Der Fall Deruga. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066309268
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kann herausschlagen! Da bin ich freilich so dumm wie alt gewesen. Und wenn ich heute unser Herr Doktor wäre, ich würde Sie morgen vom Fleck weg heiraten, so gut haben Sie mir eben gefallen. Und nun muß ich Sie auf den Nacken küssen!‹ Damit umarmte sie die Frau Doktor und küßte sie nicht nur auf den Nacken, sondern auch auf beide Backen, und dann sagte sie, der Risotto solle nun vergeben und vergessen sein, und sie wolle für das Mittagessen sorgen, denn kochen könne sie besser, als man es von einer gottlosen Hyäne erwarten würde. In der Tat brachte sie in einer Stunde das feinste Essen zusammen, nämlich Fleischpastete und Marillenknödel, und ich begreife heute noch nicht, wie sie es machte, denn das sind Gerichte, zu denen man seine Zeit braucht. Helfen mußte ich allerdings doch und bekam Püffe und Kniffe, aber das schadete nicht, weil sie ein vergnügtes Gesicht dazu machte. Nachher beim Mittagessen, an dem die arme Marmotte, ich meine die Frau Doktor, auch teilnehmen mußte, sprach die Großmutter viel über Erziehung und daß namentlich die Mädchen lernen müßten, nicht so heikel und empfindlich zu sein, denn bei den Männern wären sie nicht auf Daunen gebettet, und wenn eine nicht einen Puff vertrüge und sich ihrer Haut wehren könnte, ginge es ihr schlecht; die Wehleidigen und die Nachgiebigen würden nur verachtet. Eine Frau, die ihnen keinen Vorteil brächte, sähen die Männer nur als eine Last an, deshalb müßte ein Mädchen entweder Geld haben oder kochen können. Die arme Marmotte rühmte ihren Mann, daß er nicht so wäre, aber die Großmutter, die doch bisher soviel Wesens von ihm gemacht hatte, sagte, da gäbe es keine Ausnahmen. In diesem Punkte wäre einer wie der andere, und wenn die Liebe einmal einen uneigennützig machte, haßte er die Frau nachher doppelt, die ihn so verblendet hätte.«

      »Warum sagen Sie immer ›arme Marmotte‹?« fragte der Vorsitzende, der mit außerordentlicher Geduld zugehört hatte.

      »Nun, weil sie tot ist«, antwortete die Frau Hauptmann nach einer Pause verblüfft.

      »Ach so«, sagte Dr. Zeunemann, »bei ihren Lebzeiten haben Sie nicht so von ihr gesprochen?«

      »Bewahre«, sagte Frau Schmid, »sie kam mir im Gegenteil beneidenswert vor. Nun ja, etwas Hilfloses hatte sie an sich, und zuweilen war sie auch traurig und sah ängstlich aus, und da mag ich sie wohl einmal ›arme Marmotte‹ genannt haben.«

      »Wissen Sie, warum sie zuweilen traurig war?« fragte der Vorsitzende.

      »Warum?« fiel Deruga höhnisch ein. »Das kann ich Ihnen sagen. Weil sie ihren Mann nicht so liebte, wie sie sollte, weil sie an einen anderen dachte, der besser zu ihr passen würde, und weil sie Angst vor meiner Eifersucht hatte. Denn wir Italiener haben nicht Milch oder Wasser in den Adern, sondern Blut, und dann werden unsere Augen blutrot, wenn wir zornig werden.«

      Frau Hauptmann warf einen erschrockenen und tadelnden Blick auf Deruga und sagte zu den Richtern gewendet:

      »Er macht nur Spaß! Er war immer ein Spaßmacher und liebte es, die Leute zu foppen und zu erschrecken.« Dann wieder zu ihm herüber: »Warum hätte die arme Marmotte Sie denn geheiratet? Ein Kind konnte ja sehen, wie lieb sie Sie hatte.«

      Deruga hatte bereits den Kopf wieder auf die Hand gestützt, so daß man sein Gesicht nicht sah, und gab kein Zeichen des Anteils mehr.

