Rosmaries Wange lehnte an seiner Hand... sie küßte seinen Ring und flüsterte: »Nun schlaf, Harro.«
»Kannst du das auch befehlen, Liebste?«
»Ich wollte, ich könnt'«. Nun will ich dich etwas lehren, Harro. Hör einmal. Es ist ein Lied. Friedlich und heiter... Es ist ein altes Lied, es lebt schon mehr als ein Jahrhundert.
Nun schläfet man.
Und wer nicht schlafen kann,
Der bete mit mir an
Den großen Namen,
Dem Tag und Nacht
Wird von der Himmelswacht
Preis, Lob und Ehr gebracht,
O Jesu, Amen...
Es leuchte dir Der Himmelslichter Zier.
Ich sei dein Sternlein, hier
Nun kehr ich ein,
Und dort zu funkeln.
Herr, rede du allein
Beim tiefsten Stillesein Zu mir im Dunkeln.«
Fünfundvierzigstes Kapitel.
Das schönste Bild
Friedrich stand vor einer Malvenstaude im Garten, die ihre dunkelrote Blumensäule gegen den blauen Himmel abhob. Eine ganze lange Reihe der stolzen Blumen begleitete den Weg und warf ihre spitzen Schatten auf den graugoldenen Sand. Grünlich weiß und brennend purpurrot und rosa waren die Blüten, die sich so fest mit den runden Gesichtern an den graugrünen Stamm drückten.
Harro legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es sind Bauernblumen, Hans, aber wir lieben sie sehr, die Rose und ich.«
»Sie kommen mir fürstlich und stolz vor,« sagte Hans. »Ja, sie prachtieren, stehen so schön die ganze Reihe entlang, als wären sie Herolde, wenn die Königin kommt.«
»Sie warten vergeblich, Hans. Sie kommt nicht mehr, die Königin:«
Der Künstler sah zu seinem Freund auf und rief: »O Harro, du hast wieder deine schönen Augen! Es geht dir besser.«
»Ich habe mich ausgetobt für eine Weile, aber man muß behutsam sein, daß die Höllenhunde nicht wieder los werden, so ganz zu trauen ist ihnen nicht. Du sollst auch zu Ihrer Durchlaucht kommen, – ich muß so höflich sein, wenn du so höflich bist. Es brennt ihr etwas auf dem Herzen. Laß es dir sagen und muckse nicht, wenn du mich vom Kopf bis zu den Füßen vergoldet präsentiert bekommst. Du mußt versuchen, gläubig zu lächeln und zu schwören, das Porträt wäre äußerst ähnlich. Sonst befriedigst du nicht. Übrigens bin ich gestern ein großer Narr gewesen. Ich mußte doch sehen, daß der Rose sehr viel an dem Lied liegt. Sie strahlte ja ganz auf, und wer müßte nicht dankbar sein, daß ihr eine so große Freude kommt. Zudem ist es auch eine Heuchelei, wenn wir so tun, als wäre sie durch unsere Verbotskünste vor Leiden zu bewahren, wenn mir doch wissen, daß sie hindurch muß.« Der Künstler ging hinein. Ach, heute am Morgen sah man wohl, wie zart sie geworden war. Aber ihre Augen waren herrlich, und die feine Farbe kam und ging auf ihrem Antlitz.
»Haben Sie auch gesehen, daß es meinem Mann heute ein wenig besser geht?« fragte sie ihn.
Er bestätigte es mit großem Nachdruck und versuchte ihr von dem heutigen Besuche zu erzählen, den er bei ihrem Vater machen werde, um ihm über das Chorwerk Bericht zu erstatten. Aber sie schien sich dafür nun gar nicht mehr zu interessieren und dann begann sie:
»Herr Friedrich, ich habe gestern vor Ihnen ein Wort gesagt, das mich sehr unglücklich macht. Ich bin ungeduldig und reizbar gewesen und habe eine sehr notwendige und liebevolle Ermahnung Harros mit einer häßlichen Kränkung erwidert.«
»Durchlaucht, Harros große Sorge um Sie hat ihn geleitet. Er wollte gewiß kein Freudenstörer sein, und man weiß ja nie vorher, wie eine Musik, die doch nicht ganz einfach ist, wie die meinige, auf zarte Nerven wirkt,« erwiderte Hans Friedrich seiner Instruktion gemäß.
