Er zuckte zusammen... »Ach, besser nicht zu wissen ...«
»Und die Rose?«
»Oh, sie kann nur beruhigt werden, wenn man ihr sagt, daß man es nie entdecken werde, wer es war.« »Hm, so, man macht sich aber doch seine Gedanken.«
»Leider,« brauste Harro auf, »das ist das dritte Wehe. Daß man sich die macht. – Aber ich laß dich hier stehen, Tante. So komm doch... Nach dem langen Weg!«
»Ha, du sollst nicht denken, daß du eine Pflegerin habest, die keine Kräfte mehr hat.«
»Darum, Tante Ulrike, komm, laß dich umarmen. Ich muß dir doch den Kuß von vorhin wieder zurückgeben.«
»Du warst lieb vorher, Harro, in deinem Leben warst du nicht so lieb, du bist eine Winterbirne, Harro. Wenn der Schnee fällt, erst dann werden sie reif. Daß du jetzt, wo ich erwarte, daß du stößest wie ein wilder Hirsch... Harro, ich weiß wie du getroffen bist – siehst du ein, daß du immer noch voraus hast? Harro, jetzt bist du erst ein ganzer Mann und kein überlebensgroßer, trotziger Bub wie bisher. Ich greife dir nie mehr in dein Haar. Ich unterstehe mich nicht mehr, Harro.«
»Versprich nicht zu viel, Tante Ulrike. Hoffentlich wirst du's wieder tun. Hoffentlich werden wir uns wieder haben... Tante Uli, zu der Schärpe ist noch ein Leibrock gekommen. Was sagst du dazu?«
»Trag ihn mit meinem Segen, mein Sohn, wenn du wieder einmal Herz genug dazu hast.«
»Tante Uli, der Doktor hat mir versprochen, die Rose werde wieder gesund; in was für Leibröcken wirst du mich da aufblühen sehen!«
»Wie sie vorher war?«
Er wandte sich um. Das konnte er ja nicht versprechen. »Aber wenn ich sie nur habe... Unser Glück, das lassen wir uns nicht nehmen. Das sagte sie auch gleich. O Tante Uli, du kennst, du kennst sie nicht, die Rose... Wie schön sie ist... Das schwere Leiden, ich kann noch gar nicht ertragen, davon zu hören. Die ganze Quälerei, die damit verbunden war ... Nicht ein Wort darüber... Keine Klage... Nur wie sie trösten kann. Ihre Geheimnisse holt sie heraus, ein Juwelenbüchschen nach dem andern und läßt mich hineinsehen ... Daß ich's schon mit der dummen Angst kriege, als ob sie uns zu schön würde. Nichts habe ich mehr gehaßt und verachtet als eine solche Angst, weißt du, wie sie manche Leute haben bei so schönen und lieben Kindern. Aber das ist ja natürlich, ein entsetzlicher Schrecken zittert noch nach...«
Ulrike erhob sich. »Kann ich die Rose sehen?«
»Da mußt du zuerst mit Schwester Johanna parlamentieren. Es wird nicht leicht gehen. Ich habe zu antichambrieren gelernt. So ziemlich das letzte, was ich mir zugetraut hätte. Dieses kleine, sanfte, blasse Frauenzimmer hat eine Gewalt.«
»Na, Harro, tröste dich,« sagte Tante Uli, wie sie mit ihm durch den Wintergarten ging. »Tröste dich, mein Jung, wenn die Tyrannis nicht nötig ist, so werfen wir sie hinaus. Ich kann das.«
Eine halbe Stunde später beugt sich Tante Ulrike über Rosmaries blasses Gesicht und küßt sie wie ein Hauch auf ihre Stirne, und dachte: »O du armer Harro ... deine andern Wehe, sie kommen auch noch...«
Am andern Morgen wankt ein blasser, grauer Alfred in Harros Atelier. »Erschrecken Sie nicht, ich bin freigesprochen, Harro. Herr Hofrat hat es gestattet. Ich bin keine Pestbeule mehr, und nun komme ich und bedanke mich.« Und dabei setzte er sich auf einen Stuhl und zog sein Taschentuch.
