Wenn wir auf eine äußerst frühe Zeit zurückblicken, ehe der Mensch die Würde der Menschlichkeit erreicht hat, so sehen wir, daß er mehr durch Instinct und weniger durch Vernunft geleitet worden sein wird als die Wilden zur jetzigen Zeit. Unsere frühen halbmenschlichen Vorfahren werden den Gebrauch des Kindermords nicht ausgeübt haben; denn die Instincte der niederen Thiere sind nie so verkehrt,120 daß sie dieselben regelmäßig zur Zerstörung ihrer eigenen Nachkommenschaft führten, oder daß sie völlig frei von Eifersucht wären. Es wird auch keine kluge Zurückhaltung vom Heirathen stattgefunden haben und die Geschlechter werden sich im frühen Alter reichlich verbunden haben. Daher wird zur Zeit der Urerzeuger des Menschen deren Zahl zu einer rapiden Zunahme geneigt gewesen sein, aber Hindernisse irgendwelcher Art, entweder periodische oder beständige müssen dieselbe niedrig gehalten haben und zwar selbst noch stärker als bei den jetzt lebenden Wilden. Was die genaue Beschaffenheit dieser Hindernisse gewesen sein mag, können wir ebensowenig für unsere Vorfahren wie für die meisten andern Thiere sagen. Wir wissen, daß Pferde und Rinder, welche keine sehr stark fruchtbaren Thiere sind, sich, seit sie zuerst in Süd-Amerika dem Verwildern überlassen wurden, in einem enormen Verhältnis vermehrt haben. Das Thier, bei welchem die Entwicklung die meiste Zeit erfordert, nämlich der Elephant, würde in wenigen tausend Jahren die ganze Erde bevölkern. Die Zunahme jeder Species von Affen muß durch irgendwelches Mittel gehindert worden sein, aber nicht, wie Brehm bemerkt, durch die Angriffe von Raubthieren. Niemand wird annehmen, daß das factische Reproductionsvermögen der wilden Pferde und Rinder in Amerika anfangs in irgend einem merkbaren Grade vermehrt gewesen wäre, oder daß dieses Vermögen jedesmal, nachdem ein Bezirk vollständig bevölkert war, wieder abgenommen hätte. Ohne Zweifel wirken in diesem Falle, wie in allen andern, viele Hindernisse zusammen und verschiedene Hindernisse unter verschiedenen Umständen. Zeiten periodischen Mangels, die von ungünstigen Jahreszeiten abhängen, sind wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen, und dasselbe wird bei den frühesten Erzeugern des Menschen der Fall gewesen sein.
Natürliche Zuchtwahl. – Wir haben nun gesehen, daß der Mensch an Körper und Geist variabel ist und daß die Abänderungen entweder direct oder indirect durch dieselben allgemeinen Ursachen veranlaßt werden und denselben allgemeinen Gesetzen folgen, wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich weit über die Oberfläche der Erde verbreitet und muß während seiner unaufhörlichen Wanderungen121 den verschiedenartigsten Bedingungen ausgesetzt gewesen sein. Die Einwohner des Feuerlandes, des Caps der guten Hoffnung und Tasmaniens in der einen Hemisphäre und der arctischen Gegenden in der andern müssen durch verschiedene Klimate hindurchgegangen sein und ihre Lebensweise viele Male verändert haben, ehe sie ihre jetzigen Wohnstätten erreichten.122 Die frühen Urerzeuger des Menschen müssen auch wie alle andern Thiere die Neigung gehabt haben, über das Maß ihrer Subsistenzmittel hinaus sich zu vermehren; sie müssen daher gelegentlich einem Kampfe um die Existenz ausgesetzt gewesen und in Folge dessen dem starren Gesetze der natürlichen Zuchtwahl unterlegen sein. Wohlthätige Abänderungen aller Arten werden daher entweder gelegentlich oder gewöhnlich erhalten, schädliche beseitigt worden sein. Ich beziehe mich hierbei nicht auf stark markierte Abweichungen des Baues, welche nur in langen Zeitintervallen auftreten, sondern auf lediglich individuelle Verschiedenheiten. Wir wissen z. B., daß die Muskeln unserer Hände und Füße, welche unser Bewegungsvermögen bestimmen, wie die der niederen Thiere,123 unaufhörlicher Variabilität unterliegen. Wenn nun die Urerzeuger des Menschen, welche irgend einen District, besonders einen solchen bewohnten, der in seinen Bedingungen eine gewisse Veränderung erfuhr, in zwei gleiche Massen getheilt würden, so würde die eine Hälfte, welche alle die Individuen umfaßte, welche durch ihr Bewegungsvermögen am besten dazu ausgerüstet wären, ihre Subsistenz zu erlangen oder sich zu vertheidigen, im Mittel in einer größeren Zahl überleben bleiben und mehr Nachkommen erzeugen als die andere und weniger gut ausgerüstete Hälfte.