»Sie haben recht, gewiß, und Harro ist immer so gütig und geduldig mit mir und nur für mich besorgt, deshalb war es doppelt häßlich von mir. Ich begreife mich gar nicht. Harro ist die Güte selbst gegen mich und die zarteste Rücksicht, und wenn er jetzt großen Kummer hat, so ist's auch nur um meinetwillen. Und dann kränke ich ihn ohne Ursache. So sieht meine Dankbarkeit aus. Ich schäme mich den ganzen Morgen, bitter schäme ich mich. Sie haben mich alle mit ihrer Liebe zu sehr verwöhnt. Mein Mann zuerst, dann mein Vater und die Leute.«
»Grämen Sie sich nicht mehr, Frau Gräfin, ich glaube gewiß, Harro hat es verwunden.«
»Oh, glauben Sie? Aber er wird vielleicht doch, wenn er etwas sagen muß, darauf warten, ob ich nicht wieder auffahre.«
Hans Friedrich ertrug seine Rolle nicht mehr länger. Die Königin demütigte sich in den Staub vor ihm... Er wurde ganz rot und rief: »Harro mußte doch fühlen, daß das Lied eine besondere Bedeutung für Sie hatte.« Aber er kam sehr schlecht an. »Gewiß fühlte er das, und gerade darum mußte er fürchten, es schade mir. Je öfter ich in den Spiegel sehe, je häßlicher bin ich.« Harro lehnte plötzlich an der offenen Tür: »Häßlich, wer ist häßlich?«
»Ich, Harro. Und ich hätte es so nötig, daß ich schöner würde. Ich will doch von dir gemalt sein. Es ist schlimm genug, wenn die Leute krank sind und jedermann mit ihnen Last und Kummer hat und dafür sind sie auch noch reizbar und ausfallend.«
»Ja,« meinte Harro ernsthaft, »es gibt schlimme Dornrosen.«
Über ihre Wangen liefen schnelle Tränen. »Es ist sehr traurig, daß es die gibt und sie sich zu ihren alten immer neue Dornen wachsen lassen. Sie zerstechen sich selbst damit am härtesten.«
Über Harros Gesicht zuckte es und er wandte sich an Hans Friedrich, der nun ganz blaß geworden war von den Tränen auf den Wangen der Königin und aussah, als ob er mitweinen möchte.
»Hänschen, hat sie meiner gekränkten Ehre nun genug getan? Du siehst ganz elend von unserem ehelichen Kriege aus.«
Hans Friedrich nickte: »Ja, lieber Harro, nur mit dem Unterschied gegen sonst, daß jeder sich selbst mit Vorwürfen überhäuft anstatt den andern Teil. Und Harro, du bist im Nachteil, so viel Schlimmes hast du nicht von dir gesagt wie Frau Königin von sich. Ich konnte es nur mit anhören, weil du mich vorher instruiert hattest.«
»Was, Verrat!« rief Harro, »jetzt hinaus, Verräter.«
Er marschierte mit ihm hinaus und sagte leise: »Es hat dich angegriffen, Hänschen, aber du mußtest auch dein Teil haben.« Und er streckte seine langen Arme aus. »Oh, von der Süßigkeit, der Süßigkeit, die sich so grämt um ein einziges ungeduldiges Wort in der langen, harten Zeit. Es war das einzige, Hans, und denk einmal, wie meine Schale wohl hinunterziehen mag, wenn es ans Leiden geht. Und Hänschen, der Fürst behält dich zum Diner; vergiß aber nicht, daß du uns heute abend das schönste Lied schuldig bist! Komme ja nicht zu spät!« Dann kehrte Harro wieder zurück und setzte sich neben seine Frau, nahm ihre Hand und sagte: »Ich verbiete jetzt übrigens, daß du die Rose noch länger quälst. Meine Rose. Sie muß jetzt getröstet werden und darf kein bitteres Tränensalz mehr auf ihre zarten Blätter bekommen.«
Rosmarie sah ihn an. »Du mußt mir nun doch einmal den Herrn Stiftsprediger kommen lassen, Harro. Ich muß mit ihm reden. Ich muß ihm beichten. Ich habe große Worte gebraucht und dann bin ich nachher so jämmerlich klein daneben.«
»Rose, wenn du noch länger an dem Wort von gestern hängen bleibst, was soll ich sagen? Und es ist krankhaft, Rose. Warum brauchst du einen fremden Menschen? Du weißt, ich lasse nicht sehr gerne jemand in meinen Rosengarten hineinsehen. Und auch noch in sein innerstes Heiligtum. Du weißt alles viel besser selbst. Hänschen, der darf schon über den Zaun sehen. Er tut es mit der nötigen