Michael Unger . Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066388799
Скачать книгу
war der feurigste Tag im Herbste, als Rose Sarthorn ankam, und im Ungerschen Garten blühten Beete voll Astern und Georginen, gelbe, rote, purpurrote und solche, die fast schwarz waren und nicht glänzten. Die Bäume hingen voll Obst, und auf den Tischen lagen Trauben und gelbe Melonen aus dem Treibhause aufgehäuft. Obwohl sie nicht die prächtige Schönheit der Unger hatte und in einem schlichten schwarzen Kleide einherging, erschien sie doch nicht ungehörig inmitten dieses Überflusses, vielmehr war es so, als bekäme alles durch sie erst seinen eigentlichen Ausdruck. Sie hatte Augen wie ein Zauberbrunnen, in dem das Schöne und Wunderbare der Welt sich spiegeln mußte; aus ihrem ernsten, nicht blassen und nicht roten, gleichmäßig gefärbten Gesicht schauten sie groß und mächtig und sprachen zu allen Wesen und Dingen: Komm zu mir, ich mache dich frei, ich mache dich schön. Das Überraschendste für die, welche sie noch nicht kannten, ereignete sich, wenn sie lachte; denn dann schimmerte plötzlich ihr ganzes Gesicht von seliger Heiterkeit, und sie hatte etwas von einem Kinde, dessen Augen tiefere Dinge träumen, als seine Gedanken wissen. Sie machte auf alle einen angenehmen und bedeutenden Eindruck zu Verenas Genugtuung, die ihr Kommen veranlaßt hatte.

      Sie hatte nämlich in einer Zeitschrift von Rose Sarthorn als von einer jungen Malerin gelesen, die sich durch einige Tierbilder ausgezeichnet hätte, aber auch gut porträtierte; hatte sich schriftlich mit ihr in Verbindung gesetzt und sie gebeten, Mario, ihr Söhnchen, zu malen. Wenn das Bild gut ausfiele, hatte sie im Sinn, auch sich selbst malen zu lassen; die Hauptsache war ihr aber überhaupt die Bekanntschaft mit der Künstlerin. Sie war, ehe sie heiratete, mit dem Gedanken umgegangen, Malerin zu werden, hatte aber nie über das Spielerische hinauskommen können, wie es unter ihren weiblichen Bekannten gang und gäbe war, und das sie so sehr verachtete. Sie schrieb das den damaligen Umständen, wie zum Beispiel ihrer durch Familienschranken gedrückten Stimmung, zu und hatte die Absicht, die früheren Studien einmal wiederaufzunehmen, wozu die Anknüpfung mit einer Malerin die Gelegenheit bringen könnte. Wenn diese etwa ein günstiges Urteil über ihre Versuche fällte, würde das sie ermutigen und auf die anderen Eindruck machen; auch konnte sie sich beiläufig nach den Mitteln erkundigen, durch die eine gute, gründliche Technik zu erreichen war. Zunächst hielt sie mit diesen Plänen noch zurück und hörte nur aufmerksam auf alles, was Rose, die freilich nicht viel von sich selbst sprach, in bezug auf ihre Kunst erwähnte. Es verstand sich von selbst, daß Rose hauptsächlich auf Verena und Raphael, als den künstlerischen Teil der Familie, angewiesen war; doch kam es bald so, daß sie sich am eingehendsten mit Michael unterhielt, bei dem sie ein echteres Verständnis für ihre Ansichten und ihr Wesen herauszufühlen schien. Michael hatte bis dahin die Überzeugung gehabt, Frauen, die einen Beruf ausübten, müßten etwas Lächerliches oder Abstoßendes an sich haben, und hatte Verena mit ihrer sonderbaren Laune, sich mit der unbekannten Malerin einzulassen, geneckt; doch gestand er willig ein, daß er unrecht gehabt hatte, und er erklärte sich gespannt, sein Kind von ihr gemalt zu sehen. Indessen fand Rose, Mario sei noch allzu klein, und machte den Vorschlag, im Frühjahr wiederzukommen, wenn er ein Jahr alt sein und sein Gesicht sich etwas mehr geformt haben würde. Die ihr herzlich angetragene Gastfreundschaft nahm sie für einige Tage an und beobachtete während derselben das Kind aufmerksam; es habe, sagte sie, ein kaum wahrnehmbares Schielen, eigentlich nur eine kleine Unsicherheit im Blick, und darin läge die Anziehungskraft, die es ausübe; wenn es ein Mädchen wäre, könnte es eine gefährliche Männerverderberin werden.

      Ihr scharfer Blick für die körperlichen Formen und die Sicherheit, mit der sie daraus Schlüsse auf das Innere zog, war allen neu und merkwürdig, wenn sie es auch, Michael und Verena ausgenommen, mehr als unterhaltende Plauderei auffaßten; Michael erschien sie zuweilen wie eine fremde Richterin, die ihn und die Seinigen bis in die Eingeweide erkannte, und eine Unruhe ergriff ihn dann, wie die Menschen, die ihm so nahe verbunden waren, vor ihr bestehen möchten. Doch äußerte sie sich über alle mit lebhafter Freude und Bewunderung, wie sie überhaupt das Häßliche oder Störende weniger übersah, als daß es für sie nicht vorhanden zu sein schien.