Harro legt die Hand auf seine Schulter. »Lieber Cousin, bauen Sie schon wieder am Wasser? Dürfen Sie wirklich herunterkommen?«
»Ja, ich darf. O Harro ... was habe ich ausgestanden! Jeden Morgen das heulende Elend, Harro, und in die Krankenschwester hab ich mich verliebt und würde sie gleich heiraten, wenn...«
»Nun, hat Sie Schwester Klara schon akzeptiert, Alfred?«
»Was denken Sie, Harro..., es war nur eine Phantasieblase, aber etwas Tröstliches muß der Mensch haben, man kann nicht von Hafergrütze und moralischen Vorsätzen leben. Die Vereinigung dünkt mir nicht angenehm. Ja und jetzt, Harro, möchte ich Ihnen nochmals danken und wieder hinübergehen.«
»Bilden Sie sich nichts ein, Alfred... Solche Gerippe entlasse ich nicht aus meinem Thorstein. Sie werden erst gefüttert und gebessert. Sie essen Hafergrütze und verschieben die moralischen Anwandlungen bis nachher. Moral und Hafergrütze ist zu viel für Ihre Konstitution. Meine liebe Tante Ulrike ist da. Ich werde Sie ihr anvertrauen. Seien Sie ganz beruhigt, auch was die moralischen Anwandlungen betrifft, werden Sie bei ihr in guter Hut sein... Ja, mein Sohn, sehen Sie sich Ihre zukünftige Pflegemutter an ... eben geht sie über den Hof, und das, was sie am Ohr führt, ist ein kleiner Thorsteiner, der gern Erdbeeren ißt, ehe sie im Wald reif sind.«
Alfred stand auf und schaute auf den Hof, dann setzte er sich nieder... »Eine sehr energische Dame, Ihre Frau Tante wohl... Aber ich fürchte, ich kann es nicht annehmen, Harro ... Sie haben ohnedies ...«
Harro lachte. »Zieren Sie sich nicht, Alfred, wenn Sie diesmal nicht in den Arm meiner Frau, sondern in den meiner Tante sinken... Wo wollen Sie übrigens hin? In Brauneck...«
»O Gott nein!« rief Alfred mit solchem Entsetzen, daß Harro erstaunte. »Niemals wieder. Ich könnte nicht... meine Nerven hielten es nicht aus. Es spukt in Brauneck. Entsetzlich spukt's. Dreimal hatte ich mein Schlafzimmer gewechselt. Es tappt in den Gängen, es seufzt. Es knarrt auf den Treppen, die Galerien zieht es auf und ab. Ich habe einmal deutlich zehn Leute hintereinander den Prinzessinnengang hinuntergehen hören. Meinen Sie nicht, ich habe etwa nur die Decke über die Ohren gezogen, – nein, ich habe das Licht angeknipst und bin herausgegangen... in den Gang, blitzschnell... alles taghell und leer... Nur die Bilder zwinkerten. Ich drehe aus und gehe wieder hinein. Oh, die sind nur auf der Stelle stehen geblieben, wo sie standen, als das Licht kam, und gehen nun weiter. Schwere Füße, leichte Füße.«
»Oho, Sie hatten auch schon vorher Temperatur!«
»So geseufzt haben sie, und auf und ab sind sie gestrichen.« »Nun, das finde ich sehr schön von ihnen, daß die so Anteil nahmen. Das letzte Kind von Brauneck, die Rose von Brauneck. Es wird nicht so schnell vorangehen, wie wir gehofft haben, Alfred. Das hat mir meine Tante heute klar zu machen versucht.«
Alfreds Kopf sank wieder herunter... in das Atelier schoß wie ein dunkler Pfeil eine Schwalbe herein und kreiste eine Weile an der Decke. Harro sah zu ihr auf... sie möchte bauen da innen, jeden Tag versucht sie es wieder... »Geh hinaus, du weißt ja nicht, wo du hingehörst, nicht hier, nicht dort.« Und er verjagte das Tier mit seiner Palette.
Tante Ulrike übernahm also zuerst den neuen Pflegling und sorgte für seine Kräftigung, und an Püffen zur Stärkung des schwachen moralischen Rückgrates ließ sie es auch nicht fehlen. Zu andern Zeiten wäre des schönen Alfreds Aufenthalt unter diesem Tantenzepter ein sehr abgekürzter gewesen, aber jetzt war er noch so matt und er hatte doch eine so nachdenkliche Zeit in der alleinigen Gesellschaft der Schwester Klara erlebt, daß er sich wenigstens vorderhand demütig unter Tante Ulrikens Regenschirm beugte.
Rosmarie bekam er nicht einmal zu sehen, er fürchtete sich auch vor ihrem Anblick. Sie war ein so wunderschöner Mai gewesen, nun die gleiche Landschaft nach einem Hagelwetter. Nein, sein Herz zog sich ganz schmerzhaft zusammen. Einstweilen machte er sich als Hüter des kleinen Heinz nützlich. Sehr nützlich sogar, denn da er sich doch nicht so weit tyrannisieren ließ, wie die Babette, so war es für den kleinen Herrn ein Vorteil.
Schwester Johannas Tage gingen zu Ende, und Tante Ulrike hatte ihr scharf auf die Finger gesehen, ihr abgelernt, was zu lernen war, und hatte sich ihre Gedanken darüber gemacht. Rosmarie fürchtete sich nicht vor Tante Ulis strengen Augen und ihrer feierlichen Gestalt. Wenn Tante Ulis Augen auf sie herabschauten, dann wurde der stählerne Blick weich... etwas Scheues, Warmes glänzte in ihnen auf... ihre schlanken, knochigen Hände faßten so weich an, und es ruhte sich sehr gut neben ihrer dunklen, ruhigen Gestalt.
Und der Hofrat verschrieb ja immer noch Ruhe und wieder Ruhe. Dasselbe, was er auch der Fürstin in Brauneck bei seinen täglichen Besuchen ans Herz legte. So verschieden die beiden Frauen waren, so verschieden