Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066388812
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vorging, und aufgehört, zu Eckardsburgs Gunsten zu sprechen; sie war schweigsam und hielt sich in ihren Gemächern. Am Tage vor der Hinrichtung teilte er ihr mit, daß das Urteil unter den Fenstern des Schlosses, als auf dem Schauplatze des Verbrechens, vollzogen werde und daß es sein Wille sei, sie solle der Exekution mit ihm zuschauen zum Zeichen für jedermann, daß sie beide an der Bestrafung eines Missetäters, auch wenn er von hohem Range sei, ein Wohlgefallen hätten. Juliane entschuldigte sich damit, daß ihr nicht wohl sei, weshalb sie schon seit mehreren Tagen das Zimmer gehütet habe; doch da er, den Blick scharf auf sie richtend, sagte, sie habe sich sonst wohl auf seinen Wunsch oder aus eigenem Antrieb zu beherrschen gewußt, entgegnete sie nichts mehr und erschien zur festgesetzten Stunde am Fenster. Sie hörte dünnes Geläut den langsamen Zug verkünden und sah den von zwei Geistlichen geleiteten Verurteilten im langen schwarzen Gewande heranschreiten, das weiche blonde Haar sorgfältig geordnet, hinter ihm rüstige Henker mit Keulen in den muskelstarken Armen. Er zitterte vor Furcht und heimlicher Hoffnung; denn er konnte es doch nicht glauben, daß er, der Schöne und Vielgeliebte, zu einem so greulichen Tode bestimmt sei. Als er das Rad aufgerichtet sah, auf dem er hingeschlachtet werden sollte, schauderte er und blieb gelähmt stehen, indem er unwillkürlich flehend am Schlosse hinaufsah. Sein Auge begegnete dem starren Blick der Landgräfin, in dem nichts von Gnade zu lesen war, und gleichzeitig stießen ihn die Knechte vorwärts. Juliane stand während der ganzen Zeit aufrecht ohne sich zu rühren: ihre großen dunklen Augen sahen leer auf den menschenerfüllten Platz, und auf ihren schmalen Lippen saß ein schwaches Lächeln.

      Am Nachmittage begleitete sie den Landgrafen auf die Jagd und gab sich wie sonst ihrer Lust an wagehalsigem Reiten hin, eine Veränderung in ihrem Wesen höchstens insofern zeigend, als sie ihrem Manne gegenüber schweigsam und von verhaltener Reizbarkeit war.

      Zur zweiten Frau seines ältesten Sohnes wählte Moritz ein Mädchen aus der Anhaltischen Familie, das sich besonders durch Vernunft und Frömmigkeit empfahl und mehrere Jahre älter als Otto war. Die junge Frau klagte über nichts, sondern äußerte sich dem Landgrafen gegenüber zufrieden. Einige Monate nach der Hochzeit jedoch wurde Otto am Morgen erschossen im Bette aufgefunden, wahrscheinlich durch eigene Hand gefallen, jedenfalls als ein Opfer seiner lasterhaften Verwilderung.

      Nun war Wilhelm, der jüngste Sohn der schönen Agnes, Erbe des Landes. Er war, wenn auch hübsch und fein von Gesicht, ernst und fleißig, doch weniger glänzend begabt als die Brüder und war von seinem Vater stets etwas zurückgesetzt gewesen, freilich ohne dessen Wissen und Willen, der in der Behandlung seiner Kinder auf Gerechtigkeit hielt. Wilhelm suchte die Liebe des strengen Vaters, dem er in bescheidener Zurückhaltung ergeben war, durch Arbeitsamkeit und Pflichteifer zu gewinnen. Seinen zarten Körper stählte er durch ritterliche Übungen und wurde mehr infolge dieser Willenskraft als aus natürlicher Anlage ein tüchtiger Jäger und Soldat.

      *

      Damals erschien ein Buch, das dem Landgrafen Anregung gewährte, es hatte den Titel ›Chymische Hochzeit Christian Rosencreuz‹, geißelte mit Witz und Wärme die Laster der Zeit und berichtete von einer Gesellschaft, die zum Zweck eine Reform der Sitten, der Politik und der Kirche, kurz, des ganzen öffentlichen sowie privaten Lebens habe. Es begann mit einer Erzählung, wie die Weiber eines Fabellandes sich im Rathause versammeln, um den herrschenden Übeln abzuhelfen, wie das Volk in Ehrfurcht wartet, auf welche Weise es gebessert und beglückt werden soll, wie endlich die geheiligte Pforte sich öffnet und den Harrenden das Ergebnis verkündet wird, mit welchem der Wendepunkt einer neuen, schöneren Zeit beginnen soll: eine neue Taxe auf Kraut, Rüben und Petersilie.

