Sherlock Holmes: Ein Skandal in Böhmen und andere Krimis (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch). Arthur Conan Doyle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027215355
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wie mich dünkte, etwas Staub in einen Briefumschlag und untersuchte mit seinem Glas nicht allein den Boden, sondern sogar die Rinde des Baumes, so hoch er reichen konnte. Ein spitzer Stein lag im Moos, auch den betrachtete er genau und nahm ihn zu sich. Dann folgte er einem Fußweg durch den Wald bis zur Landstraße, wo jede Spur verschwand.

      »Das war ein höchst merkwürdiger Fall«, bemerkte er und nahm wieder sein gewohntes Wesen an. »Ich denke, das graue Haus dort muß die Wohnung des Aufsehers sein. Ich werde wohl hineingehen, ein paar Worte mit Moran reden und vielleicht einige Zeilen schreiben. Nachher können wir zum Frühstück zurückfahren. Gehen Sie gefälligst voraus zum Wagen, ich folge sogleich.«

      Ungefähr zehn Minuten später waren wir auf dem Wege nach Roß; Holmes hielt noch immer den Stein, den er im Walde aufgelesen hatte.

      »Das könnte Sie interessieren, Lestrade«, bemerkte er und wies auf den Stein, »der Mord wurde damit ausgeführt.«

      »Ich sehe keinerlei Anzeichen an dem Stein.«

      »Es sind auch keine daran.«

      »Wie wollen Sie es dann wissen?«

      »Das Gras wuchs darunter, also lag der Stein erst seit wenigen Tagen dort. Die Stelle wo er weggenommen worden war, ließ sich nicht finden. Er paßt genau zu den Verletzungen. Von einer anderen Waffe ist keine Spur vorhanden.«

      »Und der Mörder?«

      »Ist ein großer Mann, der links ist, mit dem rechten Fuß hinkt, starksohlige Jagdstiefel und einen grauen Mantel trägt, indische Zigarren raucht, eine Zigarrenspitze benutzt und ein stumpfes Federmesser in der Tasche hat. Noch einige andere Indizien sind vorhanden, doch mögen diese genügen, um uns auf die rechte Fährte zu bringen.«

      Lestrade lachte. »Ich gehöre leider noch immer zu den Ungläubigen«, sagte er. »Theorien sind schön und gut, aber, wie Sie wissen, haben wir’s mit einem hartschlägigen englischen Schwurgericht zu tun.«

      »Nous verrons«, meinte Holmes gelassen. »Sie arbeiten nach Ihrer Methode – ich nach meiner. Heute nachmittag habe ich zu tun und werde wahrscheinlich mit dem Abendzug nach London zurückkehren.«

      »Und die Sache hier im Stich lassen?«

      »Nein – beendigt.«

      »Aber das Geheimnis?«

      »Ist gelöst.«

      »Wer war denn also der Mörder?«

      »Der Herr, den ich beschrieb.«

      »Aber wer ist er?«

      »Das herauszufinden wird gewiß nicht schwer sein. Allzu bevölkert ist ja die Umgegend nicht.«

      Lestrade zuckte mit den Achseln. »Ich bin ein Praktiker«, sagte er, »und kann wirklich nicht im Lande umherlaufen, um einen lahmen Herrn, der links ist, zu suchen. Ich würde ja damit bei der ganzen Polizei zur Zielscheibe des Spottes.«

      »Schon gut«, meinte Holmes gelassen. »Meine Schuld ist’s nicht, wenn Sie sich blamieren. – Hier ist Ihre Wohnung. Leben Sie wohl. Vor meiner Abreise schreibe ich Ihnen noch ein Wort.«

      Nachdem wir Lestrade abgesetzt hatten, fuhren wir nach unserm Hotel, wo das Frühstück bereits auf dem Tisch stand. Holmes schwieg und saß in Gedanken versunken mit schmerzlichem Ausdruck da, wie jemand, der sich in einer verwickelten Lage befindet.

