Diese nackten Seeschnecken sind Hermaphroditen; trotzdem paaren sie sich aber, wie es auch die Landschnecken thun, von denen viele außerordentlich nette Schalen besitzen. Es wäre wohl denkbar, daß zwei Hermaphroditen, gegenseitig durch die bedeutendere Schönheit angezogen, sich verbinden und Nachkommen hinterlassen könnten, welche die größere Schönheit ihrer Eltern erben würden. Aber bei so niedrig organisierten Wesen ist dies außerordentlich unwahrscheinlich. Es springt auch durchaus nicht sofort in die Augen, warum die Nachkommen der schöneren Paare von Hermaphroditen über die weniger schönen irgendwelchen Vortheil von der Art haben sollten, daß sie nun an Zahl zunähmen, wenn nicht allerdings Lebenskraft und Schönheit allgemein zusammenfielen. Wir haben hier nicht einen solchen Fall vor uns, wo die Männchen früher als die Weibchen reif werden und die schöneren Männchen dann von den lebenskräftigeren Weibchen ausgewählt werden. Allerdings wenn brillante Farben für ein hermaphroditisches Thier in Bezug auf seine allgemeinen Lebensgewohnheiten wohlthätig wären, so würden auch die lebendiger gefärbten Individuen am besten fortkommen und an Zahl zunehmen; dies wäre aber dann ein Fall von natürlicher und nicht von geschlechtlicher Zuchtwahl.
Unterreich der Würmer: Classe der Anneliden (oder Ringelwürmer). – Obgleich in dieser Classe die beiden Geschlechter, wenn sie getrennt sind, zuweilen in Merkmalen von solcher Bedeutung von einander verschieden sind, daß sie in verschiedene Gattungen oder selbst Familien gebracht worden sind, so scheinen die Verschiedenheiten doch nicht von der Art zu sein, daß man sie mit Sicherheit der geschlechtlichen Zuchtwahl zuschreiben könnte. Diese Thiere sind häufig schön gefärbt; da aber die Geschlechter in dieser Beziehung nicht von einander abweichen, berührt uns der Fall nur wenig. Selbst die Nemertinen, trotzdem sie so niedrig organisiert sind, »wetteifern in Schönheit und Verschiedenheit der Färbung »mit jeder anderen Gruppe der wirbellosen Thiere« doch konnte Dr. Mc Intosh538 nicht entdecken, daß diese Farben von irgend welchem Nutzen seien. Die festsitzenden Anneliden werden nach der Zeit der Reproduction trüber gefärbt, wie Quatrefages angiebt;539 ich vermuthe, dies ist dem weniger lebensvollen Zustande in dieser Zeit zuzuschreiben. Alle diese wurmartigen Thiere. stehen dem Anscheine nach zu tief auf der Stufenleiter, als daß man annehmen könnte, entweder die beiden Geschlechter ließen irgend eine Wahl eintreten, um einen Genossen zu erlangen, oder die Individuen eines und desselben Geschlechts wären im Stande, mit ihren Nebenbuhlern zu kämpfen.