      Die Empfehlung des Landgrafen verschaffte dem Buche in Hessen viele Leser, aber auch in anderen kalvinischen Gegenden erregte es Beifall oder mindestens Interesse, während es im allgemeinen als frech, aufwieglerisch und voll von Ketzereien getadelt und bekämpft wurde. Der ungenannte Verfasser, nach dem man vergebens fahndete, war ein Schwabe, der aus einer Familie von Theologen stammte, Johann Valentin Andreae, ein rastloser Geist, dessen Verstand ebenso durchdringend und unbestechlich wie seine Phantasie lebhaft war, heiter, stolz, warmherzig und unternehmend. Durch seine Abkunft zur Theologie bestimmt, widmete er sich doch zunächst aus Neigung der Mathematik und Mechanik, der Malerei, Musik und Dichtung, führte ein ungebundenes Reiseleben oder verdiente sich seinen Unterhalt als Erzieher. Etwa im Jahre 1613 war er mit zwei Freunden, dem österreichischen Edelmann Abraham Hoelzel und dem schwäbischen Juristen Besold, seiner Gesundheit wegen im Bade Griesbach, ohne Stellung und willens, sich durch Unterricht die Einnahmen zu verschaffen, deren er bedurfte. Während eines längeren Aufenthaltes in Italien hatte er in Padua Fechten und Voltigieren gelernt und es mit seinem geschmeidigen Körper darin zu großer Fertigkeit gebracht. Als er eines Tages mit Hoelzel an einem Platze vorbeikam, der zur Kurzweil für die anwesenden ritterlichen Gäste bestimmt war, lockte es ihn, sich ein wenig zu tummeln, und belustigte sich in allerlei Spielen und Künsten mit Hoelzel zusammen, der, plumper gebaut und weniger gewandt, Johann Valentins Vorzüge in desto besserem Licht erscheinen ließ. Am nächsten Tage erzählte Hoelzel, es hätten ihn mehrere vornehme junge Leute aufgesucht und ihn nach dem jungen Manne ausgefragt, der sich mit einem so vortrefflichen und ungewöhnlichen Voltigieren habe sehen lassen; er, Hoelzel, habe darauf Andreaes Talente und Fertigkeiten gerühmt, und sie seien begierig, seine Bekanntschaft zu machen. Er solle sich bereit halten, vielleicht blühe ihm hier das Glück. In kurzer Zeit hatte er wirklich mehrere junge Edelleute zu Schülern im Fechten und Voltigieren, die übrigens gute Gesellschafter waren. War er mit Hoelzel und Besold allein, so diente es ihnen zu großer Belustigung, daß Andreae nun endlich das Gebiet gefunden habe, auf welchem er Ehre und Vorteil erringen könne; kärglich sei es ihm ergangen, solange er sich der Weltweisheit, Kunst und Gottesgelehrtheit befleißigt habe, als Fechtmeister werde er zu Ruhm und Ansehen kommen. Übrigens beschloß er sogleich, unvermerkt auf das Innere der jungen Männer zu wirken, die ihn mit der Ausbildung ihres Körpers betraut hatten, und als ein anderer Merkur ihre Seelen zu Gott zu führen. Bei dem häufigen Zusammensein fand er Gelegenheit, seine Kenntnisse in der Mathematik zu zeigen und sie so für diese Wissenschaft zu interessieren, daß sie sich alle etwas davon anzueignen wünschten und ihn um Unterweisung baten. Kamen sie dann auf theologische Fragen, so lobte Besold wohl die Schriften des Mystikers Valentin Weigel, während ihn weder Luthers noch Kalvins Lehre ganz befriedige. Sie wären, sagte er, offenbar von den Menschen aufsteigend zu Gott gekommen, während man doch, um zu Gott zu kommen, sich so weit wie möglich von den Menschen entfernen müsse. Die Anschauung unseres Lebens müsse man verlassen, wenn man Gott finden wolle; denn Gott wisse nichts von uns, Gott wisse nur von sich, darum müsse, wer zu ihm wolle, die feste Erde von sich stoßend einen Sturz in den bodenlosen Abgrund wagen, der für unsere irdischen Sinne die Nacht und das Nichts sei.

      Diese Auffassung bekämpfte Andreae als schwärmerisch und gefährlich. Gott, dessen Wesen Licht sei, sei nur durch das Licht zu erreichen. Es sei viel Wahrheit in dem, was Besold sage, aber das Ganze sei unwahr. Man dürfe nicht vergessen, daß die Welt, welchen Anteil auch das Böse an ihr habe, doch von Gott erschaffen, von seinem Samen und Blut sei. Es komme nicht so sehr darauf an, daß der einzelne im Glauben Befriedigung finde und Gott näherkomme, wie daß die Gesellschaft, die kleinste wie die umfassendste, eine harmonische Ordnung darstelle. Luther sei kein Gott, also nicht unfehlbar, wenn auch göttlichen Geistes voll gewesen; aber welcher andere Mensch sei das? Wohin würde man geraten, wenn ein jeder die Macht haben sollte, den eigenen Träumen über die höchsten Dinge nachzugehen, sich eigene Wege zur Seligkeit zu graben? Sie wüßten wohl alle, daß das Wort Religion von Binden komme, und sie solle in der Tat ein heiliges Band um alle Menschen, ja um alle Welt schlingen. Das möchte ihnen katholisch klingen; aber Luther habe ja auch die katholische Kirche nicht abschaffen, nur reinigen wollen. Einst werde gewiß die Kuppel der allesumfassenden Kirche mit dem Gewölbe des Kosmos sich decken und ein Gotteshaus für alle sein. Das Grübeln, Schwärmen und Disputieren müsse einmal aufhören, jeder solle sich auf dem festen Boden gemeinsamen Glaubens einem tätigen tugendhaften Leben widmen. Was für eine wundervolle Harmonie habe er in den Städten Basel, Zürich und Genf gesehen! Die glichen lichtbringenden Sternen, die sich streng, voll Ruhe und fast gleichgültig auf regelmäßiger Bahn bewegten.

      Er erzählte mit Vorliebe von dem Leben in den eidgenössischen Städten, von der Tüchtigkeit und Vernünftigkeit ihrer Bewohner, wie sie ihrer Arbeit fleißig nachgingen, ein jeder tue, was ihm obliege, die Vornehmen stolz auf ihre Pflichten,