      »Wenn sie sich vor ihm fürchtete«, fuhr Frau Schmid, zu den Richtern gewendet, fort, »so war das sicherlich nicht seine Schuld, sondern es kam von ihrer außerordentlichen Furchtsamkeit. Einmal in der Nacht fiel etwas mit einem Betrunkenen vor. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, aber ich weiß, wie sie von uns allen damit geneckt wurde.«

      Der Vorsitzende ermunterte Frau Schmid, sich zu besinnen oder zu erzählen, was sie noch davon wisse. Dann, da ihr nichts einfiel, fragte er Deruga, ob er sich vielleicht noch daran erinnere.

      Deruga hob den Kopf und sah aus, als habe er keine Ahnung, wovon die Rede sei.

      »Ach, Sie wissen doch, Doktorchen«, redete ihm Frau Schmid zu. »Es kam nachts ein Betrunkener am Pavillon vorbei und grölte so laut, daß Ihre Frau davon aufwachte und dachte, es wäre unter dem Fenster. Es wird im November gewesen sein, denn es war eine stürmische und regnerische Nacht, und Sie hatten keine Lust aufzustehen und stellten sich schlafend, während Ihre Frau fast verging vor Angst. So ungefähr war es, erinnern Sie sich denn nicht mehr daran?«

      »O ja«, sagte Deruga, »es stellte sich eine ungewöhnliche Zärtlichkeit bei meiner Frau ein. Ich wachte auf, weil sie sich an mich schmiegte und ihren Kopf dicht an meinen Hals drückte, und als ich mich noch in dem Traum wiegte, es habe sie plötzlich eine Leidenschaft für mich überkommen, flehte sie mich an, ich solle sie vor dem Betrunkenen schützen. ›Er ist unter dem Fenster‹, sagte sie, ›im nächsten Augenblick wird er hereinkommen. Was fangen wir an, oh, was fangen wir an! Schließe wenigstens das Fenster.‹ Ich rief: ›Ich werde mich hüten, das zu tun; so bist du doch einmal zärtlich gegen mich‹ – und ich habe es ausdrücklich ziemlich bösartig gesagt, denn sie ließ mich los und drehte ihr Gesicht nach der anderen Seite und weinte. Ich sagte noch viel beißender als vorher, sie solle nicht so dumm sein und weinen, und übrigens, wenn sie sich unglücklich fühle, brauche sie nicht für das Leben zittern. Und wenn sie zum Sterben unglücklich sei, sagte sie, sie möchte doch nicht, daß ein ekelhafter, betrunkener Mensch sie anfaßte und erwürgte. Daß sie gar nicht unglücklich wäre, sagte sie nicht. ›Der Kerl liegt draußen im Straßengraben und wird singen, bis er einschläft‹, sagte ich, und dann stellte ich mich schlafend, um sie durch die Furcht zu quälen. Nach einer halben Stunde verstummte das Geheul, und gleich darauf schlief sie fest und ruhig, während ich wachend neben ihr lag und ihren hübschen weißen Hals betrachtete und darüber nachdachte, wie leicht ich ihre Kehle zudrücken könnte, fast ohne daß sie es merkte.«

      Der Staatsanwalt zuckte triumphierend seine geschwänzten Augenbrauen und streckte, den Mund schon zum Reden geöffnet, den Zeigefinger aus, als der Justizrat die Hand gegen ihn erhob und gleichgültig, wie man einen nichtigen Einwand beseitigt, sagte: »Er hat es ja nicht getan. Hunde, die bellen, beißen nicht, wie unsere Zeugin schon sagte.«

      Ehe noch der Staatsanwalt einen Laut hervorbringen konnte, erklärte Dr. Zeunemann, nachdem er durch einen verbindlichen Blick nach rechts und links die Zustimmung erbeten, aber nicht abgewartet hatte, die Sitzung der Mittagspause wegen für geschlossen. Er wollte um drei noch einige Fragen an Frau Hauptmann Schmid richten, und wenn seine Kollegen einverstanden wären, könne sie dann abreisen. Der Nachtzug nach Wien gehe um acht Uhr.

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