Unterreich der Arthropoden; Classe: Crustaceen. – In dieser großen Classe begegnen wir zuerst unzweifelhaften secundären Sexualcharakteren, welche oft in einer merkwürdigen Weise entwickelt sind. Unglücklicherweise ist die Lebensweise der Crustaceen nur sehr unvollkommen bekannt und wir können daher den Gebrauch vieler, nur dem einen Geschlechte eigenthümlichen Structurverhältnisse nicht erklären. Bei den niedrigen parasitischen Species sind die Männchen von geringer Größe und nur sie allein sind mit vollkommenen Schwimmfüßen, Antennen und Sinnesorganen versehen. Die Weibchen entbehren dieser Organe und ihr Körper besteht oft nur aus einer unförmlichen sackartigen Masse. Diese außerordentlichen Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern stehen aber ohne Zweifel in Beziehung zu ihrer so sehr von einander abweichenden Lebensweise und berühren uns in Folge dessen hier nicht. Bei verschiedenen, zu verschiedenen Familien gehörigen Crustaceen sind die vordem Antennen mit eigenthümlichen fadenförmigen Körpern versehen, von denen man glaubt, daß sie als Geruchsorgane fungieren; und diese sind bei den Männchen bedeutend zahlreicher als bei den Weibchen. Da die Männchen schon ohne eine ungewöhnliche Entwicklung ihrer Geruchsorgane beinahe mit Sicherheit früher oder später im Stande sein würden, die Weibchen zu finden, so ist die bedeutende Anzahl von Riechfäden wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden, und zwar dadurch, daß die besser damit ausgerüsteten Männchen bei dem Finden von Genossinnen und dem Hinterlassen von Nachkommenschaft am erfolgreichsten gewesen sind. Fritz Müller hat eine merkwürdige dimorphe Species von Tanais beschrieben, bei welcher die Männchen durch zwei distincte Formen repräsentiert werden, welche niemals in einander übergehen. Bei der einen Form ist das Männchen mit zahlreicheren Riechfäden, bei der andern mit kräftigeren und verlängerteren Chelae oder Scheeren versehen, welche dazu dienen, das Weibchen festzuhalten. Fritz Müller vermuthet, daß diese Verschiedenheiten zwischen den männlichen Formen einer und derselben Species dadurch entstanden sein dürften, daß gewisse Individuen in der Anzahl ihrer Riechfäden variiert haben, während bei andern Individuen die Form und die Größe ihrer Scheeren variiert habe; so daß von den ersteren diejenigen, welche am besten im Stande waren, die Weibchen zu finden, und von den letzteren diejenigen, welche am besten im Stande waren, das Weibchen, sobald sie es gefunden hatten, festzuhalten, die größere Anzahl von Nachkommen hinterlassen haben, um ihre beziehentlichen Vortheile zu erben.540
Bei einigen der niederen Crustaeeen. weicht die rechte vordere Antenne des Männchens in ihrer Structur bedeutend von der der linken Seite ab, wobei die letztere in ihren einfachen spitz zulaufenden Gliedern den Antennen des Weibchens ähnlich ist. Beim Männchen ist die modificierte Antenne entweder in der Mitte geschwollen oder winklig gebogen oder (Fig. 4) in ein elegantes und zuweilen wunderbar compliciertes Greiforgan verwandelt.541 Wie ich von Sir J. Lubbock höre, dient es dazu, das Weibchen festzuhalten; und zu demselben Zwecke ist einer der beiden hinteren Füße ( b) auf derselben Seite des Körpers in eine Scheere verwandelt. Bei einer andern Familie sind die unteren oder hinteren Antennen nur bei den Männchen »in merkwürdiger Weise zickzackförmig gebildet«.
Bei den höheren Crustaceen bilden die vordem Füße ein Paar Zangen oder Scheeren und diese sind allgemein beim Männchen größer als beim Weibchen, – und zwar so bedeutend, daß der Marktpreis der männlichen eßbaren Krabbe ( Cancer paguras) nach Mr. C. Spence Bate fünfmal so hoch ist als der des Weibchens. Bei vielen Species sind die Scheeren auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers von ungleicher Große, wobei, wie mir Mr. C. Spence Bate mittheilt, die der rechten Seite meistens, wenn auch nicht unabänderlich, die größten sind. Diese Ungleichheit ist oft beim Männchen viel bedeutender als beim Weibchen. Auch weichen die beiden Scheeren oft in ihrer Structur von einander ab (Fig. 5, 6 u. 7), wobei die kleineren denen des Weibchens ähnlich sind. Was für ein Vortheil durch die Ungleichheit dieser Organe auf den gegenüberliegenden Seiten des Körpers und dadurch erlangt wird, daß die Ungleichheit beim Männchen viel bedeutender ist als beim Weibchen; und warum sie, auch wenn sie von gleicher Größe sind, oft beide beim Männchen viel größer sind als beim Weibchen, ist unbekannt.
Fig. 4 Labidocera Darwinii (nach Lubbock). a)Theil der vordern rechten Antenne des Männchens ein Greiforgan bildend: b)hinteres Paar der Thoraxfüße des Männchens: c) dasselbe vom Weibchen.