Erschütterndes Schauspiel: Casanova rüstet ab, der alte Held unzähliger Liebesschlachten, er wird vorsichtig und bescheiden, der göttliche Frechling und verwegene Spielmensch; ganz leise, ganz drückerisch und still tritt der große commediante in fortuna von der Bühne seiner Erfolge. Er legt die prunkvollen Kleider ab, »die meiner Lage nicht mehr entsprachen«, legt mit Ringen und Diamantschnallen und Dosen auch seinen herrlichen Hochmut ab, wirft seine Philosophie wie eine gestochene Karte unter den Tisch, beugt alternd den Nacken vor dem ehern unerbittlichen Gesetz des Lebens, demzufolge verblühte Dirnen zu Kupplerinnen, Spieler zu Falschspielern, Abenteurer zu Tellerleckern werden müssen. Seit ihm das Blut nicht mehr so warm im Leib umrollt, beginnt der alte Citoyen du monde plötzlich zu frieren inmitten seiner einst so geliebten Weltunendlichkeit und sich ganz sentimental nach Heimat zu sehnen. So senkt der ehemalige Stolze – armer Casanova, der nicht edel zu enden wußte! – reumütig das schuldige Haupt und bittet das venezianische Governo kläglich um Verzeihung: er schreibt speichelleckerische Berichte an die Inquisitoren, verfaßt ein patriotisches Libell, eine »refutatione« der Angriffe auf die venezianische Regierung, in der er sich nicht zu schreiben schämt, die Bleidächer, in denen er geschmachtet, seien »Räume mit guter Luft« und geradezu ein Paradies der Humanität. Von diesen traurigsten Episoden seines Lebens steht nichts mehr in den Memoiren: sie enden vorzeitig und erzählen nicht mehr die Jahre der Schande. Er tritt ins Dunkel zurück, vielleicht, um ein Erröten zu verbergen, und fast freut man sich dessen, denn wie traurig parodiert dieser ausgebälgte Hahn, dieser ausgesungene Sänger den sieghaft Frohen, den wir so lange beneidet!
Und dann schleicht ein paar Jahre lang über die Merceria ein dicker sanguinischer Herr, nicht sehr edelmännisch gekleidet, horcht emsig, was die Venezianer reden, setzt sich in die Weinschänken, um die Verdächtigen zu beobachten, und skribelt abends langwierige Spionenberichte an die Inquisitoren. Angelo Pratolini sind diese unsauberen Informationen unterschrieben. Deckname eines begnadigten Lockspitzels und betulichen Spiönchens, das für ein paar Goldstücke fremde Menschen in dieselben Gefängnisse bringt, die er selbst in seiner Jugend gekannt und deren Schilderung ihn berühmt gemacht. Ja, aus dem schabrackenhaft aufgeputzten Chevalier de Seingalt, dem Liebling der Frauen, aus Casanova, dem funkelnden Verführer, ist Angelo Pratolini geworden, der nackte niedrige Angeber und Schuft; die einst diamantberingten Hände wühlen in schmutzigen Geschäften und spritzen Tintengift und -galle nach rechts und links, bis sogar Venedig sich des quengelnden Querulanten mit einem Fußtritt entledigt. Die Nachrichten schweigen über die nächsten Jahre, und niemand weiß, auf welchen traurigen Wegen dann noch das halb kaputte Wrack gefahren ist, ehe es endgültig in Böhmen scheitert; man weiß nur, noch einmal zigeunert der alte Abenteurer durch Europa, balzt vor den Aristokraten, scharwenzelt um die Reichen, versucht seine alten Künste: Falschspiel, Kabbala und Kuppelei. Aber die fördernden Götter seiner Jugend, Frechheit und Zuversicht, haben ihn verlassen, die Frauen lachen ihm höhnisch in die Runzeln hinein, er bringt es nicht mehr hoch, er fristet und frettet sich mühsam durch, Sekretär (und wahrscheinlich wieder Spion) beim Gesandten in Wien, kläglicher Skribler, unnützer, unerwünschter und von der Polizei immer bald wieder hinauskomplimentierter Gast aller europäischen Städte. In Wien will er schließlich eine Grabennymphe heiraten, um durch ihren einträglichen Beruf einigermaßen gesichert zu sein; auch dies mißlingt ihm. Schließlich liest der steinreiche Graf Waldstein, ein Adept in den geheimen Wissenschaften, den
»poète errant de rivage en rivage Triste jouet des flots et rebut de naufrage«
an einer Tafel in Paris, wo er sich einschmarotzt hat, mitleidig auf, findet Spaß an dem gesprächigen, abgetakelten, aber immer noch amüsanten Zyniker und nimmt ihn Gnaden halber als Bibliothekar, alias Hofnarr, nach Dux mit; tausend Gulden Jahresgehalt, freilich immer schon von den Gläubigern vorgepfändet, kaufen dies Kuriosum, ohne es zu überzahlen. Und dort in Dux lebt oder, besser gesagt, stirbt er dreizehn Jahre lang.
In Dux taucht plötzlich seine Gestalt aus jahrelanger Verschattung, Casanova oder vielmehr etwas, was an Casanova vage erinnert, seine Mumie, eingetrocknet, dürr, spitz, nur durch die eigene Galle noch konserviert, ein sonderbares Museumsstück, das der Herr Graf gern seinen Gästen präsentiert. Ein ausgebrannter Krater, meinen sie, ein amüsantes, ungefährliches, durch seine südländische Cholerik possierliches Männchen, das in dem böhmischen Vogelbauer langsam an Langeweile zugrunde geht. Aber noch einmal narrt der alte Betrüger die Welt. Denn während sie alle schon glauben, er sei abgetan und bloß Anwärter auf Kirchhof und Sarg, baut er aus Erinnerung noch einmal sein Leben und abenteuert sich listig hinein in die Unsterblichkeit.
Bildnis des alten Casanova
Altera nunc rerum facies, me quaero, nec adsum, Non sum, qui fueram, non putor esse: fui.
Unterschrift seines Altersbildnisses
1797, 1798 – der blutige Besen der Revolution hat Kehraus gemacht mit dem galanten