      »Komm her, Watson«, sagte er, als der Tisch abgeräumt war, »setze dich bequem in diesen Stuhl und laß mich dir ein Weilchen vorpredigen. Ich weiß nicht recht, was ich tun soll. Rate du mir. Stecke deine Zigarre an und höre.«

      »Bitte, sprich.«

      »Bei näherer Betrachtung fielen dir und mir in der Erzählung des jungen Mc Carthy sofort zwei Umstände auf; mich nahmen sie zu seinen Gunsten, dich aber gegen ihn ein. Der erste ist, daß, wie er sagt, sein Vater ›Cooee!‹ rief, ehe er ihn gesehen, der andere ist die wunderliche Erwähnung der Silben ›a rat‹ aus dem Munde des Sterbenden. Er murmelte noch mehr, aber dies was bekanntlich das einzige, was der Sohn verstand. Von diesen zwei Momenten müssen nunmehr unsere Nachforschungen ausgehen, und wir wollen sie mit der Voraussetzung beginnen, daß der junge Mann die reine Wahrheit sprach.«

      »Wie erklärst du dir denn dieses ›Cooee‹?«

      »Augenscheinlich galt es nicht dem Sohne. Seines Wissens war ja der Sohn in Bristol, und es war bloßer Zufall, daß er sich in Hörweite befand. Das ›Cooee‹ sollte die Aufmerksamkeit dessen erwecken, mit dem er sich zu einer Begegnung verabredet hatte. ›Cooee!‹ ist ein entschieden australischer Ruf, der unter Australiern gebräuchlich ist. Die Vermutung liegt nahe, daß die Person, die Mc Carthy am Teich von Bascombe treffen sollte, in Australien gewesen war.«

      »Was wollte er aber mit dem Worte ›a rat‹

      Holmes zog ein zusammengefaltetes Blatt aus der Tasche und glättete es auf dem Tisch. »Hier ist eine Karte der Kolonie Viktoria«, sagte er. »Ich bestellte sie gestern abend telegraphisch in Bristol.« Er bedeckte nun mit der Hand einen Teil der Karte. »Was steht hier?« fragte er mich. Ich las ›arat‹.

      »Und hier?« Er hob die Hand auf.

      »Ballarat«.

      »Richtig. Das war offenbar das Wort, das der Sterbende stammelte, und von dem der Sohn nur die letzte Silbe vernahm. Er versuchte es, den Namen seines Mörders zu nennen: der Soundso aus Ballarat.«

      »Ganz wunderbar!« rief ich aus.

      »In der Tat! Und nun siehst du, ist der Kreis schon bedeutend enger gezogen. Der Besitz eines grauen Kleidungsstückes ist ein dritter Punkt, der in Übereinstimmung mit der Aussage des Sohnes konstatiert wurde. So gelangen wir jetzt aus düsterer Unklarheit zu dem sehr bestimmten Begriff eines Australiers aus Ballarat mit einem grauen Mantel.«

      »Gewiß.«

      »Und zwar muß es ein Mensch sein, der in der Umgegend wohnt, denn der Teich kann nur vom Pachthof oder vom Park aus erreicht werden, wohin Fremde schwerlich kommen.«

      »Ganz recht.«

      »Nun folgt unsere heutige Expedition. Der Untersuchung an Ort und Stelle entnahm ich die Einzelheiten über die Persönlichkeit des Verbrechers, die ich dem Dummkopf, dem Lestrade, mitteilte.«

      »Aber wie bist du darauf gekommen?«

      »Du kennst meine Methode. Sie beruht auf der Beobachtung von Kleinigkeiten.«

      »Ich weiß, daß du aus der Länge der Schritte auf die Körpergröße zu schließen verstehst. Auch die Art der Stiefel verraten die Fußstapfen.«

      »Ja, es waren absonderliche Stiefel.«

      »Aber das Hinken?«

      »Der Abdruck des rechten Fußes trat stets schwächer hervor als der des linken. Der Mann drückte weniger damit auf. Warum? Weil er hinkte – er war lahm.«

      »Warum soll er linkshändig sein?«

      »Dich selbst befremdete die Art der Verletzungen, wie sie der Arzt bei der Untersuchung feststellte. Der Schlag kam unmittelbar von rückwärts und traf dennoch die linke Seite. Wie könnte das sein, wäre nicht der Mörder links? Während der Unterredung zwischen Vater und Sohn muß er hinter dem Baum gestanden haben. Ja, er hat sogar dort geraucht. Ich fand Zigarrenasche, und bei meiner genauen Kenntnis der Tabakasche konnte ich zweifellos feststellen, daß sie von einer indischen Zigarre herrührte. Wie du weißt, habe ich mich eingehend damit beschäftigt und eine kleine Abhandlung über 140 verschiedene Arten von Pfeifen-, Zigarren-und Zigarettentabak geschrieben. Nachdem ich die Asche entdeckt, suchte und fand ich richtig den Stummel im Moos, wohin er ihn geschleudert hatte. Es war der Rest einer indischen Zigarre, wie man sie in Rotterdam rollt.«

      »Und die Zigarrenspitze?«

      »Ich sah, daß die Zigarre nicht im Munde gewesen war. Also bediente er sich einer Spitze. Das Ende war abgeschnitten,