Der Mensch ist selbst in dem rohesten Zustand, in welchem er jetzt existiert, das dominierendste Thier, was je auf der Erde erschienen ist. Er hat sich weiter verbreitet als irgend eine andere hoch organisierte Form und alle andern sind vor ihm zurückgewichen. Offenbar verdankt er diese unendliche Überlegenheit seinen intellectuellen Fähigkeiten, seinen socialen Gewohnheiten, welche ihn dazu führten, seine Genossen zu unterstützen und zu vertheidigen, und seiner körperlichen Bildung. Die äußerst hohe Bedeutung dieser Charaktere ist durch endgültige Entscheidung des Kampfes um's Dasein bewiesen worden. Durch seine intellectuellen Kräfte ist die articulierte Sprache entwickelt worden, und von dieser haben seine wundervollen Fortschritte im Wesentlichen abgehangen. Wie Mr. Chauncey wright bemerkt:124 »eine psychologische Analyse des Vermögens der Sprache zeigt, daß selbst der geringste Fortschritt dabei mehr Gehirnkraft erfordern dürfte, als der größte Fortschritt in irgend einer andern Richtung«. Er hat verschiedene Waffen, Werkzeuge, Fallen u. s. w. erfunden und ist fähig, sie zu gebrauchen; und damit vertheidigt er sich, tödtet oder fängt er seine Beute und vermag sich auf andere Weise Nahrung zu verschaffen. Er hat Flöße oder Boote gemacht, auf denen er fischen oder zu benachbarten fruchtbaren Inseln übersetzen kann. Er hat die Kunst, Feuer zu machen, entdeckt, durch welches harte, holzige Wurzeln verdaulich und giftige Wurzeln oder Kräuter unschädlich gemacht werden können. Die Entdeckung des Feuers, wahrscheinlich die größte mit Ausnahme der Sprache, die je vom Menschen gemacht worden ist, rührt aus der Zeit vor dem Dämmern der Geschichte her. Diese verschiedenen Erfindungen, durch welche der Mensch im rohesten Zustand ein solches Übergewicht erhalten hat, sind das directe Resultat der Entwicklung seiner Beobachtungskräfte, seines Gedächtnisses, seiner Neugierde, Einbildungskraft und seines Verstandes. Ich kann daher nicht verstehen, wie Mr. Wallace behaupten kann,125 daß »natürliche Zuchtwahl den Wilden nur hätte mit einem Gehirn versehen können, was dem eines Affen ein wenig überlegen wäre«.
Obgleich die intellectuellen Kräfte und socialen Gewohnheiten von der äußersten Bedeutung für den Menschen sind, so dürfen wir doch die Bedeutung seines körperlichen Zustands, welchem Gegenstand der noch übrige Theil dieses Capitels gewidmet sein wird, nicht unterschätzen. Die Entwicklung der intellectuellen und socialen oder moralischen Fähigkeiten wird in einem späteren Capitel erörtert werden.
Selbst mit Präcision zu hämmern ist keine leichte Sache, wie Jeder, der das Tischlern zu lernen versucht hat, zugeben wird. Einen Stein so genau nach einem Ziele zu werfen, wie es ein Feuerländer kann, wenn es gilt, sich zu vertheidigen oder Vögel zu tödten, erfordert die höchste Vollendung der in Correlation stehenden Wirkungsweise der Muskeln der Hand, des Arms und der Schultern, einen feinen Gefühlssinn dabei gar nicht zu erwähnen. Um einen Stein oder einen Speer zu werfen, und zu vielen andern Handlungen, muß der Mensch fest auf seinen Füßen stehen, und dies wiederum erfordert die vollkommene Anpassung zahlreicher Muskeln. Um einen Feuerstein in das roheste Werkzeug zu verwandeln, um einen Knochen zu einer pfeilförmigen Lanzenspitze oder zu einem Haken zu verarbeiten, bedarf es des Gebrauchs einer vollkommenen Hand. Denn, wie ein äußerst fähiger Richter, Mr. Schoolcraft bemerkt,126 das Formen von Steinfragmenten zu Messern, Lanzen oder Pfeilspitzen beweist »außerordentliche Geschicklichkeit und lange Übung«. Einen Beweis hierfür haben wir zum großen Theil darin, daß die Urmenschen eine Theilung der Arbeit ausführten; es fabricierte nicht Jeder seine eigenen Feuerstein Werkzeuge oder rohe Töpferei für sich, sondern gewisse Individuen scheinen sich solcher Arbeit gewidmet zu haben und