STIMMEN:
Die Posaune… die Posaune… Gott ruft uns… der Tag ist angebrochen… der Tag unserer Prüfung… die Sonne nahet Jerusalem… rüstet die Tiere… rüstet die Herzen… Gott ruft uns… wir kommen, wir kommen… Auszug… Auszug… oh Einkehr und Wiederkehr… Jerusalem… Jerusalem!
JEREMIAS (gewaltig auf der Höhe der Stufen aufgerichtet. Alle um ihn sind zurückgetreten, so daß er, einsam auf der Höhe, noch gewaltiger scheint. Seine Arme sind erhoben, seine Stimme bebend in Überraschung):
Auf, ihr Verstoßenen,
Auf, ihr Besiegten,
Rüstet zur Reise!
Wandervolk, Gottesvolk, welterwähltes,
Hebe dein Herz!
(DIE MENGE gerät in gewaltige Bewegung.)
JEREMIAS (zur Stadt hingewandt):
Zum letztenmal glänzen
Jerusalems Zinnen
In eure Tränen,
Leuchtet euch Höhe
Des heiligen Bergs!
Einmal noch hebet
Brennende Blicke,
Trinket der Heimat
Verlorenes Bild!
Trinket die Zinnen,
Trinket die Mauern,
Trinket die Türme
Der ewigen Stadt,
Trinket das Dürsten,
Sie wieder zu schauen,
Trinket, oh trinket Jerusalem!
STIMMEN:
Glüh ein in uns, daß wir entbrennen… wie könnt ich dich vergessen, Bild der Bilder… möge darren meine Rechte, wenn ich dein vergäße, Jerusalem… oh, Heimat unserer Herzen… Zion, Zion, du heilige Stadt!
JEREMIAS:
Einmal noch beuget
Fromm euch der Erde,
Einmal noch rühret
Die Grube der Väter
Fürchtiger Hand!
Erde, oh Erde, die ich verlasse,
Du blutgetränkte,
Du tränenversengte,
Sehet, ich fasse
Sie fromm mit liebenden Händen an.
Erde, Erde, ich schlinge dich,
Erde, Erde, durchdringe mich!
Bitteren Kloß
Würg ich die schluchzende Kehle hinab,
Doch deine Bitternis innen im Leibe
Entbrenne mir Seele und Eingeweide,
Daß ich ewig deiner gedenke,
Ewig deiner teilhaftig werde!
Erde, du heilige Vätererde,
Schenke
Mir ewig Begehren und ewigen Brand,
Ewigen Hunger und Heimverlangen
Nach Zion, unserm verlorenen Land!
DIE MENGE (sich niederwerfend und wie Jeremias von der Erde einen Kloß schlingend):
Oh, teure Erde, Scholle der Väter… dring ein in mich… würg meine Seele, wie ich dich würge… oh, verloren Land… Sarg meiner Väter… oh, dich lassen… Erde, Erde, du heilige Erde…
JEREMIAS (sich erhebend):
Doch nun du gespeiset
Bittere Sehnsucht,
Doch nun du getrunken
Brennendes Bild,
Wandervolk, Gottesvolk, hebe dich auf!
Lasset die Toten,
Sie haben den Frieden,
Lasset die Mauern,
Sie stehen nicht auf,
Du doch erstehest
Ewig und ewig
Aus deinen Tiefen
In deinem Gott.
Auf,
Wandervolk, Gottesvolk, rüste zur Reise,
Blick in die Ferne,
Blick nicht zurück!
Die verweilen,
Haben die Heimat,
Doch die wandern,
Haben die Welt!
Auf, ihr Gebeugten,
Auf, ihr Besiegten,
Hebet die Stirnen
Über die Nöte
Wider die ewigen Morgenröten
Und der Gestirne
Wanderndes Zelt.
Gott hat die Straßen,
Die ihr beschreitet,
Wissend bereitet,
Wandervolk, Gottesvolk, auf in die Welt!
(DIE MENGE rüstet ringsum zur Wanderung, Getümmel der Menschen und Tragtiere, erregte, eifernde Bewegung.) EINER (vortretend):
Doch sage, du Führer, dulde die zage Klagende Frage,
Werden die Tale uns wieder gehören,
Wird einstens Israel wiederkehren,
Sag, schauen wir wieder Jerusalem?
STIMMEN:
Ja… sage… künde, verkünde… schauen wir wieder Jerusalem?
JEREMIAS:
Ewig wird inwendig es schauen,
Wes Seele nicht Knecht seiner Knechtschaft ist,
Und mit dem Maß seines Gottvertrauens
Die Tiefe allirdischen Leidens durchmißt.
Ihm glänzet urmächtig, am innersten Grunde
Des Herzens Zion zu jeglicher Stunde,
Schöner als wir es vordem gekannt,
Jede Fremde wird ihm das Gottesland!
Oh, wer vertrauet, dem ist es erbauet,
Wer glaubt, schaut immer Jerusalem!
STIMMEN:
Wir glauben… wir glauben… ewig werden wir es schauen… Der Glaube ist unser Jerusalem!
EIN ANDERER (vortretend):
Doch sage, du Führer, wer wird es uns bauen?
JEREMIAS:
Die Inbrunst des Sehnens, die Nacht unsrer Kerker,
Und das Leiden, das euch gelehrigt hat,
Ihr selber werdet die heiligen Werker,
Umschafft ihr die Seelen zur seligen Stadt.
Aus euern Trauern erhebet die Mauern,
Und je tiefer die Völker euch niederbeugen,
Um so höher werden sie gottwärts aufsteigen,
Um so schöner erstehet Jerusalem!
STIMMEN:
Ja, laßt es uns bauen… das Senkblei niederwerfen in unsere Leiden… laßt uns die Steine bebauen unseres Schmerzes… zu Gott