An die Getreuen im Schwabenland aber ließ das neugebackene Brautpaar folgendes Telegramm los:
»Doktors Neschthäkche ischt Braut –
Wem wird’s halt wohl angetraut?
Knackt die Nuß und ratet fein –
Ischt es auch ein ›harter Stein‹!«
»O Gott, der arme Neumann, das überlebt der nicht!« lachte Annemarie und machte Karpfenaugen, die noch melancholischer dreinschauten als die des biederen Schwaben.
»Neschthäkche, wenn’sch halt so garschtig bischt, heirat’ i di nimmer!« Rudi kopierte getreu die Sprache des Tübinger Freundes. Annemaries Übermut wirkte ansteckend.
Mit verlegen neugierigen Gesichtern umstanden die Kränzchenschwestern die erste Braut aus ihrem Kreise. Natürlich mußten sie gleich Brüderschaft mit Rudi trinken – anders tat es Nesthäkchen nicht.
Eine kam, vor der Annemarie kein ganz reines Gewissen hatte. Das war Ola. Als sie Annemarie liebevoll in die Arme schloß: »Weil’s halt gar so ein lieb’ Mädle bist, soll’s dir nit nachgetragen sein, daß du mir den Rudi abspenstig machst. Grad jetzt, wo ich endlich eine Wohnung in Lichterfelde erwischt hab’«, da meinte Annemarie kleinlaut, wie das sonst gar nicht ihre Art war: »Ich kann nichts dafür, Ola, ich wollte dir den Rudi nicht nehmen, aber – vielleicht findest du einen Stellvertreter für die Wohnung«, setzte sie gleich wieder mutwillig hinzu.
Ola wurde rot und wandte sich schnell zum Balkon. Rudi jedoch rief: »Wegen der Wohnung laß dir nimmer graue Haare wachsen, Ola. Die übernehmen wir – spätestens im September ist Hochzeit! Denn eigentlich sind wir doch schon ein uraltes Brautpaar.«
»Da erhebe ich als angehender preußischer Assessor kraft meines Amtes ganz energisch Einspruch, um die Rechte des Fräulein Ola Hartenstein zu wahren. Sie hat die Wohnung ausfindig gemacht, sie allein hat das Verfügungsrecht darüber«, verkündete Hans.
»Und ich weiß ja auch gar nicht, ob mich Hanne zum September schon aus der Lehre entläßt«, wandte Annemarie noch lachend ein.
Hanne war es ernst mit dem Versprechen, das sie dem jungen Herrn Doktor gegeben hatte. Sie nahm Nesthäkchen tüchtig heran. Da war kein Stück Braten, das Annemarie nicht selbst aufsetzen, keine Gans und kein Fisch, die sie nicht anatomisch bei Hanne sezieren lernte. Wenn der Küchenlehrling mal vor einer Arbeit scheute und meinte, er kriege es nicht übers Herz, dem Karpfen die Eingeweide herauszunehmen, weil dieser sie gar zu sehr an Freund Neumann erinnere, meinte Hanne kurz angebunden: »Ach wat, hast ja Menschen zerschneiden wollen, da wirste doch mit so’n Biest keine Umstände nich machen.«
Annemarie lernte was. Mit aller Energie ging sie daran, ihre hauswirtschaftlichen Lücken auszufüllen. Denn ein junger Arzt muß eine tüchtige sparsame Frau haben. Der kann sich nicht gleich eine »Perfekte« halten.
Freilich kam es dabei auch vor, daß Hans und Klaus Gesichter schnitten, weil die Kartoffeln angebrannt waren, und daß sie der Schwester rieten, beim Kochen doch lieber eine Eisblase aufs Herz zu legen. Daß die Suppe ständig versalzen war, darin mußte man sich fügen, Annemarie schien den Salzverbrauch als Gradmesser ihrer Liebe zu betrachten. Als aber der erste goldbraungebackene Eierkuchen, den Nesthäkchen kunstgerecht wie Hanne in der Pfanne herumwerfen wollte, statt in die Pfanne, ins Feuer flog, und es selbst dem gerade zur Tür hereinlugenden Rudi an den Hals, da machte Hanne kurzen Prozeß.
»Herrenbesuch kann ich in meine Küche nich jebrauchen. Det is nich Sitte hier bei uns, daß der Schatz in de Küche kommen derf.« Damit komplimentierte sie den jungen Herrn Doktor einfach zur Tür hinaus. Und die Eierkuchen gerieten jetzt.
Minna saß vergraben unter Bergen von Weißzeug. Die Nähmaschine rasselte von morgens bis abends. Denn Frau Doktor vertrat noch den alten Standpunkt, daß selbstgenähte Wäsche besser hält als fertig gekaufte.
