Jeremias!
JEREMIAS:
Was war heller, als deine Stirne,
Du Burg Jakobs,
Du Kronstadt Davids,
Du Zelt Salomos,
Gottes Kleinod und heiliges Haus?
Wer konnte dich künden, wer durfte dich rühmen?
Die Psalter ward müde, die Zimbel zu leise,
Von Morgen bis Abend dich heilig zu preisen.
Völker pilgerten her, dich zu schauen,
Und wer dich schaute, dem frohlockte das Herz!
ZEDEKIA:
Du rasest, Jeremias! Wach auf! Wach auf!
JEREMIAS:
Doch wie still bist du nun, du Schöne, geworden,
Wo ist dein Leuchten, wohin dein Gefunkel?
Nicht mehr flüstern
Die Stimmen des Bräutigams und der Braut,
Weithin verscholl das Wogen des Marktes,
Das Tönen der Freude,
Flötenklang und der Jungfraun Gesang!
Weh! Ein Würger ist über dich kommen,
Ein arger Vollstrecker von Mitternacht.
Eitel Wüstung sind deine Straßen,
Dornen wachsen in Marmelgemächern
Und Nesseln in deines Königs Palast.
Weh! Gesunken sind all deine Mauern,
Geborsten die Türme und schmählich zerstoßen
Das ewige Herz deines Heiligtums.
ZEDEKIA:
Du lügst, Verfluchter! Hoch und heil sind Jerusalems Mauern!
JEREMIAS (immer frenetischer):
Alles Haupt ist geschoren,
Aller Bart ist geschnitten,
In Säcken gehen die Mütter und reißen
Mit Nägeln sich rot das Fleisch von den Wangen:
Wo sind meine Söhne? Wo sind meine Töchter?
Doch wehe! Es liegen wie Kot in den Gassen
Die Leichen der Knaben, erwürgt von den Knechten,
Die Frauen, erdrosselt im Strang ihrer Haare,
Die Schwangern zerhaun mitsamt ihrer Frucht.
Schon ekeln die Raben sich vor ihrer Fülle,
Und die Schakale der Wüste sind satt.
ZEDEKIA:
Schweig still! Schweig still! Du lügst!
JEREMIAS:
Was hilft es zu flüchten in die Geklüfte,
In brennenden Steinriß, in tiefes Gestrüpp?
Sie jagen dir nach mit Rossen und Meuten,
Sie treiben dich aus mit Räuchern und Bränden,
Sie fassen dich an und fassen dich doch!
Sie treiben das Volk mit dem Stecken des Treibers,
Sie schwächen die Frauen, sie schlagen die Greise,
Die Tochter des Königs wird Magd seiner Mägde
Und Sklave der Sklaven der rechtliche Mann.
ZEDEKIA:
Kein Wort mehr, du Lügner, bei meinem Zorn!
JEREMIAS (aufklagend):
Oh, Jerusalem, Jungfrau und Gotteskind,
Geschmäht und geschwächt vom Hohne der Heiden,
Oh wehe, daß ich dich so schauen muß!
Alle deine Neider sind voll jetzt des Lachens,
Sie blecken die Zähne und lachen betulich:
»Ei, wie haben wir diese erniedrigt,
Wie ward willfährig die Stolze, die Schöne!
Das ist der Tag, des wir haben begehret,
Wir habens erlanget,
Wir habens erlebt!«
ZEDEKIA (zitternd vor Zorn auf ihn, mit geballten Fäusten):
Schweige, du Lügner! Ich kann es nicht hören! Du lügst! Du lügst!
JEREMIAS:
Oh, Jerusalem, heilige Gottesstadt,
Wiege der Völker und Kleinod der Welt.
Wer wird dich rühmen, wer findet dich?
Eine Sage der Zeiten bist du geworden,
Fabel und Sprichwort unter den Völkern,
Oh, ich sehe…
ZEDEKIA:
Nichts wirst du sehen, du Rasender du!
JEREMIAS:
Ich sehe dein Leid, ich seh deinen Tod,
Ich sehe…
ZEDEKIA (ihn wild anfassend und rüttelnd, in höchstem Zorn):
Nichts wirst du sehen! Ich lasse dich blenden!
JEREMIAS (wie in einem fürchterlichen Erwachen ihn anstarrend. Dann plötzlich grell auflachend, in vorbrechender Ekstase):
Mich?!
Du mich blenden, du Ruchloser!? Nein!
Anders hat Gottes Entschluß bestimmt!
Wohl wird einer geblendet sein,
Ehe der Tag noch sein Ende nimmt,
Doch jener, der längst schon verblendet war,
Als sein Auge noch blickte und sah: –
Höre mich, König Zedekia!
(ZEDEKIA hat ihn losgelassen und starrt ihn erschrocken an.)
JEREMIAS (mit beiden Fäusten auf ihn zu):
Dich
Werden sie fassen, des Königs Knechte
Im Hause Gottes, das du verstört,
Sie reißen die Rechte
Dir los vom Altar,
Daran sie zur Hilfe verklammert war!
Du willst dich wehren, sie brechen dein Schwert,
Umtun deine Arme mit eisernen Flechten
Und schleppen
Und schleifen dich über die Treppen,
Wie ein Opfertier mit Peitschen und Schlägen
Jenem entgegen,
Dessen Hand du verstoßen, dessen Joch du zerbrochen
Und der dir ein feuriges Urteil gesprochen!
(ZEDEKIA ist zurückgefahren und hebt wie abwehrend die Hände.)
JEREMIAS:
In die Knie
Knicken sie dich und stoßen dich sie,
Ein Feuer loht knisternd auf rundem Stein,
Vier Hände halten den Blendstahl hinein.
Heiß
Frißt die Hitze
Vom schwarzen Griff sich auf in die Spitze.
Sie glüht! Sie flammt! Sie wird rot! Sie wird weiß!
Und dann
Fassen dich rauh ihre Fäuste an,
Zischend und rauchend
Tauchen