      »Ihre Mutter«, sagte sie einmal zu Michael, »ist eine wunderschöne Frau, die einen lächeln macht fast wie ein Kind: trotzdem möchte ich, wenn ich sie malte, ein Bild zum Weinen aus ihr machen. Sie sieht aus, als sänne sie im tiefsten Innern über ein trauriges Rätsel, das sie sich zu lösen fürchtete und im Grunde doch schon gelöst hätte; dieser Zug ist verborgen, aber das allerschönste an ihr.« Von Verena sprach sie als der seltensten Erscheinung, die sie gesehen hätte; gerade das Mißverhältnis zwischen der hohen, überaus edlen Stirn, den stolzen Augen, der schönen strengen Nase und einer krankhaften Müdigkeit, ja Grämlichkeit, die sich von ihren Wangen herab um Kinn und Mund zog, hatte etwas Reizendes; die Gestalt wie ein Halm, die übermäßige Schlankheit ihrer Glieder, die keineswegs mager waren, ließen sie unter hundert Frauen als die vornehmste erscheinen. Oft kam Rose auf das Fremdartige zurück, das sie hätte, und suchte, worin es läge; sie sähe nicht eben wie ein Geist, aber doch auch nicht ganz wie ein Mensch aus, oder vielleicht wie einer, der zu lange im Mondschein geschlafen hätte. Trotz dieser offenbaren Teilnahme sprach sie nie den Wunsch aus, Verena zu malen, was diese ihr geflissentlich nahelegte.

      Als Rose fort war, erschien es allen öder als vorher im Hause zu sein: sie war zwar nicht besonders lebhaft oder gesprächig gewesen, aber ihr Wesen hatte sich wie Goldgrund um die Bilder des alltäglichen Lebens ergossen, und sie hatten sich selbst tiefer gewertet und dadurch gehoben gefühlt. Mehr als alle beschäftigte sich Verena innerlich mit ihr. Sie hatte es aufgegeben, Rose ihre Malstudien zu zeigen, weil sie ihr jetzt ganz unbedeutend erschienen und sie es doch nicht ertragen hätte, etwas anderes als Lob und Bewunderung zu hören, besonders von jemandem, dem das Recht, zu urteilen, nicht abgesprochen werden konnte. Insgeheim beneidete und bewunderte sie Rose um die Unabhängigkeit und Kraft ihres Lebens; oft hatte sie die Frage auf den Lippen gehabt: Liebtest du denn niemals? Wie hast du die furchtbare Gottheit beschwichtigt, daß sie dir Freiheit, zu wirken und zu schaffen, ließ? Aber es fehlte ihr der Mut, sie auszusprechen, wenn die stillen, unschuldig wissenden Augen auf ihr ruhten. Fast hätte sie zürnen mögen wegen des Eindruckes, den sie machte: anstatt dessen empfand sie den heftigen Wunsch, von ihr geliebt zu sein, und sogar eine leise Sehnsucht, sie zu lieben.

      Es waren schon kalte Tage gewesen, und die Beete, wo Astern und Georginen geblüht hatten, waren dicht mit feuchten dunkelbraunen Blättern zugedeckt, doch lockte eine warme Mittagsonne noch zuweilen in den Garten. Einmal, als Michael und Verena auf der Freitreppe standen und durch die kahlen Äste der Pappeln auf die Kirchtürme und Dächer der Stadt blickten, fragte Verena plötzlich: »Hast du nie für Rose ein wärmeres Gefühl gehabt, als du haben durftest?« Michael sagte lächelnd mit offenem Blick: »Nein, niemals; so wenig, daß ich nicht begreife, wie mein Benehmen zu dieser Vermutung sollte Anlaß gegeben haben.« Verena schritt langsam in den Garten hinunter, daß ihr schleppendes Kleid auf den Treppenstufen rauschte, und schauerte unter der kühlen Sonne. »Dein Benehmen war so gut und aufrichtig wie immer«, sagte sie, »und doch habe ich denken müssen, die hätte dich glücklich gemacht.«

      »Das mag wohl sein«, sagte Michael, »aber ich bin nicht der romantische, abenteuerliche Held, wie du mich zu träumen liebst, sondern bin meiner Frau zugetan und anderen Frauen nur so weit, wie es sich mit den Ansprüchen der anspruchsvollen verträgt.« Sie schlürfte seine Worte mit Leidenschaft, wie einen starken Trank, und rief mit rascher Wärme: »Ich, ich möchte wie sie sein, ja, das möchte ich, selbst um den Preis, daß ich dich dann nie gesehen hätte. Sie ruht in sich selber und faßt die ganze Welt in ihre bildende Seele. Sie ist reich und bedarf der Götter und Menschen nicht. Was mit stillem Atem ihr Herz ernährt, reißt mich mit unbekannten Trieben und widerspruchsvollen Wünschen zerstörend auseinander. Ich verschwende mich in nutzlosen Qualen und behalte nicht Kraft, weder zu schaffen noch zu dulden, noch zu genießen. Aber vielleicht verdiene ich gerade deshalb deine Liebe mehr als jede andere, weil ich ihrer am meisten bedürftig bin, und weil meine Schwäche dich heben und bereichern soll.« Sie stand und erwartete die Beteuerung seiner Liebe, die er ihr auch in diesem Augenblick aus innigstem Gefühl heraus darbrachte. Noch niemals hatte sie sich so weit über sich selbst ausgelassen, und er wußte, wieviel es ihren Stolz gekostet hatte. Ihr schmales, durchsichtiges Gesicht war gerötet, und in ihren Augen tanzte die Glut; so hatte er ihre Persönlichkeit empfunden, als er sich in sie verliebte. Das schwache Zucken der Aufregung um ihren Mund, das ihm zuweilen häßlich vorkam, rührte ihn jetzt, und er drückte