Am 30. September sollte die Hochzeit sein. O Gott, was gab es bis dahin noch alles zu besorgen. Nesthäkchen schwirrte der hübsche Kopf, wenn es an all die Handtücher und Servietten, das Glas, Porzellan, Kronen und die Möbelzeichnungen, die Rudi des Abends mit ihr studierte, dachte. Es träumte von Fleischmaschine und Scheuerbürsten und erklärte ihrem Verlobten: »Wenn ich gewußt hätte, daß Heiraten solch eine Wirtschaft macht, hätte ich’s mir doch dreimal überlegt.«
Die Berge Wäsche in dem Schrankzimmer bei Doktor Brauns häuften sich. Der 30. September rückte heran. Trotzdem Frau Doktor behauptete, daß sie schon gar nicht mehr wisse, wo ihr der Kopf stehe, und trotzdem ihr Mann in dem Chaos von neuen Wirtschaftsgeräten resigniert zu Annemarie meinte: »Ruhe wird nicht eher, als bis du, Schlingel, aus dem Hause bist«, sahen beide Eltern mit Schrecken einen Tag nach dem andern entschwinden. Und die letzten Tage liefen ganz besonders schnell. Als wollten sie die Eltern gar nicht zur Besinnung kommen lassen, daß ihnen ihr Nesthäkchen genommen werden sollte.
Und schließlich kam doch der Tag, wo Großmama ihr silbergraues Damastkleid aus den Tiefen des Schrankes und der Vergessenheit hervorzog, und Tante Albertinchen das Lilaseidene. Wo Hanne sich die strähnigen Haare mit der Tollschere kreppte, und der Portier Kulicke die roten fadenscheinigen Treppenläufer aus dem vierten Stockwerk zur Bewunderung sämtlicher Kellerkinder der Umgegend durch den Hausflur bis auf den Damm legte.
Die Straße stand kopf. »Doktors Nesthäkchen macht Hochzeit!« – wo zwei sich trafen, wurde dieser wichtige Gesprächsstoff erörtert. Aus den Fenstern lagen sie, auf den Kellertreppen hockten sie, auf dem Balkon klebten sie wie die Spatzen, vor dem Hause hatte sich sogar regelrechtes Spalier gebildet. Alles, was in der Straße geboren war, was der Herr Doktor an Masern und Keuchhusten behandelt hatte, stand da schaulustig und erwartungsvoll, um Doktors Nesthäkchen als Braut zu bewundern. Kulicke wie ein Polizist, die Aufgeregten in Ordnung haltend.
Sie mußten sich lange gedulden, die Zuschauer. Nesthäkchen ließ mal wieder auf sich warten. Der Wagen mit Herrn und Frau Doktor, die so feierlich bewegte Gesichter machten, und den beiden jungen Herren, die ihre Hände in neue weiße Lederhandschuhe einzwängten, war bereits davongerollt. Das Brautauto mit den hellen Polstern stand zur Bewunderung sämtlicher Kinder bereits seit einer Viertelstunde vor der Tür. Der Bräutigam, ein schlanker Herr mit einem Riesenstrauß weißer Rosen, hatte durch das Kreuzfeuer sämtlicher neugierigen Blicke Spießruten laufen müssen.
Wo blieben sie denn bloß? Das Publikum wurde ungeduldig. Doktors Nesthäkchen versäumte sicher seine eigene Trauung.
Da plötzlich kam Leben in die der Haustür am nächsten Stehenden. Man reckte die Köpfe. Kulicke lief aufgeregt und zwecklos hin und her.
Hundegebell – Puck als Vorläufer. Er raste wie besessen einmal über die roten Läufer und wieder zurück. Als wisse er, daß Doktors Nesthäkchen soeben von ihrem weißen Mädchenzimmer droben für immer Abschied genommen.
»Sie kommen!« Von einem zum andern pflanzte es sich fort. Die beiderseitige lebendige Mauer war ganz Spannung, ganz Erwartung. Ob es wohl sehr gerührt war, Doktors Nesthäkchen?
Weiße Seide floß wie Silberwellen über den roten Teppich. Ein liebreizendes, höchst fideles Mädchenantlitz, von Schleiertüll umwogt, ward unter dem sich durch das Goldhaar windenden Myrtengerank sichtbar.
»Hundetöle – willste wohl von meiner Schleppe runter!« Unter diesen an den sich wie sinnlos gebärdenden Puck gerichteten Worten bestieg Doktors Nesthäkchen mit strahlendem Gesicht das Brautauto.
Fort rollte es, der unweit gelegenen Gedächtniskirche zu. Dort war alles längst versammelt – nur das Brautpaar fehlte. Mutters Augen wurden von Minute zu Minute unruhiger, wo denn bloß ihre Lotte blieb. Vater zog die Uhr. Großmama ahnte ein Unglück. Und Tante Albertinchen drehte den Kopf so aufgeregt hin und her, daß all die schöngewickelten Löckchen sie wie eine weiße Löwenmähne umflatterten. Am wenigsten machten sich noch die Brautjungfern über das Ausbleiben des jungen Paares Gedanken. Die Kränzchenschwestern kannten Nesthäkchens Unpünktlichkeit noch von der Schulzeit her.
Aber schließlich begann doch die Orgel brausend zu singen, und Tante Albertinchens echtes Spitzentaschentuch konnte endlich in Aktion treten.