Mann, der ihre Hand nicht berühren wollte, wenn er für seinen Kirchenschlüssel fürchtete. – Wie mag ich so schändlich gegen sie lästern, und heute nacht hat sie mir die Liebe getan.« – Die Stunden verrannen; er malte manchmal zögernd, manchmal in wildem Eifer. Die Hand, die mit wundervoller Zartheit die Schulter der Rose berührte, der Arm über dem Handgelenk trug einen breiten roten Streifen. Das hielt ihn am längsten auf.
Jetzt kam Tante Ulrike herein. »Das Kind ist aufgewacht, Harro.«
Er fuhr fast zusammen und sagte eilig: »Ja, ich komme.« Er hing seine Palette auf, ohne nur noch einen Blick auf sein Bild zu werfen, und ging hinüber.
Die Rose lag schon auf ihrer Tragbahre. »Ja, warum habt ihr mich nicht früher geholt?«
»Wir wollen dich doch nicht stören.«
»Harro, du hast gemalt!«
»Ja.«
»Nun ist dir's ja leicht geworden, da du sie gesehen hast... Wer sie einmal gesehen hat, vergißt sie doch nicht wieder.«
»Ich sah sie aber gar nicht,« sagte er betrübt. »Gemalt habe ich freilich. Ich habe noch nicht gewagt, mich ihr kalt gegenüber zu stellen. Eine stolze Frau, Rose, hab ich gemalt, eine wahre Königin, wenn ich mich da auch nicht täusche.«
»Ich will in den Saal, Harro, ich muß sie sehen.« »Eilt das so, Rose... Nach deiner schlechten Nacht... ich weiß doch nicht...«
»Ach, ich habe so schön geschlafen. Harro... und eine so ganz schlechte Nacht war es doch gar nicht...«
»Zuerst, ja...«
»Ach, Harro, ich bin so häßlich gegen dich gewesen, ich sagte, dein Arm sei hart.«
Er beugte sich über sie herab und küßte ihre blassen Lippen. »Dein alter Harro ist wieder einmal fast verzweifelt. Aber du bist doch getröstet worden, und nun ist's ja vorüber.«
Er strich über ihre Hände, in ihre Augen wagte er nicht zu sehen. Das kommt ja wieder, dachte er, es kann sie jetzt jeden Augenblick überfallen, ich kann mir denken, was es ist. Seine Augen glitten an ihr herab.
»Rose, deine goldenen Schuhe, deine Freudenschuhe, und was für eine liebliche seidene Pracht, das hab ich nun schon einige Zeit nicht mehr an dir gesehen.«
Sie errötete ein ganz klein wenig. »Die andern Kleider sind so schwer, sie drücken mich auf meine Knie... hier... und wenn dein Bild nun fertig ist, dann habe ich meine Freudenschuhe mit Recht angezogen.«
»Liebes Herz, wie sollte das fertig sein? Aber ich sehe schon, du bist hartnäckig... Märt!«
Und sie trugen sie in den Saal hinüber und stellten die schöne Sänfte vor dem Bilde auf. Harro stand dahinter und sein Herz klopfte ihm. »Was wird sie sagen?« Und dann sah er auf und es gab ihm fast einen Stoß. Stolz und geheimnisvoll lieblich sah ihn das blasse Antlitz unter dem Goldhaar und dem wehenden Schleier an. Er wartete nicht mehr auf das, was die Rose sagen würde. So mußte das Antlitz sein der geheimnisvollen Frau, von der ihre besten Freunde bis zu ihrem Tode nicht wußten, ob sie eine Hexe oder eine Heilige war.
Die Rose schwieg lange. Dann sagte sie: »Du hast sie doch gesehen, ich wußte es; doch wie du sie auffaßt. Aber du darfst das Gesicht nicht mehr berühren, in einer Viertelstunde hast du den Hintergrund vollendet: daß das Gesicht nicht so greifbar gemalt ist wie das meine, ein wenig schattenhafter, ist ja nur recht. Male, Harro, ich sehe dir zu.« Eine kurze Viertelstunde und er legte seinen Pinsel beiseite. »Meine Auffassung, was ist dir nicht recht daran, Rose?«
»Sie überrascht mich, ich dachte, du würdest doch am meisten ihre unsägliche Güte und Lieblichkeit sehen, denn sie hat dir doch nur Liebes getan... aber du siehst das Geheimnisvolle, Stolze, Königliche, das ist alles auch da. Das Gebietende... Aber ich verstehe, daß das deinem Bilde nottut. Du hast mich so weich gemacht... Ich finde nun gar nicht mehr, daß ich ihr so sehr ähnlich sehe. Es sind doch zwei recht ungleiche Schwestern. Lieber Harro, du mußt alle herbeirufen, daß sie dein Bild sehen. Das schönste Bild. Von jedem Glück der Welt habe ich nun ein Fädchen gefaßt... ach wie lange habe ich mir das gewünscht. Laß sie alle kommen, ich bitte dich. Meine Freudenschuhe, Harro!«
Er drückte auf die Klingel und schickte einen Diener herum.
Und sie kamen, eines nach dem andern, und Rosmarie empfing sie vor dem Bilde ihres Mannes strahlend und wie eine Königin. Von ihrer schlechten Nacht sah man ihr nur noch eine leichte Blässe an. Und die Augen waren schöner als je...
Von allen konnte sie wohl am besten das Kunstwerk als solches würdigen. Der Fürst sah nur seine holde Tochter in ihrer sanften Holdseligkeit, er faßte Harros Hand und drückte sie... Hans Friedrichs schöne Augen strahlten: »Harro, wie man das sieht, daß es ein Liedermund ist. Die Gisela – oh, der köstliche Liedermund!«
»Ich bin ganz unschuldig daran,« sagte Harro, »wie an allem... es wurde eben, es muß sich selbst gemalt haben, das Gesicht... Ulrike, du hast nichts gesagt... du bist mir auch deine Kritik schuldig. Hat die Rose dein steinernes Herz gerührt?«